Nairobis Einmarsch resultiert nicht aus Altruismus. Für Kenia und andere Nachbarländer, nicht zuletzt den fragilen Jemen, ist der gescheiterte Staat Somalia zu einem im heftigeren Strudel von Instabilität, Leid und Terror geworden. Zwar hat es schon früher grenzüberschreitende Operationen gegeben, doch noch keine von solchen Ausmaßen. Die gegenwärtige Aktion ist in mancherlei Hinsicht mit Äthiopiens Einmarsch 2006 vergleichbar.
Es ist ein Wunder, dass Kenia nicht schon früher interveniert hat. Mittlerweile suchen 460.000 Somalier im größten Flüchtlingslager der Welt im kenianischen Dadaab Zuflucht vor Krieg und Hunger. Kenias 750-Millionen-Dollar schwere Tourismusindustrie hat einen drastischen Einbruch erlitten, seit die Miliz al-Shabaab ihren Fokus nach Süden verlagert hat und westliche Touristen und Hilfsarbeiter ins Visier nimmt. Im September wurde die Britin Judith Tebbutt entführt – ihr Mann David Tebbutt erschossen. Vor Wochenfrist brachen Kämpfe an der somalisch-kenianischen Grenze aus und fügten dem chronischen Problem der somalischen Piraterie im Indischen Ozean eine terrestrische Dimension hinzu.
Attentat am 4. Oktober
Nach der Entführung einer Französin erklärte Kenias Innenminister George Saitoti, die Lage sei nicht länger tragbar. „Dies stellt eine ernsthafte Provokation gegenüber Kenias territorialer Integrität seitens al-Shabaab dar. Dies hat negative Auswirkungen auf die Tourismusindustrie und unsere Investitionen ganz allgemein.“ Diejenigen, die geglaubt hätten, Kenia provozieren zu können, hätten einen großen Fehler gemacht, so Saitoti weiter. Angesichts des herrschenden innen- wie außenpolitischen Drucks ist nun für seine Regierung der Zeitpunkt zum Gegenschlag gekommen.
Doch die Vermutung, al-Shabaab habe es bewusst auf eine Ausweitung des Konfliktes angelegt, dürfte falsch sein. Viel wahrscheinlicher erwächst ihr Verhalten aus Schwäche und einer schwindenden Kontrolle innerhalb der Miliz. Im August hat sich die Miliz weitgehend aus Mogadischu zurückgezogen. Es war zwar von einem nur taktischen Rückzug die Rede. Doch schien die Aktion eher dem Druck der somalischen Regierung, der Vereinten Nationen und der durch die Afrikanischer Union unterstützten Friedensmission Amisom geschuldet. Ein willkürliches Selbstmordattentat, das am 4. Oktober in Mogadischu Dutzende in den Tod riss, lässt vermuten, dass die al-Shabaab den Bewohnern der Hauptstadt erneut den Krieg erklärt haben.
Das härtere Vorgehen der Internationalen Gemeinschaft zur Eindämmung der Piraterie mag ebenfalls ein Grund dafür sein, warum sich al-Shabaab auf dem Rückzug befindt. Berichten zufolge sind sie auch durch interne Streitigkeiten darüber geschwächt, wie man mit der schweren Hungersnot umgehen soll, die das Innere und den Süden des Landes fest in ihrem tödlichen Griff hält. Einige der Militanten vertreten die Auffassung, westliche Helfer sollten grundsätzlich außer Landes gehalten werden, obwohl die Hungerleidenden dringend Hilfe benötigen, die ihnen al-Shabaab nicht bieten kann.
Die Obama-Doktrin
Es lässt sich nicht sagen, welchen Einfluss der geheime Krieg ausübt, den die USA von ihrer afrikanischen Kommandozentrale Camp Lemonier in Dschibuti gegen al-Shabaab und andere mit al-Qaida sympathisierende Gruppen führen. Diese Operationen dürften aber ebenfalls zu den gegenwärtigen Schwierigkeiten der Miliz beitragen. Er genügt wohl, darauf hinzuweisen, dass die gestiegene Zahl von US-Drohnenangriffen im Jemen auf der anderen Seite des Golfes von Aden in Somalia ihre Entsprechung haben dürfte. Die Amerikaner beunruhigen Berichte, denen zufolge in Somalia unter dem Banner der al-Shabaab ausländische Dschihadisten aus Südasien, Europa und sogar Nordamerika einsickern sollen.
Unter Barack Obama hat die US-Politik in gewisser Hinsicht damit begonnen, al-Qaida zu imitieren: Wenn sich „legitime“ Ziele zur Eliminierung anbieten, missachtet sie souveräne Grenzen wie internationales Recht gleichermaßen. Diese nie offen ausgesprochene Obama-Doktrin scheint in Pakistan, Afghanistan, Libyen und am Horn von Afrika gleichermaßen Anwendung zu finden. In einem überraschenden Schritt, der in der vergangenen Woche verkündet wurde, hat der US-Präsident 100 Mann einer speziellen Kampfeinheit in den Südsudan und die Demokratische Republik Kongo entsandt, um dort den Kampf gegen die Rebellen der Widerstandsarmee des Herrn zu unterstützen. Zwar sollen diese angeblich nur beratend tätig werden – wo die Beratung aufhört, ist aber dahingestellt. Für das Protokoll sei angemerkt, dass die USA stets bestritten haben, sie hätten Sondereinsatzkräfte nach Somalia entsandt.
Es ist nicht zu erwarten, dass die kenianische Regierung versuchen wird, Gebiete im Süden Somalias längerfristig zu besetzen. Experten für die Region gehen viel mehr davon aus, dass Nairobi die somalischen Regierungstruppen unterstützt und regionale Milizen ausrüstet, die al-Shabaab feindlich gesonnen sind. In der Vergangenheit war auch schon die Einrichtung einer Pufferzone im Gespräch, wie die Israelis sie einst im Süden des Libanon unterhielten, und die Türkei sie im Norden Syriens in Erwägung zieht. Doch es besteht die Gefahr, dass die Kenianer in feindlichem Territorium steckenbleiben – ein Schicksal, das schon besser ausgerüsteten Armeen widerfahren ist. Al-Shabaab-Führer haben bereits den heiligen Krieg gegen die kenianischen Truppen ausgerufen und geschworen, sie wieder hinter die Grenze zurückzuwerfen. In Kenia wächst die Gefahr terroristischer Anschläge. Im Juli 2010 tötete al-Shabaab mit einem Bombenanschlag in Kampala 70 Menschen, um Uganda für die Entsendung von Friedenstruppen zur Unterstützung der Regierung in Mogadischu zu bestrafen. Nairobi könnte das gleiche Schicksal ereilen.
Nichtsdestotrotz sollte die mutige Entscheidung der Kenianer, sich in den Konflikt einzuschalten, vom Westen unterstützt werden. Ebenso wie Nothilfe beginnt effektive Friedenserhaltung vor Ort. Und wenn afrikanische Länder den Mut aufbringen, ein afrikanisches Problem anzugehen, anstatt abzuwarten und sich zu beschweren, wenn der Westen es an ihrer Stelle zu lösen versucht, kann man dem nur Beifall zollen.
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