Der britische Außenminister William Hague hat in der Vorwoche eingeräumt, dass Großbritannien nicht mehr tun könne, um der blutigen Niederschlagung der syrischen Demokratiebewegung ein Ende zu bereiten. Seiner US-Amtskollegin Clinton bleibt ebenfalls nur das Zählen der Toten. Der Nachbar Türkei ist da weit weniger gleichgültig und entsendet seinen Außenminister nach Damaskus, um dem syrischen Präsidenten die Leviten zu lesen.
Die jüngsten Versprechungen Bashar al-Assads, er wolle mehrere Parteien zu freien Wahlen antreten lassen, haben wie die vorangegangenen zu keiner Entspannung der Krise geführt, die seit März bereits 1.600 Menschen das Leben gekostet hat. Die an Wut grenzende Furcht der türkischen Regierung hat humanit
humanitäre wie auch strategische Gründe. Eine Flüchtlingswelle aus dem Nachbarland sorgt bereits für große Kopfschmerzen. Premier Tayyip Erdogan soll fuchsteufelswild darüber sein, dass seine persönlichen Bitten an Assad, mit dem Abschlachten der Bevölkerung aufzuhören und ernsthafte Reformen einzuleiten, von diesem ignoriert wurden. Mittlerweile hatte Erdogan die „Grausamkeit“ des Regimes in Damaskus öffentlich verurteilt.Fast im Krieg Die Türkei macht sich aber auch Sorgen, welchen Einfluss die Unruhen auf ihren Kampf gegen die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) haben könnten, deren Militante im Südosten des Landes aktiv sind und von denen viele aus Syrien stammen oder dort leben. Ein Bericht der National Intelligence Organisation (NIT) , der der englischsprachigen türkischen Tageszeitung Today's Zaman vorliegt, spricht davon, über 1.500 PKK-Kämpfer syrischer Abstammung hielten sich in der Bergregion Kandil auf, die sich über Teile der Türkei, des Irak, Syriens und Irans erstreckt. Der in dem Bericht erhobene Vorwurf, Syrien kooperiere nicht genug mit den türkischen Anti-Terror-Bemühungen, erinnert an die neunziger Jahre, als Damaskus der PKK Zuflucht gewährte und deren mittlerweile inhaftierten Anführer Abdullah Öcalan beherbergte. Damals wäre es zwischen den beiden Ländern fast zum Krieg gekommen, zumal sie noch andere Gebietskonflikte um Wasserressourcen auszutragen hatten. Die Beziehungen haben sich zwischenzeitlich zwar wieder verbessert, erodieren aber gerade rapide.Die iranische Weigerung, Informationen über die eigenen anti-kurdischen Maßnahmen mit Ankara zu teilen, und die enger werdenden Beziehungen Teherans mit dem syrischen Regime sind ein weiterer Grund für die Besorgnis in Ankara. Davutoglu bestätigte jüngst, man habe eine mutmaßlich für die libanesische Hisbollah bestimmte Schiffsladung mit Waffen abgefangen. Bereits im März war eine Flugzeugladung mit automatischen Gewehren, Raketen- und Granatwerfern aus iranischer Produktion beschlagnahmt worden. Durch seine zunehmende Isolierung wird das Bündnis mit Teheran für Assad immer wichtiger – und damit für die Türkei immer beunruhigender: Deren Versuche, sich etwa in der Atomfrage als Vermittler zwischen Iran und dem Westen zu profilieren, haben beide Seiten irritiert und keinen nennenswerten Erfolg gezeitigt. So erhält Davutoglus Besuch in Damaskus die Anmutung einer Machtprobe. „Wir sind bislang äußerst geduldig gewesen und haben abgewartet … ob man auf das hört, was wir gesagt haben. Aber unsere Geduld ist langsam am Ende“, so Erdogan. Was in Syrien vor sich gehe, so der türkische Premier weiter, stelle für sein Land angesichts gemeinsamer Geschichte, kultureller Bande und einer 850 Kilometer langen gemeinsamen Grenze eine „innere Angelegenheit“ dar. „Wir können nicht mehr länger daneben stehen und zuschauen.“Sicherheitszone in Nordsyrien?Die Spekulationen häufen sich, dass die Türkei für den Fall einer erneuten Zurückweisung Schritte erwägt, die von diplomatischen und wirtschaftlichen Strafmaßnahmen bis hin zur Errichtung einer von türkischem Militär überwachten Sicherheitszone im Norden Syriens reichen könnten. Würde sie zu einer derart riskanten Intervention ausholen, hätte die Türkei nach libyschem Vorbild durchaus das Recht, ihre NATO-Verbündeten um Unterstützung zu bitten. Erdogan kann sich vom gerade lancierten Appell des Golfkooperationsrates bestätigt fühlen, den Gebrauch „exzessiver Gewalt“ zu beenden und „ernsthafte Reformen“ einzuleiten. Vergangene Woche unterstützte mit Russland ein traditioneller Alliierter Syriens eine verurteilende Erklärung des UN-Sicherheitsrates. Präsident Medwedjew warnte Assad, ihm werde ein „trauriges Schicksal“ zuteil, wenn er seinen Kurs nicht ändere.All das lässt darauf schließen, dass Hagues Aufforderung erhört wurde, die nicht-westlichen Regierungen sollten mehr Druck auf Assad ausüben. Dies wirft ein Schlaglicht auf ein Motiv, das sich im 21. Jahrhundert vermutlich noch öfter wiederholen wird. Wo Großbritannien und die USA immer seltener handeln können oder wollen, übernehmen andere die Führung – und machen es womöglich besser.