Seit ein Google-Mitarbeiter intern eine Polemik gegen Vielfalt publiziert hat, die dann durchgestochen wurde, behauptet das Unternehmen beharrlich, sein Bekenntnis zur Vielfalt sei „unmissverständlich“. Der Programmierer James Darmon, der dem Vernehmen nach mittlerweile entlassen wurde, hatte unter anderem argumentiert, biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen seien für das extreme Geschlechterungleichgewicht bei Google und anderen Technologiekonzernen verantwortlich.
„Unsere Überzeugung, dass Vielfalt und Inklusion entscheidend für den Erfolg unseres Unternehmens sind, ist unmissverständlich“, sagte Danielle Brown, Googles Vizepräsidentin für Vielfalt, Integrität und Governance. „Zu behaupten, eine Gruppe unserer Kollegen hätte Merkmale, die sie biologisch weniger geeignet für unsere Arbeit machen, ist beleidigend und nicht OK“, schrieb Googles Geschäftsführer Sundar Pichai in einem Memo an seine Mitarbeiter.
Aber diese öffentlichen Bekenntnisse zur Vielfalt stimmen nicht mit den Daten zu Googles Belegschaft überein. Diese ist nach eigenen Angaben zu 69 Prozent männlich und bloß zu 2 Prozent afroamerikanisch. Nur 20 Prozent der Technikjobs sind in weiblicher Hand. Googles „Glaube“ an die Vielfalt mag unmissverständlich sein, aber diese Zahlen machen die Defizite klar. Das Unternehmen stellt eher weiße und asiatische Männer ein als Frauen und andere ethnische Minderheiten.
Die mangelnde Vielfalt im Silicon Valley ist eine alte Geschichte. Vor 18 Jahren startete der Bürgerrechtler Jesse Jackson erstmals eine Kampagne, mit der er die Technologiefirmen in der Region ermuntern wollte, Schwarze und Latinos einzustellen. Daraufhin warf ihm Scott McNealy, der Mitgründer des frühen Silicon-Valley-Giganten Sun Microsystems, „Terrorismus“ vor.
Lippenbekenntnisse
Die Technologiemarktführer mögen seitdem ihren Ton geändert haben – alle Top-Geschäftsführer verkünden heute laut ihr Bekenntnis zu „Vielfalt und Inklusion“ – aber in anderer Hinsicht hat sich in diesen fast zwei Jahrzehnten nicht viel verändert. So ermittelt gegen Google derzeit das US-Arbeitsministerium, das dem Technologiekonzern vorwirft, Frauen systematisch zu diskriminieren. Viele Führungskräfte von Uber haben die Firma verlassen, bei der es Beschwerden über systematische sexuelle Belästigung und Geschlechterdiskriminierung gibt. Und die Tech-Industrie wurde jüngst von Anschuldigungen erschüttert, bekannte Risikokapitalgeber hätten ihre Position missbraucht, um Start-up-Unternehmerinnen auszunehmen.
Unterdessen sind Schwarze, Latinos und Frauen in den führenden Technologieunternehmen im Silicon Valley weiterhin derart unterrepräsentiert, dass ein Regierungsbericht vom vergangenen Jahr dafür dasselbe Wort fand, das auch Jackson benutzt: „Segregation“. Bei all seinen vorwärtsweisenden Technologien bleibt das Silicon Valley doch in vielerlei Hinsicht in den hässlichsten Praktiken der amerikanischen Vergangenheit gefangen.
