Verraten und verkauft

Warteschleife Die Menschen in Zypern schwanken mehrheitlich zwischen Zukunftsangst und der Hoffnung, dem Schicksal der Griechen zu entkommen, auch wenn alle spüren, Verlierer zu sein
Ausgabe 13/2013
Verraten  und verkauft

Foto: Barbara Laborde

"Es ist schlimmer als im Krieg. Im Krieg weiß man wenigstens, wer seine Feinde sind“, sagt Thanassis Iracleous hinter dem Tresen seiner Apotheke in Nikosia. „Vor kurzem waren sie noch unsere Freunde“, murmelt er und schiebt im selben Atemzug flüsternd die Wörter „die Deutschen“ hinterher. „Und am nächsten Morgen plötzlich unsere Feinde.“ Dabei geht es dem griechischen Zyprioten Iracleous „in diesem Krieg“ noch relativ gut. Zehn Tage nach Beginn des schlimmsten Wirtschaftsdebakels, das die Inselnation seit Jahrzehnten erlebt, wird seine Apotheke noch immer von Kunden aufgesucht. Weil der Inhaber weiterhin Kreditkarten akzeptiert? Nur wie lange noch?

Auf jeden Fall weiß sich Iracleous noch in einer komfortableren Lage als die meisten Ladenbesitzer auf einer Insel, auf der im Moment am besten nachvollzogen werden kann, wie in der Eurozone der Konflikt um Souveränität und Schulden eskaliert. Wenn das Parlament nicht tut, was die Eurofinanzminister, die EZB und der IWF erwarten, hängt Zyperns Staatlichkeit am seidenen Faden. Verständlich, wenn nach diesem Wochenende Panik herrscht, nachdem zunächst schockiert und wütend auf die Erkenntnis reagiert wurde, dass der Staatsbankrott eine reale Möglichkeit sein könnte.

Der Markt ist ausgetrocknet

„Inzwischen verlangen meine Lieferanten Barzahlungen“, sagt Iracleous und schüttelt ungläubig den Kopf: „Von denen nimmt kaum noch jemand Kreditkarten oder Schecks. Alle sagen – das Spiel ist aus, unsere Banken haben ausgesorgt und werden eine nach der anderen dicht machen.“ Unternehmen, die gegen einen möglichen Absturz in die Insolvenz kämpfen, gleiten schrittweise ins Chaos ab. Alle auf Zypern wissen, in Griechenland grassiert nach mehreren Sparrunden die Armut. Innerhalb von nur drei Jahren folgte auf Tumulte und Verzweiflung erst die Hilflosigkeit, dann Hoffnungslosigkeit, dann die Depression.

In der ehemaligen britischen Kolonie Zypern, die sich beinahe 40 Jahre lang, nachdem dort die Türkei einmarschiert ist und das nördliche Drittel der Insel besetzt hat, stets rühmte, auf spektakuläre Weise wirtschaftlich vorangekommen zu sein, verläuft der Niedergang noch dramatischer, weil schneller. Nach den jüngsten Entscheidungen von Regierung und Parlament verschlechtere sich die Situation „stündlich“, hört man. In den Städten des Südens stehen konsternierte Kontoinhaber vor Geldautomaten an, um ihr Sparguthaben abzuheben. Lange Schlangen zeugen von Unsicherheit, die in Panik und Entsetzen übergeht. „Im Radio hieß es heute auf allen Programmen, dass die einst mächtige Laiki-Bank demnächst mutmaßlich nicht mehr existiert“, sagt Kypros Kyprianou. Er harrt geduldig vor einer Filiale des Geldhauses an der Diogheni Akritas aus, einer der Hauptstraßen in Nikosia. „Ich warte hier, bis ich mein Geld kriege, und wenn es Tage und Nächte dauert. Vergangene Woche konnte man an den Automaten noch 800 Euro bekommen. Jetzt erhält man nicht mehr als 100, und es dauert alles fürchterlich lange, weil die Maschine immer nur 40 Euro auf einmal herausgibt.“

Der 38-jährige Tischler Kyprianou ist stolz darauf, dass das zypriotische Parlament mit so großer Mehrheit gegen die Bail-Out-Vereinbarung gestimmt hat. Sie hatte die seit Ausbruch der Eurokrise beispiellose Forderung enthalten, dass normale Kontoinhaber einen Teil der Rechnung zu begleichen hätten. „Wir sind nicht wie die Griechen, die einfach alles unterschreiben, was diese Leute von der EU und dem IWF diktieren“, brüstet sich Kyprianou. „Wir – die Zyprer – können Nein sagen. Und das mit Nachdruck.“

Dabei hat Kyprianou so gut wie keine Arbeit mehr. „Es ist kaum irgendwo noch Liquidität vorhanden“, meint er. „Der Markt ist ausgetrocknet. Ich habe am Samstag eigentlich mit der Anzahlung für einen großen Auftrag gerechnet. Das Projekt ist dann aber geplatzt. Einfach so und ohne Begründung.“ Wie der Tischler Kyprianou hebt auch der Grafikdesigner Vassos Pratziotis jeden Tag Geld ab. Ihn lasse verzweifeln, dass niemand wisse, was die Zukunft bringt. „Sicher, ohne Lösung geht es nicht“, sagt er und zieht an seiner Zigarette. „Es weiß nur niemand, ob es die Lösung überhaupt geben kann. Und wenn ja, wie die aussehen wird. Was soll werden, wenn jetzt die Laiki-Bank zusammenbricht und verschwindet. Sie ist die Hausbank meiner Firma. Und wir sind seit mehreren Monaten nicht mehr bezahlt worden. Wovon sollen wir leben?“

Versorgungsengpässe zeichnen sich noch nicht ab. Zum Wochenende kursierten freilich durchaus besorgniserregende Berichte der großen Lebensmittelketten, die Zulieferer würden dazu übergehen, weniger zu liefern, und Waren sogar zurückhalten, falls sie nicht bar bezahlt würden. „Viele bestehen auf Vorauszahlungen“, erzählt Andriana Anisia, Leiterin einer Filiale der lokalen Supermarkt-Kooperative Green Tree. „Es wird einem himmelangst. Heute kam unsere Milchlieferung, und sie war unerklärlicherweise kleiner als sonst. Wer weiß, was nächste Woche sein wird?“

Wie betäubt

Auch bei den Briten, die ihren Ruhestand auf der Insel verbringen, herrscht Sorge. Viele setzen Himmel und Hölle in Bewegung, um die Überweisung ihrer Renten aus dem Vereinigten Königreich an Banken in Zypern zu stoppen.

Auf den Straßen Nikosias war es am Sonntag, als der Showdown erwartet wurden, gespenstisch still. Die Angst über die finanzielle Zukunft überlagere alles, sagen die Einwohner. „Selbst wenn man Arbeit hat und arbeitet, ist man mit den Gedanken woanders“, beschreibt Designer Pratziotis seine Gemütslage. „Alle sind wie betäubt vor Sorge.“ Wie viele Zyprioten macht auch der Apotheker Iracleous unverhohlen die Deutschen für diesen Druck verantwortlich. „Es geht um Geld, ganz einfach“, sagt er. „Deutschland will über die russischen Oligarchen verfügen, die in unsere Banken investiert haben. Wenn die Zypern verlassen, so wie Angela Merkel das will, müssen sie woanders hingehen. Deutschland steht ganz oben auf der Liste. Wir haben in Zypern inzwischen gelernt, wie vorsichtig man mit seinen Freunden sein muss.“

Helena Smith ist Griechenland- und Türkei-Korrespondentin des Guardian Übersetzung: Zilla Hofman

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Geschrieben von

Helena Smith | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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