Nicht verzweifeln! Noch ist es nicht zu spät

Klimawandel Laut neuester Berichte sieht die Zukunft heiß und gefährlich aus. Aber politischer Wille und Graswurzelbewegungen können das noch immer ändern
Waldbrände in Griechenland. Die Hitze des Sommers führt uns vor Augen, welche Dystopie uns drohen könnte. Wir müssen endlich reagieren
Waldbrände in Griechenland. Die Hitze des Sommers führt uns vor Augen, welche Dystopie uns drohen könnte. Wir müssen endlich reagieren

Foto: Angelos Tzortzinis/AFP/Getty Images

Dies ist der Sommer, in dem für viele der Klimawandel Realität geworden ist. Die Zukunft erscheint glühend heiß und gefährlich. Infolge der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten, "Fake News" und dem prekären Zustand der Brexit-Verhandlungen liegt Verzweiflung in der Luft. Und jetzt gibt es auch noch einen neuen wissenschaftlichen Bericht, demzufolge auch moderate CO2-Emissionen einen katastrophalen Dominoeffekt anstoßen könnten. Durch das Schmelzen des Permafrosts freigesetztes Methan könnte die globalen Temperaturen so sehr in die Höhe treiben, dass ein Großteil des Amazonas-Wälder abstirbt und so eine die ganze Welt betreffende Kettenreaktion auslöst, die die Erde in einen schrecklichen neuen Treibhaus-Zustand versetzt, aus dem es kein Zurück gibt. Die Zivilisation, wie wir sie kennen, würde das sicherlich nicht überleben. Aber wie gehen wir mit solchen Nachrichten um?

Als Wissenschaftler auf diesem Gebiet kann ich vielleicht die Schlagzeilen um ein paar Nuancen ergänzen. Die gängige Auffassung sieht so aus: Je niedriger die zukünftigen CO2-Emissionen, desto weniger Erwärmung und Verwüstung ist im Laufe des Jahrhunderts zu erwarten. Das ist sicherlich richtig. Doch die Sommer-Hitzewelle und die bedrohlichen Treibhaus-Nachrichten sind uns eine Mahnung, dass die Klimaveränderungen, die wir erleben werden, nicht glatt, schrittweiseweise und linear. Sie sind möglicherweise, schnell, abrupt und können gefährliche Überraschungen bringen. Dennoch ist eine unaufhaltsame, sich global ausbreitende Kaskade an Katastrophen – wenn auch möglich – so doch nicht sehr wahrscheinlich.

Aber auch ohne glühendes Treibhaus-Szenario sind wir dabei, die Erde in diesem Jahrhundert zu verändern. Auch nach 30 Jahren voller Warnungen ist die Welt in Sachen Reduzierung der CO2-Emissionen kaum vorangekommen. Der Ausstoß müsste eigentlich schnell auf Null sinken. Aber nach Jahren des Anstiegs stagniert er im besten Fall, während weiter in den Abbau neuer fossiler Brennstoffe investiert wird. Die Temperaturen liegen etwa ein Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau und wir sind dabei, weitere zwei bis drei Grad hinzuzufügen.

Dystopie lässt sich leicht vorstellen

Kann unsere Zivilisation dieses Maß an Erwärmung überstehen? Die ehrliche Antwort ist, dass niemand es weiß. Eine Dystopie lässt sich leicht vorstellen: Europa schafft es nicht einmal, mit einer relativ kleinen Zahl an Einwanderern gut umzugehen, und die Migrantenströme werden in Zukunft sicher noch deutlich zunehmen, da die Migration selbst eine Anpassung an den rapiden Klimawandel ist. Wie werden die kälteren, reicheren Teile der Welt auf zig Millionen von Menschen reagieren, die aus dem heißeren, ärmeren Teil fliehen? Ergänzt man diesen Faktoren-Mix noch um die langfristig stagnierenden Einkommen der meisten Menschen im Westen und um – durch das Klima verursachte – Missernten, die zu massiv erhöhten Lebensmittelpreisen führen, hat man schnell ein explosives Gemisch für weitverbreitete Unruhen, die die politischen Institutionen überfordern könnten.

Man kann sich leicht vorstellen, wie sich diese miteinander zusammenhängenden Krisen mit dem Ruf der neuen Rechtspopulisten nach starken autoritären Anführern verzahnen, die diese Probleme angeblich lösen können. Nach innen gerichtete Nationalisten könnten dann noch weiter von dem Internationalismus abrücken, der notwendig ist, um weiterhin eine stabile globale Nahrungsmittelversorgung zu sichern und die Migration auf humane Weise zu managen. Ohne eine internationale Zusammenarbeit ist eine ernsthafte Reduzierung der Treibhausgase unrealistisch. Dadurch würden sich wiederum die zugrunde liegenden Faktoren verschärfen und in eine immer schlechtere, isolationistische, faschistische Zukunft münden.

