Als Banker sich das letzte Mal wütenden Demonstranten gegenüber sahen, schütteten einige von ihnen Champagner zum Fenster hinaus und warfen fotokopierte 50-Pfund-Scheine durch die Gegend. Die Aktion fand vor fast zehn Jahren in der Londoner City statt und war ein Protest gegen den G8-Gipfel in Köln. Derartige Überheblichkeiten wird man dieses Mal wohl eher nicht erleben, wenn die Demonstranten gegen den G 20-Gipfel durch das Londoner Bankenviertel – die City of London – ziehen. Die Angestellten des Finanzdistrikts sind angewiesen, sich in der kommenden Woche unauffällig zu kleiden, um nicht als Banker erkannt zu werden, falls sie es nicht gänzlich vermeiden können, auf die Straße zu gehen. Andere erhielten Order, ihre Büros nicht zu verlassen, um an Meetings teilzunehmen.
Goodwin ist erschüttert
Die Angst vor möglichen Ausschreitungen ist gestiegen, seitdem am Mittwoch in den frühen Morgenstunden drei Fenster und die Mercedes-Heckscheibe des Ex-Vorstandsvorsitzenden der Royal Bank of Scotland, Sir Fred Goodwin, eingeschlagen wurden. Kurz nach dem Angriff ging eine Botschaft an die Medien, die weitere Aktionen gegen „kriminelle“ Bankenchefs androhte. Goodwin, der zur Zeit des unfreundlichen Besuches nicht zuhause war, prozessiert wegen der Höhe seiner Pensionen, die er von der zwischenzeitlich im Besitz der Steuerzahler befindlichen Bank erhalten soll. Er zeigte sich von dem Vorfall „erschüttert“.
Viele Banker sind der Ansicht, die Medien hätten durch ihre aggressive Berichterstattung über die Finanzkrise zur Jagdsaison auf die Angestellten des Finanzsektors geblasen. Die Finanzberatungsgruppe Bluefin hat eine Hotline eingerichtet, auf der sich die City-Mitarbeiter über den neuesten Stand der Dinge informieren können. Bluefin selbst wies seine 500 Londoner Mitarbeiter an, nur in das Büro zu kommen, wenn dies absolut unvermeidbar ist. „Als verantwortungsbewusster Arbeitgeber haben Sicherheit und Wohlergehen unserer Mitarbeiter für uns höchste Priorität“, erklärte ein Sprecher.
In Namen der Schweizer Bank UBS hieß es, man würde das Risiko ständig neu bewerten, je näher man dem G 20-Treffen komme. „Wir raten den Leuten, vorsichtig zu sein. Wenn Sie sich mit einem Kunden treffen, sollte immer wieder die Frage im Raum stehen, muss das hier sein? Einige der Banken haben ihren Angestellten geraten, sich unauffällig zu kleiden. Die verschiedenen Bankhäuser haben sich nicht nur abgesprochen, sondern stehen auch in ständigem Kontakt miteinander. Ein Banker beklagt, "wir befinden uns in einer Zeit, in der Finanzdienstleistungen verteufelt werden".
Goodwin unter der Guillotine
Der G 20-Gipfel beginnt am Donnerstag im ExCeL-Zentrum, einem Messegelände in den Londoner Docklands. Barack Obama und andere Staatschefs werden schon früher in der britischen Hauptstadt erwartet.
Die Kampagne G 20-Meltdown (G20-Zusammenbruch, in Anlehnung an fiancial meltdown) ist eine lose Allianz diverser Organisationen, die in einem Sternmarsch von vier Treffpunkten aus hinter je einem der „Vier apokalyptischen Reitern“ zur Bank of England aufbrechen wollen. Eine andere Gruppe plant vor der Zentrale von European Climate Exchange am Bishopsgate ein Camp zu errichten. Weitere Proteste sind vor dem Gebäude der Royal Bank of Scotland und dem ExCeL-Center geplant. Auch soll bei den möglicherweise größten Protesten seit den Poll-Tax-Riots 1990 angeblich der Verkehr lahmgelegt und die Stadt ins Chaos gestürzt werden. 2.500 Polizisten sollen deshalb zusätzlich einen „Ring aus Eisen“ um das ExCeL-Zentrum legen. Londons Polizeichef hat die in der City ansässigen Unternehmen unterwiesen, wie sie mehr Sicherheit für sich selbst gewinnen können.
Die Demonstranten sagen, sie würden ihren Protest friedlich äußern. „Das Problem sind nicht ein paar gierige Banker oder Aufsichtsratsmitglieder, die am Lenkrad eingeschlafen sind, das System ist das Problem“, sagt Michael Rainsbro, der die Proteste mit organisiert hat. Im Netz freilich findet man durchaus Gewaltandrohungen. Auf einem Bild ist der Kopf des Ex-Bankers Goodwin unter der Guillotine zu sehen, daneben der Text: „Direkte Aktionen gegen Einzelpersonen und gegen Institutionen sind erforderlich.“
Eine E-Mail, die auf den Angriff auf Goodwins Haus einging, wurde von der Adresse: bankbossesarecriminals@mail.com (Bankvorständesindkriminelle@mail.com) aus versandt. Ihr Text lautete: „Wir sind wütend, dass Reiche wie dieser Mann sich selbst riesige Summen genehmigen und im Luxus schwelgen, während gewöhnliche Leute ihre Jobs verlieren, verarmen und obdachlos werden. Das ist ein Verbrechen. Bankdirektoren sollte man in den Knast stecken. Dies ist erst der Anfang.“
Übersetzung: Holger Hutt
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