Brent Staples war in den Siebzigern ein amerikanisches Kuriosum: ein junger Schwarzer mit glänzender Karriere. Im Alter von 22 Jahren begann er seine Promotion an der University of Chicago; später wurde er ein hohes Tier bei der New York Times. Für Fremde aber blieb er immer nur „ein schwarzer Mann – kräftige 1 Meter 88 mit einem Bart und wallendem Haar ".... von den Straßenräubern, die sich aus dem umliegenden Getto ab und an in ihre Nachbarschaft verirrten, nicht zu unterscheiden“.
Weiße wechselten die Straße, wenn sie ihn sahen. Paare hakten sich fester unter. Frauen suchten das Weite. Staples kannte die Statistiken über Straßenkriminalität, doch, wie er 1986 in einem Essay schrieb: „Diese Wahrheiten können nicht über die Entfremdung hinwegtrösten, die man spürt, wenn man immer der Verdächtige ist, ein furchteinflößendes Wesen, mit dem die Fußgänger jeglichen Augenkontakt vermeiden.“
Um allen zu versichern, dass der Afro-Amerikaner niemandem etwas Böses wollte, begann Staples bekannte Klassiker zu pfeifen. „So gut wie jeder scheint zu spüren, dass ein Straßenräuber keine hellen, sonnigen Melodien aus Vivaldis Vier Jahreszeiten trillern würde. Das Pfeifen ist mein Äquivalent zu der Kuhglocke, die Wanderer tragen, wenn ... sie in einer Gegend unterwegs sind, in der es Bären gibt.“ Ein Elite-Student, der eine Kuhglocke trägt: Staples bringt die Vertrackheit moderner Vorurteile auf den Punkt – und den Schaden, den sie anrichten können.
Utopia ist nicht mehr fern
Rassismus und Sexismus gelten normalerweise als gesellschaftliche Krankheiten, die geheilt werden können. Man erlässt Gesetze gegen sie. Man wartet darauf, dass die Wirtschaft ihren natürlichen Gang nimmt, eine „schwarze Mittelschicht“ (was für ein scheußlicher Begriff) entsteht und die Unternehmen die bislang ungenutzten Talente für sich entdecken. Dann ist Utopia nicht mehr fern, das Land in dem jeder die gleichen Chancen auf Erfolg hat.
Insofern müsste Großbritannien eigentlich dieses gelobte Land sein. Im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte wurden so viele Anti-Diskriminierungsgesetze und Verhaltensmaßregeln für die Arbeitswelt verabschiedet, dass man damit die Wände des Taj Mahal tapezieren könnte. Wir haben das Problem mit Geldern für toleranzfördernde Projekte bombardiert. Ganz zu schweigen von all den talentierten Frauen und Angehörigen ethnischer Minderheiten, die einfach nur vorankommen wollen.
Doch die Ergebnisse sind enttäuschend. Im britischen Unterhaus sind weniger Frauen vertreten als im afghanischen Parlament – in Westminster ist eine von fünf Abgeordneten weiblich, in Kabul sind es zwei von fünf. Indische und chinesische Studenten überflügeln inzwischen ihre weißen Kommilitonen, doch das schlägt sich noch immer nicht in den Jobs und in den Gehältern nieder, die sie bekommen.
Vielleicht wird sich dieses Ungleichgewicht mit der Zeit ausbalancieren. Das Problem ist, dass wir hier über eine sehr lange Zeitspanne reden: Ein Bericht der Equality and Human Rights Commission aus dem Jahr 2008 prognostiziert, dass wir noch 40 Parlamentswahlen vor uns haben, bis die Hälfte aller Abgeordneten weiblich ist, wenn wir im aktuellen Tempo weitermachen.
Keine Chance gegen Gedankenblasen
Vielleicht sind die alten Hebel wie Gesetze und Marktkräfte einfach nicht mehr ausreichend. Brent Staples würde vermutlich zustimmen, dass Regierungen gegen Gedankenblasen nicht mit Gesetzen ankommen.
Der Sozialpsychologe Claude Steele zeigt in seinem in Kürze erscheinenden Buch Whisteling Vivaldi (der Titel ist eine Anspielung auf Staples), wie wir uns letzten Endes doch gemäß ethnischer und geschlechtsspezifischer Stereotypen verhalten. Er beschreibt ein Experiment, bei dem schwarze und weiße Studenten aufgefordert wurden, in einem Universitätslabor zehn Löcher Golf zu spielen. Die erste Gruppe bekam gesagt, es ginge darum, ihre „natürlichen athletischen Fähigkeiten" zu testen. Die weißen Stundenten spielten erschreckend schlecht und entsprachen dem alten „White men can’t jump“-Klischee. Die schwarzen Studenten spielten vollkommen unbeeindruckt.
Die zweite Gruppe bekam gesagt, man wolle ihre „strategisch-sportliche Intelligenz“ testen – und die Ergebnisse waren genau umgekehrt. Steele schreibt über die schwarzen Einlocher „jeder Fehler gab ihnen das Gefühl verwundbar zu sei und wie ein weniger schlaues schwarzes Kind beurteilt und behandelt zu werden.“ Im Durchschnitt benötigten die schwarzen Studenten in dieser Gruppe vier Schläge mehr, um alle Löcher zu schaffen. Und wir sprechen hier über Princeton-Studenten, die zu den klügsten und besten ihrer Generation gehören; man stelle sich nur vor, wie ein solcher Test mit Schulabbrechern verlaufen wäre.
Frauen können mit Zahlen nicht umgehen!
Psychologen sprechen von einer „Bedrohung durch Stereotype“, die viele Formen annehmen kann. Es ist möglich, dass eine Gruppe von Asiatinnen bei einer Mathearbeit versagt, wenn man sie vorher darauf hinweist, dass sie Frauen sind (denn die können natürlich nicht mit Zahlen umgehen). Eine andere Gruppe erzielt vielleicht viel bessere Ergebnisse, nur weil sie davor an ihre ethnische Zughörigkeit erinnert wird – denn Asiaten sind klischeegemäß gut in Mathe.
Eine Person, die solchen negativen Stereotypen unterworfen ist, sieht sich, laut Steele, bei der Arbeit permanent zum „Multitasking“ gezwungen: Er oder sie muss seine Aufgaben erledigen und gleichzeitig die Geister abwehren, die sagen, dass er oder sie von vornherein nicht für diesen Job geschaffen ist. Treffen kann es so gut wie jeden, von der Hochschulrektorin bis zum schwarzen Doktoranden im Chicago der Siebziger. „Man kann alles richtig machen“ meint Steele. „Fleißig studieren, hart arbeiten, aus einer guten Familie kommen. Und doch ist es eine ganz andere Herausforderung, mental mit einem Stereotyp zurande zu kommen.“ Es ist schwer genug, die fundamentalen Grundlagen der Diskriminierung zu bewältigen; doch die Spiegelfechterei mit den Klischees ist noch viel verzwickter.
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