Schreibwerkstatt Nach der Idee des US-Schriftstellers Dave Eggers hat Nick Hornby nun in London ein Ministry of Stories eröffnet. Dort lernen Kinder, eigene Geschichten zu schreiben
Frisch gespitzte Bleistifte liegen ordentlich nebeneinander auf dem Tisch, der frisch nach Holz riecht. Auf den fünf roten Stühlen hat noch nie jemand Platz genommen. Wir verteilen Papier. Die Bücher auf dem Regal stehen in Reih und Glied. Wir warten. Es klopft an der Tür. Aufgeregt strömt eine Schulklasse von draußen in den Vorraum. Sie kommen von der Jubilee-Grundschule und sind die ersten Besucher dieses ungewöhnlichen Ortes: Ein Monster-Laden, der gleichzeitig als Schreibwerkstatt dient. Am Freitag vor einer Woche wurde er von Nick Hornby in London eingeweiht.
Die Leiterin des Zentrums, Lucy Macnab, erklärt den Kindern, es gebe eine Geheimtür, durch die sie eintreten müssten. „Wie lautet das Zauberwort?“, fragt sie. „Mo
22;Wie lautet das Zauberwort?“, fragt sie. „Monster!!!“, schreien die Kinder. Jungen sollen besser schreibenDie Geheimtür geht auf und sie rennen lärmend in den Raum, auf eine rote Matte zu, wo sie sich im Schneidersitz hinsetzen. Sie dürfen keine Zeit verlieren, bekommen sie gesagt – bis zum Mittagessen müssen dreißig Geschichten fertig sein. Werden sie das schaffen? „Jaaaaaaaaaaa!!!!“ Auf diesen Augenblick haben ich und die anderen freiwilligen Helfer gewartet. Wir waren gespannt, wie die Kinder reagieren würden. Das Ministry of Stories hat nach monatelanger Planung und Vorbereitung von Monster-Produkten seinen Betrieb aufgenommen. Das innovative Projekt in Sachen Lese- und Sprachkompetenz wurde von dem Erfolg des Schreibprogramms 826 inspiriert, das der Romancier Dave Eggers in den USA angestoßen hat. Es ist eine Oase, fernab von Klassenzimmer und Lehrplänen.„Es besteht definitiv Bedarf, die Lese- und Schreibkompetenz von Kindern und Jugendlichen zu verbessern“, sagt Macnab, die das Zentrum mit Ben Payne zusammen gegründet hat und leitet. Wie die diesjährigen Tests zeigen, insbesondere bei den Jungen. Und welches bessere Vorbild als Nick Hornby ließe sich denken, um Jungs zum Schreiben zu motivieren? Seit Februar engagiert er sich für das Projekt. Er hofft, dass sein Besuch jungen Autoren Selbstvertrauen geben wird: "Das Ministry of Stories ist ein Ort, an dem junge Leute zum Schreiben angeregt werden sollen. Sie sollen sich auf allen Ebenen mit dem Geschichtenerzählen auseinandersetzen", so Hornby. Wenn es von der Arbeit von 826 lernt, hat das Ministry of Stories in der Tat Aussicht auf großen Erfolg. Eggers rief sein Projekt in San Francisco ins Leben als ihm klar wurde, dass im Englischunterricht die individuelle Förderung und Betreuung zu kurz kommt. Es wurde so gut angenommen, dass in anderen amerikanischen Städten sieben weitere Zentren eröffnet wurden, in denen mittlerweile jedes Jahr 22.000 Schüler Schreibunterricht erhalten. Wie viele der Beteiligten wissen, ist es nicht ganz leicht, mit dem Schreiben anzufangen. Daher haben die Schüler der Jubilee-School wie alle anderen, die ihnen folgen werden, den Anfang der Geschichte gemeinsam entwickelt. „Was gehört zu einer Geschichte?“, fragt Macnab. Hände schnellen in die Höhe, ungeduldig und erwartungsvoll. „Aufregende Worte!“ „Ja.“ „Vorstellungskraft.“ „Gut. Was noch?“ „Anfang, Mittelteil und Ende.“In einer Abstimmung mit verschlossenen Augen wird die Hauptfigur bestimmt: der dicke Bob. Zu seinem Komplizen in der Geschichte bestimmen die Kinder den Mann ohne Namen. „Was ist Bobs größter Traum?“„Dünn zu sein.“„Und wovor hat er Angst?