Das sonst nicht um Worte verlegene Weiße Haus, dessen oberster Bewohner für sein loses Mundwerk bekannt ist, hat normalerweise kein Problem mit Kampfansagen. Erst diese Woche hat Donald Trump sich als Nationalist bezeichnet, während er die Demokraten beschuldigte, sie würden Mobs organisieren. All das verstärkt den eklatanten Eindruck zusätzlich, der entsteht, wenn sich das Team Trump so vorsichtig zu den Rohrbomben äußert, die an prominente Trump-Kritiker verschickt worden sind. Normale Menschen nennen einen koordinierten Anschlagsversuch ganz einfach Terrorismus. Das Weiße Haus nennt sie „terrorisierende Handlungen“ – die vermutlich eher von Schauspielern ausgeführt wurden als von Terroristen.
Bei Leuten, die im Wahlkampf ihr Bedürfnis zum Ausdruck bringen, über „den radikalen islamistischen Terrorismus“ zu sprechen, ist dies irritierend. Zwar verfolgt Terrorismus die Absicht, Verwirrung und Angst zu stiften, aber so viel Verwirrung – wie der gegen Liberale gerichtete Terror – löst ansonsten keiner so schnell bei Trump und seinesgleichen aus.
George W. Bush pflegte zu sagen, man sei entweder auf unserer Seite oder auf der Seite der Terroristen. Donald Trump zieht die Formulierung vor, es gebe auf beiden Seiten ganz ausgezeichnete Leute.
Als er den Terrorismus des Rohrbombenversands endlich verurteilte, brachte Trump es nicht über sich, das Wort selbst wirklich auszusprechen. Stattdessen beschwor etwas völlig anderes herauf. „Taten und Drohungen politischer Gewalt haben in den Vereinigten Staaten von Amerika keinen Platz“, sagte er zu Beginn einer Veranstaltung über Opioid-Abhängigkeit.
„Taten und Drohungen“, das kann vieles meinen: Beleidigungen, Mobs, Tweets und offensichtlich auch Rohrbomben. Es gibt Terroristen des IS und der Taliban, die ohne Zweifel denken, dass sie an politischer Gewalt beteiligt sind. Dieser Präsident hat sich entschlossen, das, was sie machen, Terrorismus zu nennen. Doch dieser Präsident ist ebenfalls entschlossen, die Leute auf seinen Wahlkampfmeetings in hasserfüllte Ekstase zu versetzen. Folglich muss es jemand anderes gewesen sein, der ihn dies sagen ließ: „In diesen Zeiten müssen wir zusammenstehen und zusammenkommen.“
Sonderbare Statements
Das tun wir bestimmt. Und diese Einheit muss an der Spitze des politischen Systems beginnen, in einem Weißen Haus, dessen gegenwärtig auf Geschlossenheit gestimmter Slogan „jobs not mobs“ lautet und das die Medien gern als "Feind des Volkes" bezeichnet. Dennoch ist es gut zu wissen, dass das Weiße Haus unter Trump darauf vertraut, diese furchteinflößenden Vorfälle zu beherrschen.
„Diese erschreckenden Taten sind verachtenswert, alle Verantwortlichen werden vollständig zur Verantwortung gezogen“, so Sarah Sanders, die Pressesprecherin des Weißen Hauses. „Der Geheimdienst der Vereinigten Staaten und andere Strafverfolgungsbehörden führen Untersuchungen durch und werden alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um jeden zu beschützen, der von diesen Feiglingen bedroht wird.“ Dieses Statement klingt ebenso sonderbar wie die nichtssagenden Worte über "terrorisierende Taten".
Denn wenn es um die „große terroristische Gefahr“ geht, die Trump zufolge von der Südgrenze der USA her droht, hat das Weiße Haus keinerlei Vorstellung, wie es reagieren könnte. Angesichts mehrerer tausend Menschen, die nur noch einige Wochen von der Grenze entfernt sind, scheinen die USA völlig hilflos. „Unter ihnen befinden sich Kriminelle und Unbekannte aus dem Mittleren Osten”, twitterte Trump zu Wochenbeginn über Migranten, die sich auf dem Weg an die US-Grenze befinden. „Ich habe die Grenzposten und das Militär informiert, dass es sich hier um einen nationalen Notfall“ handelt, so Trump weiter.
