Stechen zwischen Hollande und Aubry

Frankreich Die offenen Präsidentschafts-Vorwahlen waren ein Erfolg für die Sozialisten - und haben Debatten die Tür geöffnet, die traditionell in den Hinterzimmern stattfinden

Die politischen Kommentatoren waren lange Zeit schnell dabei, die Sozialistische Partei unverbesserlich zu nennen und ihr zu attestieren, dass sie zu ewiger Opposition verurteilt sei. Ihr wichtigster Kandidat, Dominique Strauss-Kahn, fiel schneller vom Himmel als Ikarus, nachdem er während seiner Zeit als IWF-Chef wegen der versuchten Vergewaltigung eines Zimmermädchens in New York angeklagt worden war. Die französischen Sozialisten – so hieß es – würden bald unter „ferner liefen“ geführt. Und der unbeliebte rechte Präsident Nicolas Sarkozy werde einmal mehr das Glück auf seiner Seite haben. Falsch gedacht.

Etwa 2,5 Millionen Franzosen, die eine Mindestgebühr von einem Euro zahlten und unterschrieben, dass sie die Werte der Linken teilen, gaben in Frankreichs erster offener Vorwahl eines Präsidentschaftskandidaten ihre Stimme ab. Die vorab im Fernsehen übertragenen Debatten zwischen den sechs Kandidaten sind nicht zu einem Austausch von Beschimpfungen verkommen, wie von vielen prophezeit. Bei der ersten von ihnen schalteten fünf Millionen Fernsehzuschauer ein – das sind mehr als bei der äußerst beliebten Kochsendung Master-Chef.

Mit anderen Worten, die Idee, einer Debatte die Türen zu öffnen, die traditionell eher in den Hinterzimmern stattfindet, war ein politischer Erfolg. Jüngere Bewerber wie Arnaud Montebourg und Manuel Valls, die sonst nicht ohne weiteres Sendezeit bekommen hätten, erhielten so eine Plattform – und die Spitzenreiter François Hollande und Martine Aubry konnten sich nochmals profilieren. Diese Vorwahlen – und das Stechen am kommenden Wochenende – werden viel dazu beitragen, das Image der von Politikbaronen dominierten Partei vergessen zu machen.

Auch Strauss-Kahn stimmte ab

Bis dahin hat die Partei, die zuletzt vor einer Generation einen Präsidenten (Mitterrand) stellte und einen Großteil des vergangenen Jahrzehnts damit verbracht hat, sich von dem Schock zu erholen, den ihr 2002 die Schlappe gegen einen äußerst rechten Kandidaten (Le Pen) versetzte, allerdings noch einen steilen Weg zu erklimmen. Die Kampagne Hollandes stellte weniger ideologische Unterschiede in den Mittelpunkt. Die sind ohnehin nicht ganz einfach zu definieren, wählte doch etwa der Zentrist Strauss-Kahn am 9. Oktober Martine Aubry und damit die Architektin der 35-Stunden-Woche – als seine Persönlichkeit. Nach fünf Jahren des Dramas unter Sarkozy konnte sich Hollande als der Normalverbraucher darstellen, der auf dem Moped zur Arbeit fährt. Normal sein heißt, ruhig zu bleiben und einfach weiterzumachen. Die dahinter stehenden politischen Ziele reichen weit über die eigene Partei hinaus. Wie bereits Jacques Chirac zum Ausdruck gebracht, könnte wohl auch das Mitte-Rechts-Lager insgesamt Hollande dem eigenen Mann vorziehen.

Martine Aubrys Kampagne drehte sich um Wohnungsbau, Gesundheit und Bildung, sie wirkte unnachgiebig und beherrscht. Ségolène Royal konnte für sich geltend machen, dass sie sich nach ihrer gescheiterten Präsidentschaftskandidatur 2007 zurückgekämpft hat, letztlich wird man sich aber vor allem an diese Niederlage erinnern. Die große Zahl derjenigen, die bei dieser Vorwahl ihre Stimme abgegeben haben, hat nicht bloß dem Gewinnerkandidaten Legitimität verliehen. Sie könnte elegante Verlierer zu ambitionierten und fähigen Herausforderern gemacht haben.

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Übersetzung Zilla Hofman
Geschrieben von

Editorial | The Guardian

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