Reise durch das Rebellengebiet

Manu Chao Manu Chao tourte 1993 mit einer bunten Truppe Künstler und Schausteller durch Kolumbien. Sein Vater war dabei und hat einen fesselnden Reisebericht geschrieben

Es gibt nur wenige Musiker, die es einem Journalisten gestatten würden, ihre Band auf einer Tour durch eines der gefährlichsten Länder der Welt zu begleiten. Und vermutlich wären noch weniger begeistert, wenn es sich bei diesem Journalisten um den eigenen Vater handeln würde. Doch Manu Chao ist kein gewöhnlicher Musiker und sein Vater Ramon, Kritiker für die Monde Diplomatique, nicht irgendein Journalist – so betrachtet ist es vielleicht kein Wunder, dass sie sich 1993 zusammen auf eine legendäre Tournee begaben, die sie per Zug durch Kolumbien führte, und auf der nicht nur Musiker, Akrobaten und Tatoostecher dabei waren, sondern auch ein Feuer speiender Drachen und ein Eismuseum.

Ein Zug aus Eis und Feuer, so der Titel des Reiseberichtes, den Ramon unterwegs verfasste, liefert Manu Chaos wachsender Fan-Gemeinde magisch-realistische Einblicke in die Entwicklung, die die Musik des Weltmusikers genommen hat. Mehr als fünfzehn Jahre ist es inzwischen her, dass Chao und seine damalige Band Mano Negra mit einem Sonderzug durch Kolumbien fuhren, um an den Bahnhöfen kostenlos für die Menschen zu spielen, die sich den Eintritt zu Konzerten nicht hätten leisten können. Ein fünfzigköpfige Truppe französischer und kolumbianischer Mitstreiter hatte den Zug damals aus einer funktionstüchtigen Lokomotive und ausrangierten Wagons zusammengebaut, - ungeachtet der Warnungen vor Entführungen und Schlimmeren ging es dann auf Fahrt.

Eine Eisscholle für Aracata...

Teil des Vorhabens war es, als Hommage an den Roman Hundert Jahre Einsamkeit von Gabriel Maria Marquez, in welchem dem Eis eine Schlüsselrolle zukommt, eine Eisscholle nach Aracata zu bringen. Die Stadt war Inspirationsquelle für das Werk. Die Geschichte dieser Reise musste natürlich von jemandem niedergeschrieben werden.

Der jüngerer der beiden Chaos stellte allerdings ein paar Bedingungen: „Was du schreibst, muss jedem verständlich sein,“, sagte er seinem Vater. „Du darfst nicht zu viele literarische Referenzen verwenden. Dein letzter Roman war zu überladen. Ich habe ihn nicht zu Ende lesen können.“ Der Zug durchfuhr von der Armee und FARC-Guerilla umkämpfte Gebiete und machte dabei nicht nur diese neugierig, sondern zog auch Tausende von Zuschauern und einige blinde Passagiere an. Die Widerstandskraft der Menschen beeindruckte Manu tief, im Buch erinnert er sich an die Zeit, die er mit Straßenkindern in Bogotá verbrachte: „Das Leben ist für sie die Hölle. Doch trotz allem sind sie fröhlicher als du und ich. Sie sind zwölf Jahre alt, vollgepumpt mit Drogen und keins von ihnen ist mehr Jungfrau. Wenn sie sich abends schlafen legen, wissen sie nicht, ob sie aufwachen werden – oder ob es ihnen so ergehen wird: Plastiktasche über den Kopf, in den Kofferraum eines Autos, über die Berge und- peng – Kugel in den Kopf.“ Ramon ließen die Begegnungen der Reise ebenfalls nicht ungerührt: „Es ist schwer zu glauben, dass von so freundlichen, liebevollen Menschen derart viel Gewalt ausgeht“, sagt er.

...und Hasch-Kekse für Papa

Dem Buch nach zu urteilen, scheint der nunmehr 73-jährige Vater sich mehr dem Rock’n’Roll-Lebensgefühl hingegeben zu haben, als sein Sohn. So konnte er, der nie Drogen genommen, ja noch nicht einmal Zigaretten geraucht hatte, nicht widerstehen, als ihm eines Weihnachtsabends ein Hasch-Keks angeboten wurde. „Ich war in den Wolken und zwei Tage lang jenseits von allem. Manu sagte „Also wirklich Papa, dich kann man echt nirgendwo alleine lassen.“ So hat er auch reagiert, als ich mir ein Tatoo stechen ließ. Trotzdem glaube ich, dass er sich wirklich gefreut hat, dass ich dabei war.“ Die Musik liegt in der Familie Chao. Ramon selbst war ein Wunderkind, das eine klassische Klavierausbildung erhielt und Spanien verließ, um am Konservatorium von Paris studieren zu können. „Mein Vater war der Überzeugung, an mir wäre ein Mozart verloren gegangen, aber ich wollte Cervantes sein,“ weiß er noch. Ob er seinen Sohn inspiriert hat? „Als ich zehn oder elf Jahre alt war, versuchte er mich zum Klavierspielen zu bringen, aber ich zog den Fußball vor“, verneint der heute als Musiker weltberühmte jüngere Chao.

Die Verbindung zu Lateinamerika ist stark geblieben

Die Tour von 1993 führte letztendlich zur Trennung der Band, einige Mitglieder stiegen sogar schon aus, bevor die letzten Konzerte bestritten waren. Manu kehrte entmutigt nach Paris zurück, wo er dann eine neue Band, Radio Bemba gründete. Fast hätte er übrigens ein kolumbianisches Straßenkind namens Rondelle, das hervorragend singen und tanzen konnte, als Bandmitglied angeheuert. Wenn Manu und Ramon heute Kolumbien besuchen, halten sie noch immer nach Rondelle Ausschau. Ohnehin bleibt Manu Chao eng verbunden mit Lateinamerika. Seine neue Single La Vida Tombola ist auf dem Soundtrack einer Dokumentation über den argentinischen Fußballer Maradona zu hören und er arbeitet immer mal wieder für die Radiostation Radio La Colifata, die live aus einer Nervenklinik in Buenos Aires sendet. Auch in diesem Jahr wird Manu bei dem Sender zu Gast sein- und dann vielleicht noch einmal die Geschichte des Zuges aus Feuer und aus Eis erzählen.

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Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Duncan Campbell | The Guardian

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