Vom Schicksal verweht

Staatenlose Mit der Schließung des Straflagers Guantánamo muss auch über das Schicksal von Häftlingen entschieden werden, die zu den weltweit 15 Millionen Staatenlosen gehören

Barack Obama will das Gefangenenlager Guantánamo innerhalb eines Jahres schließen. Von den 245 Insassen, die dort noch immer festgehalten werden, können fast 80 nicht in ihre Heimatländer zurück, obwohl keinerlei Anklage mehr gegen sie erhoben wird. Warum bereitet es derartige Schwierigkeiten, entlassene Häftlinge in ihre Heimatländer zu schicken? In einigen Fällen drohen ihnen Folter und Haft. Andere werden von „ihrem eigenen Land“ nicht aufgenommen, auch wenn sie sich nichts dringlicher wünschen als eine Heimkehr.

Hier zeigt sich ein ungelöstes Problem, das die Medien bisher vernachlässigt haben: Was ist mit dem „eigenen Land“ oder dem „Heimatland“ der Gefangenen eigentlich gemeint? Diese Frage verweist auf das Phänomen der Staatenlosigkeit, einer der schwierigsten Herausforderungen, die sich mit einer Auflösung des Lagers Guantánamo ergeben. Staatenlos sind laut UNHCR, dem UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge, geschätzte 15 Millionen Menschen weltweit. Staatenlosigkeit folgte auf den Zusammenbruch multinationaler Staaten wie der Sowjetunion oder Jugoslawien, auf die Entnationalisierung unliebsamer Minderheiten wie der Rohingya in Burma oder der Kurden in Syrien oder auf diskriminierende gesetzliche Regelungen zur Staatsbürgerschaft, die es Frauen nicht erlauben, ihre Staatsbürgerschaft an die eigenen Kinder weiterzugeben.Und dann gibt es natürlich noch den besonderen Fall der Palästinenser, denen ein eigener Staat verweigert wird.

Manche Staatenlose haben ihre Heimatländer nie verlassen

Einige Staatenlose sind Flüchtlinge, die meisten allerdings nicht. Viele haben internationale Grenzen überschritten, es jedoch nie geschafft oder gar nicht erst versucht, als Flüchtlinge anerkannt zu werden. Viele sind illegale Immigranten. Wieder andere, wie die russischsprachigen Einwohner Lettlands oder Estlands haben ihre Heimatländer nie verlassen. Doch eines gilt für sie alle: Sie sind willkürlicher Internierung und anderen Formen der Diskriminierung ausgeliefert.

Eine nicht unbeträchtliche Anzahl der gestrandeten Guantánamo-Häftlinge gehört der uigurischen Turk-Minderheit Chinas an. Sie können nicht in die Volksrepublik zurückkehren, weil sie fürchten müssen, dort als Separatisten verfolgt zu werden. Andere Länder wie der Jemen, Algerien oder Saudi-Arabien weigern sich, Guantánamo-Gefangene wieder zu repatriieren. So geschehen im Fall des gebürtigen Saudis Ayman Al Shurafa, der freigesprochen wurde, aber in der US-Exklave aus Kuba bleiben musste, weil kein Land sich bereit erklärt hat, ihn aufzunehmen. Weder die Palästinensische Autonomie-Behörde, in deren Hoheitsgebiet Al Shurafas Familie lebt, noch die saudische Regierung erkennen ihn als Angehörigen ihrer Staaten an.

Über die Guantánamo-Häftlinge spricht man, andere Fälle bleiben unsichtbar

Bemerkenswert ist der Umstand, dass die Staatenlosigkeit und die damit einhergehende Verletzung von Menschenrechten vergleichsweise wenig Beachtung findet, vergleicht man dies mit der Aufmerksamkeit, die der Diskurs über die Rechte von Flüchtlingen auf sich zieht. Die Fälle der Guantánamo-Häftlinge werden beachtet, weil sie öffentlichkeitswirksam sind, während Tausende von Staatenlosen, die sich in Haft befinden oder denen Inhaftierung droht, unsichtbar bleiben.

Leider gibt es bisher zwei, wenngleich recht schwache UN-Konventionen zum Thema Staatenlosigkeit, die sich mit der Rechtsstellung der Staatenlosen (1954) und der Verminderung der Staatenlosigkeit (1961) befassen. Allerdings wurden die nur von einem Drittel der UN-Mitgliedsstaaten ratifiziert und bieten nur denjenigen Schutz, die nachweisen können, keine „tatsächliche Nationalität“ zu besitzen. Deshalb ist es an der Zeit, die Vereinten Nationen und ihre Mitglieder zu drängen, hieb- und stichfeste Regelungen zum Schutz aller von den verschiedenen Arten der Staatenlosigkeit betroffenen Menschen zu schaffen.

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Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Dimitirina Petrova, The Guardian | The Guardian

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