Stellen Sie sich stattdessen einen Technologie-Knotenpunkt vor, in dem mehr als 17 Prozent der High-Tech-Beschäftigten – von Programmierern über Sicherheitsanalytikern bis zu Software- und Web-Entwicklern – afroamerikanisch sind. Dabei handelt es sich nicht um ein utopisches Gedankenexperiment, sondern um die Metropolregion rund um Washington DC, in der mehr als 200.000 High-Tech-Jobs beheimatet sind. „Sie würden Mühe haben, hier jemanden zu finden, der es für sonderbar halt, dass Schwarze Computerjobs haben“, sagt der Wirtschaftsprofessor William Spriggs von der Howard University. Und er fügt hinzu: „Wir machen hier keinen Micky-Maus-Kram. Dies ist der beste Ort, um an Cyber-Sicherheit zu arbeiten.“
Die DC-Region hält dem Silicon Valley den Spiegel vor, wenn es um das Einstellen von Afroamerikanern geht. Insgesamt stellen Schwarze 14,4 Prozent der amerikanischen Beschäftigten und 7,4 Prozent im High-Tech-Bereich. In der DC-Region, zu der Teile von Virginia, Maryland und West Virginia gehören, haben Schwarze 17,3 Prozent der Jobs in zwölf Computerberufen inne. Doch im Silicon Valley stellen Schwarze in denselben Jobs nur 2,7 Prozent. Und bei bevorzugten Arbeitgebern wie Google und Facebook sinkt der Anteil Schwarzer in technischen Jobs auf unter zwei Prozent.
Wie konnte es passieren, dass im Silicon Valley weniger als 5.000 Schwarze in High-Tech-Jobs arbeiten, während es in DC über 35.000 sind? Ein offensichtlicher Unterschied zwischen Nordkalifornien und der Region an der mittleren Atlantikküste ergibt sich aus der Demografie. In der DC-Region sind etwa 25 Prozent der Bevölkerung schwarz, im Silicon Valley sind es um die 6,5 Prozent. Andererseits sind Unternehmen wie Google, Facebook und Apple dafür bekannt, dass sie aggressiv landesweit – und überall auf der Welt – um Personal werben. Und der Umstand, dass unter den Beschäftigten in Nordkalifornien über 20 Prozent Latinos sind, spiegelt sich nicht in den Tech-Firmen der Gegend, in denen Latinos nur sechs Prozent stellen.
Spriggs zufolge besteht ein entscheidender Unterschied darin, dass sich die Tech-Industrie in DC rund um die Bundesregierung entwickelte. Affirmative-Action-Auflagen für Bundesausschreibungen ermutigten Afroamerikaner in den späten 1970ern und frühen 1980ern zur Gründung von Computer- oder Datenverarbeitungsfirmen. Der erste Domain-Registrator für das Internet beispielsweise war die Firma Network Solutions, die 1979 im nördlichen Virginia gegründet wurde und Schwarzen gehörte.
Auch die Schulen in der Region bereiten ihre Schüler gezielt auf Technologiejobs vor. „Die Branche ist auf die historischen schwarzen Colleges und Universitäten in der Region zugekommen“, sagt Ben Jealous, einst Präsident der Bürgerrechtsorganisation NAACP und heute Partner beim Risikokapitalgeber Kapor Capital. Die Beziehungen sind so weit fortgeschritten, sagt Jealous, dass die Unternehmen die Universitäten darüber informieren, welche Fähigkeiten sie in fünf Jahren benötigen werden. Diese passen ihre Lehrpläne entsprechend an, so dass die Beschäftigten gut ausgebildet sind.
Vorbehalte gegen Regulierung
Doch unterscheiden sich diese beiden Technologiezentren auch politisch. Wo die Tech-Branche in DC in einer symbiotischen Beziehung mit der Regierung wuchs, waren viele Pioniere des Silicon Valley Techno-Libertäre, die ideologische Vorbehalte gegen Regulierung und politische Kontrolle hatten. Das politische Klima im Silicon Valley der 1990er war geprägt von einer Anti-Haltung gegen Regierung, Affirmative Action und Immigration, sagt Butch Wing, der dort mit Jesse Jackson zusammengearbeitet hat. Die kalifornischen Wähler unterstützen 1996 und 1994 landesweite Bürgerbegehren zur Abschaffung von Affirmative Action bei der Collegezulassung und zum Ausschluss von illegalen Migranten von öffentlichen Schulen und Dienstleistungen.
Das ist weit entfernt vom Silicon Valley des Jahres 2016, in dem Facebook im Zentrum seines Hauptsitzes in Menlo Park ein „Black-Lives-Matter“-Banner aufstellte. Auch haben alle großen Arbeitgeber Führungskräfte für Vielfalts- und Inklusionsfragen eingestellt. Und doch argwöhnt Wing, dass die alte Ideologie anhält: „Die Unternehmen sind heute sehr versiert in der Kommunikation und sagen alle, dass die Vielfalt in ihrer DNA steckt. Aber nur wenige von ihnen machen einklagbare, messbare Fortschritte beim Einstellen von unterrepräsentierten Minderheiten.“
Jede Diskussion über die Einstellungspraktiken im Silicon Valley wird unvermeidlich zu einer über „die Pipeline“. Sie, so heißt es, ist der stetige Strom fähiger und williger Arbeitskräfte, die jedes Jahr die Colleges und Universitäten mit einem Informatikabschluss verlassen und bereit sind, die Campusse der Tech-Firmen in den Vororten der Bay Area zu bevölkern. Es liegt nicht an den Unternehmen, dass die Pipeline überwiegend mit Weißen und Asiaten gefüllt ist, behaupten die Verteidiger des Silicon Valley. Es liegt am Bildungssystem. „Minderheiten sind in den EDV-Studiengängen bei weitem in der Minderheit“, räumt Juan Gilbert, der Leiter des Instituts für Informatik und Ingenieurswissenschaften an der Uni Florida ein.
Allerdings gibt es weit mehr schwarze Studierende mit einem Informatikabschluss, als von den Firmen im Silicon Valley eingestellt werden. 2014 etwa gingen 9,7 Prozent der Bachelor-Abschlüsse in Informatik an Schwarze. Aber die Unternehmen im Silicon Valley wollen keine Studierenden, die ihre Informatikabschlüsse einfach irgendwo erworben haben, sagt Leslie Miley, der Technik-Direktor bei Slack. Die dortigen Gründer und Personalchefs wollen Studierende, die von denselben Unis kommen, auf denen sie einst waren. „Was glauben Sie, wie schwierig es wäre, all diesen Leuten, die in Berkeley, in Stanford oder am MIT waren, zu erzählen, dass jemand, der von der University of Texas in El Paso oder einem Community College kommt, den Job genauso gut machen könnte wie sie?”, fragt Miley: „Davon werden Sie sie nicht überzeugen können. Sie wollen nicht glauben, dass sie nicht so besonders sind.“
Die Präferenz für einen elitären Lebenslauf beschränkt die sogenannte Pipeline schwer – und führt zu einer sehr viel weniger vielfältigen Kandidatengruppe für Jobs im Silicon Valley. Wired analysierte 2014 LinkedIn-Profile und erstellte daraus eine Liste mit den Universitäten, deren Absolventen bei Microsoft, IBM, Google, Apple, Yahoo, Facebook und Twitter am stärksten vertreten sind. Unter den 13 US-Unis fanden sich elitäre private Einrichtungen wie Stanford, Carnegie Mellon und das MIT sowie öffentliche wie Berkeley und die University of Washington. Was diese Unis gemeinsam hatten, waren Studierendenschaften mit erheblich weniger Afroamerikanern als der Bundesdurchschnitt von 14 Prozent. Stanford hatte unter ihnen den größten Anteil schwarzer Studenten, und auch dort lag er nur bei 7,8 Prozent.
Zudem tragen wohl auch grundlegende Netzwerkfaktoren dazu bei, dass die Tech-Firmen daran scheitern, unterrepräsentierte Minderheiten in der Pipeline zu finden. „Weiße haben ein Netzwerk, das zu 90 Prozent aus Weißen besteht. Die Homogenität hat eine sich exponentiell vertiefende Wirkung“, so die Diversity-Beraterin Y-Vonne Hutchinson. Gilbert, dessen Studiengang mehr schwarze Informatik-Doktoranden hat als jeder andere in den USA, ergänzt: Manche schwarze Studierende würden sich von vorneherein selbst aussortieren und statt ins Silicon Valley lieber zu Firmen an der Ostküste gehen. „Unter meinen afroamerikanischen Studierenden gibt es nicht viele, die bei Google arbeiten wollen“, sagt er. „Sie hören Silicon Valley und denken: Dort treffe ich keine Leute wie mich.“
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