Nur noch ein kahles Skelett

Somalia Das als "failed state" geltende Land in Ostafrika hat wieder eine neue Regierung, die für Hoffnung sorgt, auch wenn Mogadischu nach wie vor einem Alptraum gleicht
Angehöriger der neuen somalischen Armee
Angehöriger der neuen somalischen Armee

Foto: Stuart Price / AFP / Getty Images

Im Schutze der Dunkelheit schleichen die Männer hinaus in die Straßen von Mogadischu. Sie wollen für Aufmerksamkeit sorgen mit einem spektakulären politischen Statement – Muhijidin Sharif Ibrahim, Adan Farah Affej, Mohamed Ali Tohow und Ahmed Ado sind ein Malerkollektiv, das mit Guerillakunst das Antlitz der Hauptstadt verändert. Ihre Botschaft – für Frieden, gegen Korruption – wird getragen von einer Welle des Optimismus, wie man das hier zwei Jahrzehnte lang nicht mehr kennt.

Die militanten Islamisten sind davongejagt worden, tausende Auswanderer buchen Rückflüge, eine neue Verfassung ist beschlossen worden, am 20. August hat ein neuer Präsident die erste funktionsfähige Regierung seit 1991 gebildet. Für das lange als hoffnungslosester gescheiterter Staat der Welt erachtete Somalia ist eine entscheidende Zeit angebrochen.

Noch gleicht Mogadischu einem Albtraum. Zahllose Gebäude liegen in Trümmern, eine Treppe steigt einsam in die Höhe, wo einst ein Haus stand. Von einem ehemaligen Grand-Hotel ist nur noch ein kahles Skelett übrig, das Mauerwerk eines Kirchenschiffs ist zertrümmert, Strandbars und Restaurants ähneln antiken Ruinen. Kaum eine Wand ist frei von Einschusslöchern, die Straßen sind voller Furchen und Schlaglöcher und bei Regen rasch überflutet, der stinkende Müll wird nicht eingesammelt. Zwischen den Trümmern schlafen Menschen in Zelten, die ihr Heim verloren haben. Überall sind Gewehre.

Im Chaos verloren

In dieser apokalyptischen Szenerie arbeiten die Künstler. In ihrem Werkstattstudio lehnen ihre riesigen Arbeiten an den Wänden. Ein Diptychon zeigt Nagetiere, die mit Säcken voller Geld vor „dem Büro von Sie wissen schon wem“ Schlange stehen und daneben die Szene von Menschen mit Qualifikationen, die sich „vor dem Was-können-Sie-Büro“ hintereinander reihen. Ein Triptychon zeigt einen gefallenen jungen Somalier, der sich vom Boden erhebt und schließlich mit der Nationalflagge in der Hand aufrecht steht.

Inzwischen wurden diese Bilder heimlich an prominente Orte der Stadt transportiert, um dort öffentlich Gerechtigkeit, Sicherheit und eine nationale Vision zu fordern. Die Künstlerveteranen lassen so eine Kultur wieder aufleben, die vor 21 Jahren zerstört wurde, als die somalische Regierung zusammenbrach und Warlords das Vakuum füllten.

Der 62-jährige Ibrahim entspannt sich auf einem Autosessel. Das dazugehörige Fahrzeug gibt es schon lange nicht mehr. Er hat unter einem italienischen Mentor das Malen gelernt und war einst offizieller Porträt-Maler des Präsidenten. Viele seiner Arbeiten gingen im Chaos verloren. Dann kamen die Al-Schabaab-Milizen und brachten den Anschein von Ordnung und Jugend, aber auch ein Verbot von Fernsehen, Musik, BHs und Bildern, die Menschen oder Tiere zeigten.

Die vier Maler machten dennoch weiter, im Verborgenen, und konnten, als die al-Schabaab im Vorjahr durch äthiopische Truppen aus Mogadischu vertrieben wurden, wieder offen arbeiten. Nun unterrichten sie im Rahmen eines vom somalischen Centre for Research and Dialogue durchgeführten Programms junge Menschen. Affej hofft sogar, Somalias allererste Kunstakademie aufbauen zu können. Dabei hatte er früher Angst vor jungen Menschen .

Gewehr und Macht

"Die Al-Schabaab haben die Jugendlichen benutzt, um neue Leute zu rekrutieren. Jugendliche konnten kommen und einen umbringen. Aber ich glaube, dieses Projekt kann sie davon abhalten, sich den al-Schabaab anzuschließen. Künstler müssen sich konzentrieren. Sie bekommen hier einen Lebensstil beigebracht. Als Künstler muss man sanft und klug sein.“ Er war zwei Jahre bei den Milizen, hat für sie an Checkpoints Geld eingetrieben und dort gesehen, wie Menschen, auch Kinder, getötet wurden. „Am Checkpoint hatten die Leute Angst vor mir“, erzählt er. „Man hatte dort ein Gewehr und die Macht. Damals habe ich mich benommen, als wäre ich der mächtigste Mann der Stadt. Er vermisse das aber nicht, „weil es falsch war – entweder man tötet oder wird getötet. Beides nutzt einem nicht. Ich habe schlimme Dinge gesehen, die ich nicht noch einmal sehen möchte.“ Über die Künstler sagt er: „Das sind die einzigen Menschen, die ich bewundere – solche Leute habe ich noch nie gesehen.“

Leiter des Zentrums, das sich als Think Tank für Versöhnung versteht, ist der 42-jährige Jabril Ibrahim Abdulla, der seine ganze Familie im Bürgerkrieg verloren hat. Er sagt, die jungen Leute, die den größten Anteil der Bevölkerung ausmachen, würden das Schicksal Somalias entscheiden. „In der neuen Verfassung ist keine Rede von der Jugend. Niemand fragt sie. So kam es zu den al Schabaab, die haben sich sogar „Jugend“ (schabaab - die Red.] genannt. Sie haben sich so an die jungen Leute gewandt, wie es eigentlich die Regierung tun sollte. Sie haben über Facebook Leute aus der Diaspora rekrutiert, um sich selbst in die Luft zu jagen.“

Vier oder fünf“ Anschläge auf sein Leben habe er überlebt, schätzt Abdulla. Gerade einen Tag vor unserem Gespräch ist der Leiter des Internationalen Flughafens auf dem Weg zum Frühstück niedergeschossen worden. Dennoch stellen der Sieg über die al-Schabaab in Mogadischu und der relative Frieden, der sich seither eingestellt hat, einen Hoffnungsschimmer dar. Am Strand sieht man wieder Fußball spielende Jungs, auf dem Fischmarkt herrscht emsiges Treiben. In der Stadt drängen sich voll besetzte Minibusse, Geländewagen mit verdunkelten Scheiben und Limousinen, die bessere Tage gesehen haben. So eine Geschäftigkeit wäre noch vor einem Jahr – zwischen Kugeln und Granaten – undenkbar gewesen.

Zum ersten Mal passiert etwas in Somalia“, sagt Jabril Abdulla. „Die Leute sagen: „Wir werden uns nicht auf die Regierung verlassen.“ Was in Mogadischu zu sehen ist, hat nichts mit der Regierung zu tun. Die Leute sagen „Genug ist genug". An die 150 Gebäude werden renoviert. Die al-Schabaab werden durch den Willen und das Streben der Menschen besiegt – die sind bereit, die Vergangenheit hinter sich zu lassen.

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Gekürzte Fassung, Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

David Smith | The Guardian

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