Iran Es ist ein Jahr vergangen, seit das iranische Volk in Scharen auf die Straßen strömte, um gegen die Wahlfälschungen bei der damaligen Präsidentenwahl zu protestieren
Vor sechs Monaten war der 24-jährige Muhammed Hussein Torkaman noch ein Mitglied der iranischen Revolutionsgarden und für den Schutz von Präsident Mahmud Ahmadinedschad zuständig. Als Mitglied der inneren Sicherheitstruppe – der Sar-Allah oder „Rächer Gottes“ – sei er auch während der Proteste vor einem Jahr für die persönliche Sicherheit von Revolutionsführer Ayatollah Chamenei verantwortlich gewesen. Er wurde danach Zeuge wachsenden Widerspruchs in den eigenen Reihen. „Es gab Revolutionsgardisten, die Befehle verweigert haben, obwohl man sie streng bestraft, suspendiert und ins Gefängnis gesteckt hat.“
Heute versteckt sich Torkaman in einer kleinen, unauffälligen Wohnung in der Zentraltürkei, w
52;rkei, wo er zusammen mit seiner Frau und seinem zweijährigen Sohn Asyl beantragt hat. Sein Bericht über die Verderbtheit der iranischen Regierung und die Art und Weise, wie sie jegliche Art des Widerspruchs erstickt, wird mit einem Dokumentarfilm dargestellt, den Guardian-Films in Kooperation mit dem Bureau of Investigative Journalism produziert hat: Vier ehemalige Revolutionsgardisten enthüllen darin das Ausmaß an Enttäuschung und Spaltung in ihrer ehemaligen Organisation. Am bedeutendsten dürften die Belege dafür sein, dass einzelne Sektionen der Elitetruppen, die zum Kern des Regimes gehören und sowohl das Atomprogramm als auch weite Teile der iranischen Wirtschaft kontrollieren, wütend auf eben jene Führer sind, für die sie eigentlich traditionsgemäß in den Tod gehen wollten.Das Arbeitsverbot für ausländische Journalisten im Iran macht es freilich schwierig, Torkamans Behauptungen zu überprüfen, es habe angesichts der „Terrorherrschaft“ der Regierung „gegen das eigene Volk“ Akte der Verweigerung bei den Revolutionsgarden gegeben. Obwohl das Land offiziell den Titel Islamische Republik trage, so Torkaman, gebe es „ im Augenblick im Iran keinen Gott“. Er habe Angst um seine Sicherheit und glaube, dass der iranische Sicherheitsdienst ihm auf den Fersen ist. „Bitte machen Sie außerhalb der Wohnung keine Filmaufnahmen. Das ist zu gefährlich.“Immer paranoider Was der Geflohene über das Ausmaß des Widerspruchs innerhalb der Garde offenbart, wirft Fragen nach ihrer Loyalität zum Präsident und zum Oberstem Führer auf. Torkaman sagt, die Zweifel unter den einst loyalen Fußsoldaten hätten sich durch die brutale Art und Weise verstärkt, mit der jegliche Form der Opposition durch das immer paranoider werdende Regime angegriffen wurde. „Durch meinen Beruf traf ich alle fünf Tage auf hochrangige Repräsentanten des Staates, wie Präsident Ahmadinedschad und seine Minister. Für gewöhnlich traf der sich mit den Sicherheitskommandeuren des Obersten Führers, aber die Distanz wurde Schritt für Schritt immer geringer und schließlich sah ich ihn jeden Tag ... Ich konnte sehen, welche Angst sie hatten. Panik trat in ihr Handeln wurde durch Entlassungen und Ernennungen offenbar. “Die Gefahr, die man von den so genannten grünen Rebellen ausgehen sah, wurde erst jetzt wieder deutlich, als der Kommandeur der Revolutionsgarden die Proteste eine größere Bedrohung für die Republik nannte als den Krieg mit dem Irak (1980 - 1988). Generalmajor Mohammad Ali Jafari sagte: „Obwohl der Aufruhr im Vorjahr nicht länger als acht Monate dauerte, war er wesentlich gefährlicher als der Krieg, den Saddam Hussein uns aufgezwungen hatte.