“„Er hat Angst vor Haaren.“Während die Kinder sich die Kernelemente ihrer Geschichte ausdenken, steht vorne ein Illustrator und erweckt ihre Kreationen zum Leben. Als nächstes diktieren die Kinder dem Gründer Ben Payne die Geschichte Zeile für Zeile: „Es klopft an der Tür und draußen steht der Mann ohne Namen und er bietet ihm an, ihm sein Schicksal zu offenbaren. Er öffnet die Tür und der Mann ohne Namen holt ein magisches Übungsbuch hinter dem Rücken hervor. Er macht es auf und es steht nichts drin, deshalb fragt Bob: „Was ist mein Schicksal?“ „Jedes Mal, wenn du etwas in das Heft schreibt, musst du dich dabei bewegen und wirst auf diese Weise viel dünner.““Die Hürde des leeren BlattesDie Kinder rufen begeistert „Jaaaa!“, wenn ihnen ein Vorschlag besonders gut gefällt. Man kann beinahe sehen, wie die Ideen aus ihnen herauszuplatzen drohen, wenn sie sich anstrengen, ihre Hände so weit in die Luft zu strecken wie möglich. Als die Geschichte beginnt spannend zu werden, gehen die Kinder an die im Raum verteilten Tische, um am zweiten Teil allein weiterzuarbeiten. Nun müssen die Mentoren dafür Sorge tragen, dass die Hürde überwunden wird, die des leeres Blattes. In ihrer Ausbildung haben alle Mentoren selbst diesen Prozess durchlaufen und versucht, eine Geschichte zu schreiben. Während ich um zwei der Tische herumgehe, höre ich mir eine Idee nach der nächsten an. Das Leben des dicken Bob entwickelt sich in alle denkbaren Richtungen. Die Vorstellungskraft der Kinder ist wesentlich größer und ungezwungener als die von Erwachsenen. „Schreib’s auf!“ „Klasse, schreib’s auf!“ ist alles, was sie brauchen und schon bald ergießen sich die Zeilen über die Blätter. Ich lasse meinen Blick schweifen und sehe lauter junge Autoren – konzentriert und mit Eifer bei der Sache.Das ist genau das, was sich all die Schriftsteller erhofft haben, die das Ministery of Stories unterstützen und die Liste der Unterstützer ist beeindruckend. Commitments-Autor und Gründer des ebenfalls von 826 inspirierten Fighting Words in Dublin, Roddy Doyle, gehört ebenso dazu wie der frühere Poeta Laureatus Sir Andrew Motion, der preisgekrönte Stückeschreiber Kwame Kwei-Armah und der Curtis-Brown-Preisträger Joe Dunthorne. Dem Beirat gehören Zadie Smith, die preisgekrönte Schriftstellerin Meera Syal und die Dichterin und Illustratorin Laura Dockrill an.Der zugehörige Monster-Shop hat an den Wochenenden auch für die Allgemeinheit geöffnet. Hier gibt es abgepackte Angst in den Ausführungen „Ein etwas ungutes Gefühl“, „Flaues Gefühl im Magen“ oder „Nackte Panik“. Eine schwarze Fantasy-Dose kostet acht Pfund, es gibt aber auch Dosen mit Inhalt, wie „Der dickste Rotz“ (Zitronenaufstrich) oder Gehirnmarmelade nach Großmutters Art für fünf Pfund das Glas. Für die Kinder, die das Ministerium besuchen, gibt es aber natürlich ein wesentlich persönlicheres Geschenk. Während die Schüler der Jubilee-Schule ihre Geschichten beenden und aufstehen, um sie vorzulesen, rollt auch schon das erste Geschichtenbuch des Ministeriums aus der Presse. Auf dem Cover steht der Titel, auf den sich die Kinder verständigt haben: Die neuen Abenteuer des dicken Bob und der Name des jeweiligen Kindes. Stolz halten die Kinder ihre Bücher in den Händen. Sie ziehen ihre Mäntel an und verlassen den Raum. Als die Tür sich hinter dem letzten schließt, liegen überall Bleistifte verstreut und die Stühle stehen kreuz und quer herum. Alles ist wieder still. Es fehlt etwas. Jetzt hat die Geschichte des Ministeriums begonnen.
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