Tritt man jedoch einen Schritt hinter diese düstere Vision zurück, stehen wir bei der Frage, wie wir auf den Klimawandel reagieren, vor den gleichen drei Wahlmöglichkeiten wie vor der sengenden Hitze dieses Sommers: Wir können entweder Treibhausgas reduzieren (Eindämmung), uns an die neuen Bedingungen anpassen und versuchen deren negative Wirkung zu reduzieren (Anpassung) oder schließlich einfach die Konsequenzen erleiden, wenn wir Möglichkeit eins und zwei versäumen. Es ist sehr sinnvoll, sich auf diese drei Optionen zu besinnen und sich auf die Formel zu einigen, dass ernsthafte Eindämmung und kluge Anpassung zu weniger Leid führen.

Eine Frage der Macht, des Geldes und des politischen Willens

Obwohl diese schlichte Formel Jahrzehnte alt ist, agiert die Menschheit nicht nach ihr. Wir steuern auf ein bisschen Eindämmung, sehr wenig Anpassung und sehr viel Leid hin. Warum ist das so? Der Grund ist folgender: Während die Diagnose, dass der Klimawandel ein Problem ist, eine wissenschaftliche Angelegenheit ist, ist es die Reaktion darauf nicht. Fossile Treibstoffe in der Erde zu lassen beispielsweise, ist eine Frage der Regulierung und Investitionen in erneuerbare Energien sind eine politische Entscheidung. Die Modernisierung des bestehenden Wohnraums, um ihn energieeffizient zu machen, ist wiederum nur gegen die mächtige Lobby der Bauindustrie durchzusetzen.

Die Bekämpfung des Klimawandels ist eine Frage der Macht, des Geldes und des politischen Willens. Das bedeutet, dass man auf allen Ebenen über den Klimawandel sprechen und sich in der Politik engagieren muss. Eine Möglichkeit, den Klimawandel bei den nächsten Parlamentswahlen ins Zentrum zu stellen, wäre es, Kandidaten in wichtigen umkämpften Wahlkreisen darauf anzusprechen, ob sie ernsthafte Klimaschutz-Gesetzgebung unterstützen würden. Im Gegenzug könnten hunderte Klimaschutz-Aktivisten in diesen Wahlkreisen von Tür zu Tür gehen, Handzettel verteilen und die Wahl der entsprechenden Kandidaten unterstützen. So würde ein ernsthafter Dialog an der Basis entstehen und Klimaschutz zu einem Wahlkampfthema machen. Viele Leute außerhalb und innerhalb des Parlaments wären bereit, Lobbyarbeit für die notwendige transformative Gesetzgebung zur Eindämmung und Anpassung zu leisten.

Den Klimawandel als praktisches politisches Problem zu verstehen, hilft gegen Verzweiflung, weil wir wissen, dass in der Vergangenheit enorme politische Veränderungen vorgekommen sind und auch heute noch geschehen. Es liegt an uns, wie die Zukunft aussieht, wenn wir kollektiv handeln und uns in der Politik engagieren. Antonio Gramsci sprach vom "Pessimismus des Verstandes" aber dem "Optimismus des Willens". Auf diese Weise betrachtet, können wir Politik als Kampf zwischen zwei Zukunftsvisionen verstehen, die eine von Furcht, die andere von Hoffnung geprägt. Diese Hoffnung basiert auf einer besseren Vorstellung von der Zukunft und Möglichkeiten, sie zu gestalten. Die Kurzfassung ist, dass wir mit dem derzeit verfügbaren kolossalen Reichtum und dem bestehenden wissenschaftlichen Know-How viele der drängendsten Probleme der Welt lösen und alle gut leben könnten. Angesichts der Tatsache, dass die ökologischen Auswirkungen unserer Taten so langfristig sind, wird die Zukunft von der Politik bestimmt, die wir heute machen.

Simon Lewis ist Professor für "global change science" am University College London und der Univesity of Leeds. Gemeinsam mit Mark Maslin hat er das Buch The Human Planet: How We Created the Anthropocene verfasst, das bei Pelican erschienen ist

Übersetzung: Carola Torti

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Geschrieben von

Simon Lewis | The Guardian

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