“ Torkaman zufolge war das Regime so beunruhigt, dass vor Jahresfrist für Ahmadinedschad und Chamenei ein Flugzeug bereitgestellt war, um sie jederzeit nach Syrien ausfliegen zu können. Chamenei sei so paranoid, dass er das Vertrauen in seine eigenen Sicherheitskräfte verloren habe und eine eigene zusätzliche Nachrichtendiensteinheit mit Abhör- und Überwachungsmitteln hinter seinem Büro eingerichtet habe, um die eigenen Spione ausspionieren zu können. Es werde auch erzählt, dass er täglich seine Leibwächter austausche, weil er Angst habe, ermordet zu werden.Das Prinzip, auf dem die Garde einst gegründet wurde – die Verteidigung der Errungenschaften der Islamischen Revolution von 1979 – seien „verraten“ worden, meint Torkaman. Verraten durch ein Regime, das die iranische Opposition brutal unterdrückt hat – mit unzähligen Hinrichtungen und Tötungen ohne Gerichtsurteil, Vergewaltigungen von Männern und Frauen und der Vertuschung der wahren Zahl der Demonstranten, die bei den Protesten zu Tode kamen.Doch obwohl innerhalb der Revolutionsgarden die Uneinigkeit zunehme, so Torkaman, bedeute dies nicht, der Sturz des Regimes stehe kurz bevor: „Es gibt einen Bruch, doch ich muss das genauer erklären. Sollte die Gefahr bestehen, dass das Regime gestürzt werden könnte, dann würden alle Sektionen Seite an Seite stehen... denn ihre Existenz hängt von diesem Regime ab.“Neue RekrutenDoch während die Uneinigkeit zunimmt, will das Regime die Garde mit Tausenden junger, formbarer Rekruten vom Land auffüllen, deren Loyalität weniger den Idealen der Revolution von 1979 als dem modernen iranischen Staat gilt. Der Ex-Gardist Major Mohammad Reza Madhi, der vor zwei Jahren aus dem Iran geflohen ist, glaubt, dass bewusst die Strategie verfolgt wird, die Reihen der Revolutionsgarde von den älteren Gardisten zu säubern, die am ehesten dazu neigten, die Motive des Regimes in Frage zu stellen. Auf einem Hochsicherheitsgelände in Bangkok meinte Madhi gegenüber Guardian Films, er stehe laufend in Kontakt mit ehemaligen Kollegen und verfolge die Ereignisse über das Internet.Während er spricht, jappst er nach Luft – die Folge von fünf Angriffen mit chemischen Waffen während seines siebenjährigen Dienstes im Krieg gegen den Irak. „Wenn altgediente Mitglieder der Revolutionsgarde die Praktiken des Regimes kritisieren und anmerken, dass diese gegen den Islam sind, werden sie vorzeitig in den Ruhestand versetzt oder an ihrer Arbeit gehindert“, erzählt er. Die neue Rekruten-Generation verfolge die Anweisungen, ohne Fragen zu stellen. „Die Mehrheit von ihnen hat keine Ahnung von Recht oder Unrecht. Sie holen diese jungen Männer und geben ihnen Waffen …“Dass die Garden so leicht neue Rekruten finden, kann kaum überraschen, denn sie unterhalten Beziehungen in alle Zweige der wichtigsten iranischen Institutionen. Sie werden auch als „Waffenkonglomerat“ bezeichnet und unterhalten eigene Marine- und Raketen-Einheiten, während die Al-Quds-Einheit die Funktion eines Nachrichtendienstes, einer Art SAS-Spezialeinheit und einer Hilfsorganisation in einem innehat. Madhis Behauptung, es ziehe sich ein Riss durch die Revolutionsgarden, wird durch die Aussage eines anderen ehemaligen Gardisten gestützt, der für Al-Quds arbeitete und mit dem Guardian nur unter der Bedingung sprach, dass seine Anonymität gewahrt bleibt. Nach seiner Aussage gibt es kleine Gruppierungen innerhalb der Garde, die über das Internet in Kontakt zueinander stehen und planen, wie sie der Opposition helfen können.Übersetzung: Holger Hutt/ Christine Käppeler
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