Studierter Suff

Alkoholprävention In Frankreich will man dem neuen Phänomen "Komasaufen" mit ungewöhnlichen Maßnahmen entgegenwirken: Weinverkostungen in der Mensa sollen Studierende zu Genuss erziehen

Die meisten Länder versuchen das Problem des Komasaufens zu bekämpfen, indem sie den potentiellen Säufer von der Flasche trennen. In Frankreich geht man die Dinge anders an. Hier rät die Regierung den Mensen in den Universitäten zu Weinverkostungen, um die Jugend die Tugenden des gemäßigten Alkoholkonsums zu lehren.

Der Fernsehmoderator und gefeierte Gastronom Jean-Pierre Coffe, der die Regierung dabei beraten hat, ist der Ansicht, dass die Universitäten jungen Menschen nicht nur akademisch, sondern auch in Sachen Wein ausbilden sollten. „Weshalb gibt es Sexualkunde, aber keine Weinkunde? Man kann auch den Umgang mit Wein lernen,“ erklärte er im französischen Radio. Studenten könnten lernen, maßvoll zu trinken, davon ist Coffe überzeugt. „Trinken bedeutet nicht, dass man eine Flasche leert. Wein ist ein Genuss. Es ist wie in der Liebe. Das ist dasselbe.“

Moderater Weingenuss

Und so hat Coffe im Auftrag der Ministerin für Hochschulbildung Valérie Péceresse eine Empfehlung erstellt, die Anregungen für die Verbesserung des studentischen Alkoholkonsums gibt. Die höchste Aufmerksamkeit haben seine Vorschläge für die „Initiation in den moderaten Weingenuss“ hervorgerufen.

Auch Jean-Robert Pitte, ein ehemaliger Rektor der Sorbonne, hält Weinverkostungen in der Mensa während der Mittagspause für die ideale Gelegenheit, um den Studenten beizubringen, wie man mit Verstand trinkt: „Wir wollen vermeiden, dass die Studenten an den Wochenenden regelmäßig ausflippen. Uns geht es darum, den Studenten Verantwortungsbewusstsein beibringen. Wir wollen ihnen zeigen, dass Wein ein Genuss ist und gut für ihre Gesundheit sein kann. Und dass er Teil ihres kulturellen Erbes ist.“

Marketing für Winzer

Doch der Vorschlag fällt in eine Zeit, in der sich Frankreich damit auseinander setzen muss, dass die Teenager dort die gleichen Trinkgewohnheiten wie ihre britischen oder deutschen Altersgenossen entwickeln. Daher wurde er nicht überall mit Applaus aufgenommen. Der Vorsitzende der Association Nationale de Prévention en Alcologie et Addictologie Alain Rigaud findet es schlicht schockierend, dass diese angesehenen Persönlichkeiten solche Argumente befürworten. „Es ist naiv zu glauben, wir könnten auf diese Art das Komasaufen verhindern“, erklärte er. Coffes und Pittes Vorschlag tut er als Marketing für die französischen Winzer ab.

Und auch Ministerin Péceresse, der die Empfehlung am vergangenen Mittwoch vorlag, lehnte diese eiligst ab: „Ja zur Ausbildung des Geschmacks, nein zum Wein für Studenten in der Mittagspause.“

Im November startete der Pariser Stadtrat eine Kampagne, die die 15- bis 25-jährigen Pariser vor den Gefahren von „le binge drinking“ warnen soll. Experten glauben, dass diese schnelle und unkontrollierte Form des Trinkens zwischen 2005 und 2008 um etwa 10 Prozent gestiegen ist. Und das in einem Land, in dem Kinder mit verdünntem Wein langsam an Alkohol herangeführt werden und sogenanntes Komasaufen ein neues Phänomen ist. Die Pariser Behörden gehen davon aus, dass ein Fünftel der 17-jährigen inzwischen mindestens dreimal im Monat fünf Gläser Wein an einem Abend trinkt.

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Übersetzung: Christine Käppeler
Geschrieben von

Lizzy Davies (Paris) | The Guardian

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