Wahre Größe

Porträt Christina Hendricks wurde als Chefsekretärin in der Retro-­Serie "Mad Men" bekannt. Seitdem wird meist ihr Äußeres kommentiert. Genau wie in der Sechziger-Jahre-Filmwelt

Als sie das Restaurant am Sunset Boulevard in Los Angeles betritt, ähnelt Christina Hendricks so sehr einem jungen Starlet aus den Fünfzigern, dass man kaum umhinkommt, sich einen Moment lang zu fragen, ob sie nicht gerade aus einer Zeitmaschine gestiegen ist. Sie trägt ein weißes Top, eine rote Hose, schwarze Schuhe mit flachen Absätzen und ein paar dicke Einkaufstüten.

Selbst ohne den Sechziger-Jahre-Bleistiftrock und die Hochsteck-Frisur, die ihre Mad-Men-Figur Joan Holloway in der Serie kennzeichnen, sieht die 36-Jährige aus, als entstamme sie einer anderen Zeit und sei nur zufällig im Hier und Jetzt gelandet. Man sollte vielleicht betonen, dass dies keine versteckte Anspielung auf ihre viel zu häufig diskutierte Figur sein soll. Seit Mad Men 2007 beim amerikanischen Kabelsender AMC auf Sendung ging, haben sich manche Kritiker so lang und breit darüber ausgelassen, wie sehr unsere heutige Welt sich von dem sexistischen Umfeld der Sechziger-Jahre-Werbeagentur Sterling Cooper unterscheidet – wo in der Gegenwart einer Frau lüsterne Bemerkungen über ihren Körper gemacht werden –, dass ihnen offenbar entgangen ist, dass sie oft genug genau dasselbe tun. Besonders wenn es um Christina Hendricks geht.

Es gibt wohl keine andere Prominente, deren Körper in den vergangenen Jahren so genau beschrieben und kommentiert wurde. Zwar fallen die Bemerkungen meist positiv aus. Aber von der schwärmerischen Begeisterung für das Aussehen einer Person ist es nur ein kleiner Schritt, bis man sie nur noch auf ihr Äußeres reduziert. Dabei wäre das bei Hendricks höchst ungerecht: Schließlich ist ihre Darstellung der Joan subtil und facettenreich, die Figur besteht aus weit mehr als Aufmachung und Sexappeal.

Retro-Qualitäten

Überhaupt beschränken sich Hendricks’ Retro-Qualitäten nicht bloß auf ihre weibliche Silhouette. Ihre kerzengerade Haltung – ein Überbleibsel aus ihrer Jugend, in der sie Ballett tanzte – und ihre Stimme, die im echten Leben mädchenhafter ist als jene von Joan, tragen ihr Übriges dazu bei. Wenn Hendricks durch den Raum geht, stolziert sie genau wie Joan. Sie selbst sieht das allerdings ein wenig anders: "Mein Mann sagt immer: 'Was für ein Joan-Gang? Du bist doch schon immer so gelaufen'."

Auch in ihrem neuen Kino-Film Drive macht Hendricks’ Retro-Look sich gut. Es geht um einen Stuntman, der gelegentlich als Fluchtfahrer für Gangster arbeitet, wodurch er sich jede Menge Ärger einhandelt. Unter anderem wegen Hendricks, die eine betrügerische Femme fatale namens Blanche spielt. Sie sagt, die Rolle habe sie angenommen, weil sie mit dem Regisseur Nicolas Winding Refn arbeiten wollte. Für Drive wurde Refn im Mai dann auch in Cannes mit dem Preis für die beste Regie ausgezeichnet.

Refn hat Hendricks’ Kompliment in einem Interview brav zurückgegeben und gesagt, er würde sie gern als Titelheldin seines neuen Films Wonder Woman besetzen. "Auf jeden Fall" würde sie diese Rolle aus dem Comic-Kosmos spielen, sagt Hendricks und blickt verwundert, dass man überhaupt darüber nachdenken könnte, ein solches Angebot abzulehnen.

Nicht nur Hendricks’ Aussehen wirkt im heutigen Hollywood mit den vielen an der Grenze zur Magersucht stehenden Schauspielerinnen anachronistisch – auch ihre Unaufgeregtheit und ihr mangelndes Interesse, als Promi wahrgenommen zu werden. Sie habe stets darauf geachtet, mit beiden Beinen auf dem Boden zu bleiben, erzählt sie. Nachdem Hendricks mit der High School fertig war, gewann sie einen Nachwuchs-Modelwettbewerb und fing an, mit dem Modeln ihr Geld zu verdienen. "Aber nicht, weil ich ein Model sein wollte, sondern weil ich unbedingt aus Virginia raus wollte", betont sie.

Freundschaften mit anderen Models schloss sie kaum: "Ich habe viele Mädchen kennengelernt, die immer nur erzählt haben, dass sie ständig hier und dort fotografiert würden, während ich meine Rechnungen zusammenraffte und versuchte, als Freiberuflerin irgendwie klarzukommen." Als sie eine Einladung zu Johnny Depps Geburtstagsparty bekam, verkaufte sie diese, um sich dafür ein paar Lebensmittel leisten zu können. "Ich war verwundert, dass ich überhaupt eingeladen wurde, weil ich ihn gar nicht kannte. Als mir dann jemand sagte, dass die Organisatoren hübsche Models dort haben wollten, kam mir das ziemlich oberflächlich vor", erzählt sie.

