Der Internationale Handelsausschuss des Europaparlaments (INTA) hat am Donnerstag das Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen (ACTA) abgelehnt. Damit besteht die Aussicht, dass das Europaparlament bald erstmals ein internationales Abkommen zu Fall bringen könnte.
"Die Abstimmung im Handelsausschuss ist der vorletzte Sargnagel von ACTA", erklärte Jan Philipp Albrecht, der für die deutschen Grünen im EU-Parlament sitzt, nachdem der Handelsausschuss dem Europarat mit 19 zu zwölf Stimmen empfohlen hat, ACTA bei der Abstimmung am vierten Juli abzulehnen.
Damit hat der fünfte europäische Ausschuss in Folge sich gegen ACTA ausgesprochen.
Mit dem Abkommen, das sich seit 2008 in der Pipeline befindet, soll gegen Fälschungen von Konsumgütern und Medikamenten und das digitale Filesharing von raubkopierter Software und Musik vorgegangen und so der Diebstahl geistigen Eigentums bekämpft werden.
Privatssphäre bedroht?
Laut Europäischer Kommission würde das Abkommen sich gegen groß angelegte Operationen richten, die illegales digitales Filesharing ermöglichen. Allerdings kam es zu Protesten von Bürgern und einigen Regierungen, die einwandten, mit ACTA würden Menschen kriminalisiert, die Dateien für den persönlichen Gebrauch herunterladen.
Außerdem trat im Januar mit dem französischen Parlamentarier Kader Arif der Berichterstatter des Handelsausschuss im Europaparlament und EU-Verhandlungsführer zu ACTA zurück. Er kritisierte, das Abkommen würde den Zugang zu lebensrettenden generischen Medikamenten beschneiden und die Internetfreiheit einschränken.
Arif sagte im Februar gegenüber dem Guardian, die einzig verbliebenen Optionen seien, das Abkommen entweder so anzunehmen oder abzulehnen, da im bestehenden Text keine Änderungen mehr möglich seien.
Erfolg der Bürger
Eine Handvoll von EU-Staaten, darunter auch Deutschland, hat die Unterzeichnung ausgesetzt, andere haben sich besorgt über die Auswirkungen für ihre Staatsangehörigen gezeigt. Zu den Ländern, die bereits unterschrieben haben, zählen die USA, Australien, Neuseeland, Kanada und Japan, jedoch hat noch keins der jeweiligen nationalen Parlamente diese Unterschriften ratifiziert.
Indien, einige afrikanische und andere Länder wiederum hegen Bedenken bezüglich der Konsequenzen, die ACTA auf die Lieferungen generischer Pharmazeutika hätte, die sie erhalten.
Nach Angaben von Abgeordneten ist die parteiübergreifende Abstimmung in den Ausschüssen ein Zeichen dafür, dass das EU-Parlament ACTA bei der endgültigen Abstimmung am 3. Juli ablehnen wird. Das wäre dann das erste Mal, dass das Europaparlament ein internationales Abkommen zurückgewiesen hat, seit im Jahr 2008 seine Befugnisse hierauf erweitert wurden.
„Hier geht es um sehr viel mehr, als nur um ACTA. Es geht darum, dass das Europaparlament sich als unabhängige und demokratische Institution verhält“, sagte Joe McNamee von der Lobby European Digital Rights (EDRi).
Gericht soll trotzdem entscheiden
Peter Bradwell von der Open Rights Group sagte: „Die Europaparlamentarier haben vielen, vielen tausenden Menschen aus ganz Europa zugehört, die immer wieder verlangt haben, dass diesem mangelhafte Vertrag der Laufpass gegeben wird. Nun hat der fünfte Ausschuss in Folge gesagt, ACTA solle abgewiesen werden. Jetzt liegt es an der Abstimmung durch das gesamte Europarlament im Juli, ACTA ein für alle Mal die Tür vor der Nase zuzuschlagen und diesem bedauerlichen Schlamassel ein Ende zu bereiten.“
Der 31 Mitglieder starke Handelsausschuss des europäischen Parlaments kam zu der Einschätzung, dass das Abkommen in der vorgeschlagenen Fassung Einzelpersonen zu kriminalisieren drohe, die Musik oder Filme von illegalen Torrentseiten herunterladen.
Die Europäische Kommission, die das Abkommen im Auftrag der EU ausgehandelt hat, hat das höchste Gericht der EU gebeten, zu entscheiden, ob ACTA eine Verletzung der Privatsphäre der Bürger darstelle. Die Entscheidung des Gerichts kann bis zu ein Jahr auf sich warten lassen.
