Narrenschiff auf Kollisionskurs

Venezuela Da ihm vernünftige Berater ausgegangen sind, könnten Donald Trumps Drohungen gegenüber Nicolás Maduro einen ungezügelten Konflikt nach sich ziehen
Donald Trump hat in Venezuela wenig Freunde
Donald Trump hat in Venezuela wenig Freunde

Foto: Yuri Cortez/AFP/Getty Images

Donald Trumps indirekte Drohung einer direkten US-Militärintervention in Venezuela stellt ein hochriskantes Wagnis dar, das gewaltig nach hinten losgehen könnte. Indem er öffentlich und aggressiv die Forderung der venezolanischen Opposition nach Maduros Entfernung aus dem Amt unterstützt, fordert Trump Venezuelas Regierungschef auf sehr persönliche und existenzielle Weise heraus.

Sollte Maduro so reagieren, wie er dies in der Vergangenheit getan hat, und mit Gewalt gegen seine Gegner vorgehen oder US-Diplomaten verhaften lassen, wenn diese seine Anweisung ignorieren, das Land innerhalb von 72 Stunden zu verlassen, könnte sich Trump vor die Wahl gestellt sehen, die Situation rapide zu eskalieren und unter Umständen sogar Truppen zu entsenden – oder einen Rückzieher zu machen und sein Gesicht zu verlieren.

Es scheint, als genieße Oppositionsführer Juan Guaidó die Unterstützung, wenn auch nicht aller, so doch vieler Venezolaner. Weniger klar scheint bislang, wie seine Generäle und die entscheidenden Einheiten der Armee sich mittelfristig gegenüber seiner selbsternannten alternativen Präsidentschaft verhalten. Angesichts der Geschichte desaströser US-Interventionen der USA in Lateinamerika hat Maduros Vorwurf eines Staatsstreichs durch das „Gringo-Imperium“ beträchtliches Gewicht.

Was machen Russland und China?

Zusätzlich kompliziert wird die Geschichte durch die starke russische und chinesische Unterstützung für die gegenwärtige Regierung. Moskau hat die versuchte Machtübernahme scharf verurteilt, und in Beijing wurde Maduro erst im vergangenen Herbst noch gefeiert und man bot ihm finanzielle Unterstützung an.

Wenn die Armee Maduro gegenüber weitgehend loyal bleibt, haben Trump und sein kriegslüsterner Nationaler Sicherheitsberater John Bolton hinsichtlich der ersten elementaren Anforderung an die erfolgreiche Herbeiführung eines Staatsstreiches versagt: sicherzustellen, dass die Jungs mit den Waffen hinter einem stehen.

Vielleicht ist das keine Überraschung. Sich auch in wichtigen außenpolitischen Fragen übereilt und unvorbereitet ins Getümmel zu stürzen stellt ein vertrautes Merkmal der Trump-Administration dar. Trump selbst legt in solchen Fragen nachweislich immer wieder eine erschreckende Ahnungslosigkeit an den Tag. Und nach einer Reihe von Entlassungen und Rücktritten hochrangiger Mitarbeiter während seiner ersten beiden Amtsjahre fehlt es ihm mittlerweile dramatisch an erfahrenen, politisch klugen und besonnenen Beratern. Diese gefährliche Schwäche könnte bald schon in aller Deutlichkeit zutage treten.

Es ist schon viel über die sogenannten Erwachsenen im Raum geschrieben worden, die angeblich dafür sorgen, dass Trumps gefährliche Kurzschlussreaktionen und kindischen Wutausbrüche bislang noch keine schlimmeren Konsequenzen hatten – oder das zumindest solange getan haben, bis sie entlassen wurden. Weniger Aufmerksamkeit wurde den Drittklassigen, Abenteurern und Nullen geschenkt, die Erstere auf den wichtigsten Positionen in der Regierung ersetzt haben.

Trump ist von Ahnungslosen umgeben

Dass Trump seinen Schwiegersohn Jared Kushner, ein politisches Grünhorn, um Hilfe bat, um die verfahrende Situation hinsichtlich des Government-Shutdowns zu beenden, zeigt, welcher Mangel an politischer Erfahrung und Talent im Weißen Haus mittlerweile herrscht.

Trumps außenpolitische Ersatzmannschaft legt eine erstaunliche Unkenntnis der Welt jenseits der US-amerikanischen Grenzen an den Tag. Ihre Ansichten und Vorurteile dürften in der Zeit, die Trump im Weißen Haus verbleibt, schwerwiegende negative Auswirkungen haben. Ein US-Kommentator formulierte es einmal so: „Lincoln hatte ein Team aus Nebenbuhlern, Trump hat eins aus Idioten.“

Auch ist fraglich, ob die Behauptung, Trump sei bislang von erfahreneren und vernünftigeren Beratern im Zaum gehalten worden, wirklich stimmt. Denn zum Beispiel ist es auch seinem ehemaligen Verteidigungsminister James Mattis nicht gelungen, Trumps wiederholte Angriffe auf die NATO oder seine voreilige Entscheidung, die amerikanischen Truppen aus Syrien abzuziehen, zu verhindern. Fairerweise muss man einräumen, dass Mattis Trump zumindest einige seiner wilderen Einfälle – zumindest was die anbelangt, von denen wir wissen – wieder ausreden konnte, etwa seinen angeblichen Wunsch, Syriens Machthaber Baschar al-Assad ermorden zu lassen.

Doch die Intervention in Venezuela legt nahe, dass ähnlich schlechte oder noch schlechtere Entscheidungen bevorstehen könnten, da Trump noch ungehaltener und sprunghafter ist als zuvor, von einem demokratisch dominierten Kongress und dem lauter werdenden Gerede über ein Amtsenthebungsverfahren bedrängt wird und gleichzeitig heimlich daran arbeitet, seine zweite Amtszeit zu retten.

Trump versucht, von innenpolitischen Schwierigkeiten abzulenken

Je mehr Trump versucht ist, um sich zu schlagen, Aufmerksamkeit zu erregen und für Ablenkung von seinen innenpolitischen Schwierigkeiten zu sorgen, um wieder Kontrolle über die Agenda zu erlangen – es ist durchaus möglich, dass er Venezuela aus dieser Perspektive betrachtet –, desto besonneneren und vernünftigeren Rat braucht er. Doch daran mangelt es in einer Regierung, die nicht mit den „Besten und Klügsten“ besetzt ist – David Halberstams berühmte halbironische Beschreibung von John F Kennedys Team im Weißen Haus – sondern mit den Schlechtesten und Dümmsten, die keinen Ruf mehr zu verlieren haben.

Bolton ist derjenige, der einem am meisten Angst einjagt – ein terrierartiger Fanatiker, der sich auf ein Problem stürzt, es nicht mehr loslässt, bis er es zerbissen hat, und sich dabei weder durch Fakten noch durch vernünftige Argumente beirren lässt. So handelte er im Falle des Iraks, als er George W Bush zum Einmarsch drängte, obwohl klügere Köpfe wussten, wie gefährlich das war.

Bolton wiederholt diesen Fehler in Hinblick auf den Iran, wo er sich ungeachtet der Konsequenzen für einen gewaltsamen Regimewechsel einsetzt. Einmal mehr wird eine vermeintliche Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen übertrieben und mit heuchlerischen Bedenken hinsichtlich Demokratie und Menschenrechten vermischt.

Boltons Besessenheit mit dem Iran hat bereits zweimal zu massiven Überreaktionen geführt, als der Nationale Sicherheitsrat wegen geringfügiger Vorkommnisse, in die im vergangenen Herbst von Iran unterstützte Milizen im Iran verwickelt waren, vom Außenministerium sofortige Optionen für Militärschläge gegen den Iran verlangte. „Die Leute waren schockiert. Es war unglaublich, wie unbekümmert sie diesbezüglich waren“, kommentierte ein führender Funktionär die Situation.

Die Hoffnung auf Besonnenheit schwindet

Die Hoffnungen, dass der Tendenz zu rücksichtslosem Handeln im Weißen Haus mit diplomatischen Mitteln Einhalt geboten werden könnte, haben sich unter dem Nachfolger des entlassenen Rex Tillerson, Mike Pompeo, zerschlagen. Jüngste Reden des aggressiven CIA-Direktors in Brüssel und Kairo offenbarten eine sklavische Ergebenheit gegenüber der Stimme seines Herrn und echoten Trumps tunnelblickartigen Nationalismus und seine simplizistische Einteilung der Welt in Freunde und Feinde.

Pompeos Erklärung am Mittwochabend, in der er seine Diplomaten in Caracas anwies, die Forderungen Maduros, das Land zu verlassen, zu ignorieren, war wieder einmal ganz besonders voreilig. Sollte der internationale Machtkampf sich länger hinziehen, könnten die Diplomaten zu Geiseln werden.

Wer nach fähigerem Führungspersonal in den höheren Rängen von Trump-Länd sucht, der sucht vergeblich. Das Pentagon, diese größte, atomar bewaffnete Kriegsmaschine der Welt, wird mit Patrick Shanahan gegenwärtig von einem obskuren ehemaligen Boeing-Funktionär geführt, der, im Gegensatz zu Matttis, über keinerlei militärische oder politische Erfahrung verfügt. Angesichts einer Krise wie der im benachbarten Venezuela sind das keine guten Voraussetzungen.

Trumps designierter Justizminister William Barr scheint es für seine Pflicht zu halten, unhinterfragt alles zu tun, was Trump von ihm verlangt. Trumps Pressesprecherin, Sarah Sanders, hasst die Presse. Und sein Stabschef im Weißen Haus, Mick Mulvaney ist eine Übergangslösung und hat seinen neuen Chef als „schrecklichen Menschen“ bezeichnet.

Selbst wenn Trump und sein Narrenschiff in Venezuela keinen Krieg anzetteln, können sie ebenso leicht neue Konflikte im Nahen Osten oder mit China vom Zaun brechen, sie müssen das noch nicht einmal beabsichtigen. Und Venezuelas Juan Guaidó sollte sich darüber im Klaren sein, dass solche Leute keine verlässlichen Verbündeten abgeben. Mit Trumps „Team aus Idioten“ im Amt existiert kein Sicherheitsnetz, bleibt kein Platz für Fehler – und es lässt sich nie sagen, was als Nächstes passieren wird.

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Geschrieben von

Simon Tisdall | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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