Butter auf den Toast

Hendricks modelte von 18 bis 27. In dieser Zeit erfüllte sie sich auch einen Traum und lebte ein Jahr lang in London. Ihr Vater wurde in England geboren, sie selbst hat sowohl die amerikanische als auch die britische Staatsbürgerschaft. Die Zeit in London war daher auch eine Suche nach ihren Wurzeln. "Erst dadurch habe ich einige Dinge verstanden, die mein Vater so macht – wie sich Butter aufs Sandwich zu streichen, wo Amerikaner doch Mayo oder Erdnussbutter bevorzugen."

Ihr Pragmatismus in Bezug aufs Modeln kam ihr auch zugute, als Hendricks’ damaliger Agent ihr mit 25 nahelegte, doch bitte etwas abzunehmen. Sie trug Kleidergröße 36: "Ich dachte mir: 'Du siehst hier vielleicht Kurven, aber das sind nur meine Knochen'", erzählt sie und klopft sich kräftig auf die rechte Hüfte. "Es würde also nichts ändern, wenn ich abnehmen würde. So sehe ich nun mal aus, das ist meine Figur." Sie zuckt mit den Achseln. Abgenommen hat sie dann nicht.

Woher kommt dieses Selbstbewusstsein, woher ihre Unaufgeregtheit? "Ich wuchs in einer Kleinstadt in Idaho auf. Wir waren wahrscheinlich die letzten Menschen auf der Erde, die einen Videorekorder bekamen, Kabelfernsehen gab es auch nicht. Glamour bedeutete da einfach nichts, alle lebten gleich."

Hendricks hat schon immer sich selbst vertraut, statt auf die anderen zu hören – was ihr als Erwachsene mehr Glück einbringen sollte denn als Teenager. Sie war zwar gut in der Schule, aber auch ziemlich unglücklich. "Ich würde nicht sagen, dass ich die Schule jemals mochte." Kurz bevor sie in die High School kam, zogen ihre Eltern mit ihr und ihrem älteren Bruder aus der Kleinstadt Twin Falls in Idaho in das größere Fairfax in Virginia: "Für Teenager ist es nie einfach umzuziehen." Sie sei dann ein "Goth-Kid" geworden. "Ich habe meine Haare in ungefähr 42 Farben gefärbt. Kids in dem Alter können ziemlich harsch über Leute urteilen, die anders sind." Doch statt einzuknicken und die anderen durch eine unauffällige Haarfarbe zu besänftigen, hielt sie stand. "Deshalb war ich wohl aber auch unglücklich", sagt sie.

Ihre Standhaftigkeit – mancher würde wohl auch sagen: Dickköpfigkeit – half ihr aber 15 Jahre später in einer ganz anderen Situation. Als sie das Script für Mad Men in die Hände bekam, wollte ihre damalige Schauspiel-Agentur nicht, dass sie die Rolle annahm. Hendricks hatte bereits einige Jahre lang in Los Angeles vor der Kamera gearbeitet. Sie hatte zwar ab und zu einen Auftritt in Emergency Room, richtig vorangekommen war ihre Karriere aber noch nicht. "Die Agentur meinte, der Mad-Men-Sender AMC habe keine anderen großen Serien und ich sollte lieber ein vielversprechenderes Angebot annehmen. Ich antwortete: 'Ich habe bisher immer auf die viel­versprechenderen Sachen gesetzt – diesmal sollten wir es mal mit einem wirklich guten Drehbuch versuchen.'"

Die Agentur feuerte sie

Sie übernahm die Rolle, ihre Agentur ließ sie fallen. Der enorme Erfolg von Mad Men gab Hendricks aber recht. Und die Erfahrung lehrte sie erneut, sich nicht beirren zu lassen. Eine gute Vorbereitung auf das, was folgte. Inzwischen wird sie von der Presse genauestens beobachtet, besonders ihr Körper und ihre Kleiderwahl werden auseinandergenommen: "Das war anfangs sehr irritierend, weil mein Körper früher nie Gegenstand von Kommentaren war. Jede Frau macht sich wegen ihrer Figur verrückt, aber ich war glücklich. Ich fühlte mich sexy." Sie sagt, sie habe einfach nie drüber nachgedacht, ob sie irgendwelche Erwartungen erfülle. "Ich weiß, dass das naiv klingt, aber diese Art der Aufmerksamkeit hatte ich ganz ehrlich nicht erwartet."

Eine besonders heftige Kritik kam von Cathy Horyn, einflussreiche Mode-Redakteurin der New York Times. Horyn kommentierte in einem Text über die Golden Globes Christina Hendricks’ Rüschenkleid mit den Worten: "Wie ein Stylist mal sagte: 'Regel Nummer eins: Steck’ ein üppiges Mädchen nie in ein voluminöses Kleid.'" Die Zeitung bearbeitete auch ein Foto von Hendricks, sodass sie fülliger als in Wirklichkeit aussah. Später entschuldigte man sich dafür.