Der Katastrophenschutz ist also in Alarmbereitschaft. Die US-Border Patrol ist die größte Strafverfolgungsbehörde des Landes, mit 20.000 Beamten. Dazu gibt es allein in Texas 19.000 Nationalgardisten. Der Grenzübergang im kalifornischen San Ysidoro fertigt jeden Monat zwei Millionen Menschen ab.
Ein gewisser Friedrich
Da der Wahlkampf für die Midterms in seine Endphase eintritt, hat unser Hardliner im Amt die letzten Tage darauf verwendet, den Kampf gegen People of Colour, imaginierte Terroristen und den Feind im Inneren namens Demokraten aufzunehmen. In diesem Kontext kann man verstehen, warum seine Reaktion auf wirklichen Terrorismus so verhalten ausfällt.
Dieser, den starken Mann markierende Präsident dachte, er hätte seinen perfekten Gegner gefunden: eine veritable Karawanserei aus ungewaschenen, unkultivierten und unamerikanischen Leuten, die als Migranten bekannt sind. Diese Leute – wenn wir sie uns überhaupt als solche vorstellen können – haben nichts mit den Schiffsladungen voller ungewaschener, ungebildeter und unamerikanischer Leute gemein, die im Laufe des 20. Jahrhunderts an diesen Ureinwohner-freien Küsten ankamen.
In einer dieser schwimmenden Karawanen befand sich ein gewisser Friedrich, ein deutscher Teenager aus Kallstadt, der sein Glück machen und der Einziehung durch das Militär entgehen wollte. In diesem Schlaraffenland wuchs sein Enkel auf und entwickelte sich zu einem Einwanderer hassenden Präsidenten, der aber nicht weniger als zwei Einwanderinnen geheiratet hat. Das soll man wohl Fortschritt nennen.
Leute, die vor Krieg und Armut fliehen wie Opa Friedrich sollten nicht mit Leuten verwechselt werden, die heute vor Gewalt und Armut fliehen. Mehrere Tausend von ihnen befinden sich gegenwärtig auf einer tausend Meilen langen Reise aus dem Süden Mexikos zur US-amerikanischen Südgrenze.
Unter den bedrängten Massen von heute befinden sich dem harten Kerl im Oval Office zufolge auch Kriminelle und Terroristen. Mit seinem Großvater, der seine deutsche Herkunft in zwei Weltkriegen verschwieg, weil Leute wie er von vielen als potenzielle Feinde betrachtet wurden, haben diese Leute nichts gemein.
Jene ungebildeten Einwanderer waren etwas ganz anderes als die Unbekannten aus dem Mittleren Osten, die sich Trump zufolge unter den Migranten versteckt haben. Und so viel anders als die wirklichen Terroristen, die Rohrbomben an die politischen Gegner des Präsidenten und die Medien verschicken.
Das ist das Problem, wenn man sich Krisen ausdenkt, um seine Wähler und Journalisten von einem Wahlkampf abzulenken, der ansonsten nicht viel zu bieten hätte. Echte Krisen neigen dazu, sich ihren Weg durch den Unrat zu bahnen.
Inszenierte Angst
In den vergangenen Tagen haben verschiedene Journalisten und Politiker vorgeschlagen, dass wir Trumps Lügen über die Karawane entweder ignorieren oder anerkennen sollten, dass sie eine brillante politische Strategie darstellen. Beide Vorschläge sind ungefähr tausend Meilen von der Grenze entfernt, die Realität genannt wird.
Erstens: Sogar Trump sah sich gezwungen einzuräumen, wie haltlos seine Behauptungen waren. Als man ihn nach Beweisen fragte, unter den Migranten befänden sich Leute aus dem Mittleren Osten, gab er zu: „Es gibt keine Beweise für irgendetwas, aber es wäre sehr gut möglich.“ Brillant ist etwas anderes.
Zweitens: Welcher Staatschef erweckt den Anschein, die Sicherheitskräfte seines eigenen Landes seien so wenig vertrauenswürdig? Präsident Clinton soll über Bush gesagt haben, „stark und falsch“ siege über „schwach und richtig“. Donald Trump schafft es irgendwie, schwach und falsch zu kombinieren, und das genau dann, wenn er glaubt, stark zu sein und richtig zu liegen.
Wenn man nun aber wirklich eine Politik der Angst inszenieren möchte, sollte man wissen, dass echte Angst über inszenierte Angst immer triumphiert.
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