„Durch die Empfehlung, ACTA zurückzuweisen, hat der Handelsausschuss heute ein Ja zu Demokratie und Grundrechten abgegeben“, so die Analystin Raegan MacDonald von der US-amerikanischen Pressure Group Access. „Es handelt sich um einen wichtigen Schritt nach vorne in einem langen Kampfes. Wir waren noch nie so nah dran, dieses Abkommen ein für alle Mal zu begraben.“
Weiterhin sagte sie: “Die Bewegung gegen ACTA ist für die Zukunft des offenen und universellen Netzes bestimmend geworden. Wir freuen uns sehr über die heutige Entscheidung, aber das ist noch nicht das Ende. Access wird bis zum Letzten daran arbeiten, dass nichts von Acta übrig bleibt.“
Kommentare 1
Die Debatte ist etwas unglücklich in Deutschland. Es werden Fronten aufgebaut zwischen Musikern, Filmemachern und Schriftstellern auf der einen Seite und Fans auf der anderen Seite. Dabei vergisst man die Produktionsbedingungen, Konsumbedingungen und Geschäftsmodelle mit der geistige, digitalisierbare Güter möglich werden.
Die grossen Kunstwerke sind immer mit Hilfe von Subventionen und politischer Protektion zustande gekommen. Die Entscheidungen im Urheberrecht wem das Eigentum zuzusprechen ist, ist einfach eine praktische Erwägung die Arbeitsmotivation hochzuhalten. Das Eigentumsrecht wurde nie den realen Kostenträgern zugesprochen. Die Verwertung von Gedanken, Stoffe und Ideen wurde reguliert und einiges dem "geistigen Diebstahl" einzuordnende Tatbestände wegdefiniert.
Mit der digitalen Reproduzierbarkeit und Breitbandverbindungen ähneln digitalisierbare Güter, öffentlichen Gütern vom deren Genuss man niemand effektiv ausgrenzen kann. Die alten Eigentumstitel und darauf aufbauenden Geschäftsmodelle sind von der Technologie-Regen wie Zucker im Regenwasser aufgelöst worden.
Die Produktion geistiger Arbeit greift immer auf öffentlich subventionierte geistige Arbeit zurück. Die private Aneignung der geistigen Arbeit über das Urheberrecht funktioniert nicht mehr, weil nach der Produktion die digitale Distribution über filesharing das Gut zum öffentlichen Gut wird.
Da das digital, reproduzierbare öffentliche Gut global genutzt wird, sollte man über internationale Abgaben für die Subvention der Produktion geistiger Arbeit nachdenken.
Normalerweise werden öffentliche Güter durch Steuern, Gebühren und Gewinnspiele subventioniert. In den Staaten mit breiten Internetzugang sollte man über einen gemeinsamen Finanzierungstopf reden.
Der Finanzierungstopf kann für Subventionen, Anleihen und Steuerbegünstigungen der Wissensarbeiter herangezogen werden.
David Bowie hat ein Album mit Hilfe des Finanzmarktes vorfinanziert. Warum erlassen wir nicht ein Gesetz ? David Bowie muss sein Album im Portfolio mit Hochliteratur auf dem Kapitalmarkt platzieren. Die unsicheren Rückzahlungsströme der Hochliteratur wird mit Spekulationsgewinnen der Bowie-Anleihen subventioniert.
Warum schöpfen wir nicht die Gewinne der Pornoindustrie und der Finanzindustrie für die Steuerbegünstigung von Wissensarbeitern ab ? Die Penetration der Konsumenten mit Breitband-Technologie verdankt die krisengeschüttelte Geistesarbeit der Pornoindustrie. Die Erodierung der Steuerbasis für öffentliche Subventionen verdankt man dem globalen Kapital und ihrer Nutzung elektronischer Handelsmärkte.
Es wäre nur gerecht, die Werbeeinnahmen bei der Internetpornographie abfliessen zu lassen, wenn mann sie schon nicht verbieten will. Was ist mit der Finanzindustrie mit ihren Offshore-Banken, Versicherungen und Glücksspielparadiesen. Sollte man nicht das übertragende Datenvolumen aus Handelsdaten und Überweisungsinformationen besteuern?
Und nicht zuletzt das organisierte Verbrechen mit den Input Produktionsfaktoren Waffen und Steuerparadiese für die Geldwäscherei, die zusammen mit den illegalen Filehostern die liberale Rechtssprechung an einigen Standorten ausnutzt. Sollte die Rüstungsindustrie nicht mit zur Kasse gebeten werden, weil sie dem organisierten Verbrechen hilft und die wiederum die Steuerschlupflöcher zusammen mit den Filehostern ein auskömmliches volkswirtschaftliches Einkommen sichert.
Nicht zu vergesssen die Firma Apple mit ihrer ausbeuterischen Smartphone-produktion in den Sonderwirtschaftszonen Asiens. Sie liefern die Endgeräte für die Untergrabung des alten Urheberrechtes. Sollte nicht ein Zoll auf diese Produkte erhoben werden, um die geistigen Güter bereitzustellen, die auch den Sonderwirtschaftszonen nutzen.
Und was ist mit den Energieversorgern, die in Brasilien Regenwald roden um Bio-Fuel herzustellen, Holzkohle-Pellets vertreiben, Kohlekraftwerke und Atomkraftwerke unterhalten. Sie alle profitieren vom Energieverbrauch der Daten-Center und der Endgeräte. Gleichzeitig erhalten Industrie unverschämt billige Energiepreise im Vergleich zu Haushalten. Auch sie müssen einen Beitrag leisten.
Die Schuldfrage muss neu debattiert werden.