"Das war unverschämt", sagt Hendricks heute. "Ich weiß, dass sie irgendwie auch nur ihren Job gemacht hat, aber es hat mich verletzt." Sie kam damals gerade mit ihrem Mann aus den Flitterwochen. "Ich war glücklich. Und dann schreibt Horyn diese fiesen Sachen und mir ging es ... " Statt weiterzusprechen, wirft sie das Gesicht in Falten. "Eine Woche später bei den Screen Actors Guild Awards sah ich dann so aus" – sie macht ein betont trauriges Gesicht. "Ich dachte die ganze Zeit nur: 'Bitte sagt nichts Gemeines!'" Dabei lächelt sie so selbstironisch, dass man nicht den Eindruck hat, die Kritik könne sie wirklich aus dem Gleichgewicht bringen.

Ihren Mann Geoffrey Arend lernte Hendricks 2007 über den gemeinsamen Freund Vincent Kartheiser kennen, der bei Mad Men die Rolle von Pete Campbell spielt. "Geoffrey kam rein mit seinen Locken, einer Krawatte in der Hand und falsch geknöpftem Hemd und ich dachte nur: 'Ist der süß!'", erinnert sie sich. 2009 heirateten die beiden.

Am Tag nach dem Interview beginnen für Hendricks die Dreharbeiten für die nächste Mad-Men-Staffel. Sie spielt die Joan nun schon so lang – und wird es, so wurde kürzlich bekanntgegeben, auch noch drei weitere Staffeln tun. Was für ein Ende wünscht sie sich für Joan? Sie lächelt und blickt auf ihren eigenen Ehering: "Ein glückliches! Einfach nur glücklich und verliebt."

Hat die ständige Aufmerksamkeit, die die Rolle mit sich gebracht hat, sie unsicherer gemacht? "In gewisser Hinsicht schon. Einiges von dem, was über mich gesagt wurde, war einfach unfassbar." Einiges war aber auch sehr schmeichelhaft – immerhin nennt eine ganze Reihe von Männer-Magazinen sie die sexyste Frau der Welt. "Mein Mann sagt immer: 'Das hab’ ich dir doch schon vor Jahren gesagt.'" Ein Lächeln legt sich über ihr Gesicht. "Er ist der Einzige, der mir wirklich das Gefühl gibt, sexy zu sein."

Hadley Freeman schreibt für den Guardian Kolumnen und Porträts. Im Freitag erschien von ihr zuletzt ein Porträt des Schauspielers Gabriel Byrne aus der US-Serie In Treatment.

Mehr als aufwändige Dekors die Faszination von Mad Men


Bekannt wurde Christina Hendricks als Joan Holloway, Chefsekretärin der Werbeagentur Sterling Cooper in der AMC-Serie Mad Men. Mit wippenden Hüften, makellosem Teint und perfekt sitzender roter Hochsteckfrisur führt Joan das Regiment über ein Großraumbüro junger Frauen, die auf der Madison Avenue ein Auskommen und das Abenteuer suchen. Als die Serie im vergangenen Herbst in Deutschland auf ZDFneo anlief (die zweite Staffel ist zurzeit immer mittwochs um 22.30 Uhr zu sehen), setzte die zugehörige Kampagne (Hinter jeder erfolgreichen Frau steht ein Mann, der ihr auf den Arsch glotzt) ausschließlich auf diese äußerlichen Reize, die das Universum von Sterling Cooper wie ein Paradies für Maskulisten in exquisiter Sechziger-Jahre-Kulisse erscheinen lassen. Eine Truppe entschlossener Männer verwaltet in erstklassig sitzenden Maßanzügen den amerikanischen Traum vom schnellen, unbeschwerten Konsum. Ihre Kampagnen entscheiden, welche Zigaretten das Land raucht (Lucky Strike), was die Mädchen auf den Lippen tragen (Belle Jolie) und welches Bier die Hausfrau Gästen serviert (Heineken). Die No-gos von heute gehören dabei zum guten Ton: Scotch zum Brainstorming, Kettenrauchen im Meeting, eine schnelle Nummer im Büro.


Nostalgie ist jedoch nur ein Aspekt des Erfolgs der Serie, deren Autorenteam fast ausschließlich aus Frauen besteht. Genauso gut könnte man nämlich sagen: Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine Frau, die dem vermeintlich guten Leben hinter der akkurat getrimmten Hecke in Suburbia in die Falle gegangen ist. Denn Mad Men ist vor allem eines: eine messerscharfe Sozialstudie der frühen Sechziger, die die Abgründe hinter den aufwendigen Kulissen seziert.


Vergangene Woche wurde die Serie zum vierten Mal in Folge mit dem Emmy, dem Oscar der Fernseh-Branche, als beste Drama-Serie ausgezeichnet. ckä

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Hadley Freeman | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

The Guardian

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden