Einen kurzen Fußweg vom Tahrir-Platz entfernt befindet sich der nach dem 1941 verstorbenen ägyptischen Nationalisten und Gründer der ersten ägyptischen Bank benannte Tala'at Harb-Platz. Auf der Verkehrsinsel erinnert eine kleine Statue mit Fez auf dem Kopf an den Namensgeber. Vor Tagen wurden hier im Rahmen einer Open-Air-Guerilla-Aktion Video-Clips gezeigt. An die hundert Leute kamen zusammen, um sich auf einer improvisierten Leinwand anzusehen, wie Demonstranten von Polizei und Militär verprügelt, verhaftet und getötet wurden.
Der Eindruck, den man bei der Vorführung bekommen musste, wurde durch die Erklärung Mohamed El Baradeis bekräftigt, er werde aus Protest gegen die ausbleibenden demokratischen Fortschritte nicht für die Prä
e Präsidentschaftswahlen kandidieren. Bei einer hastig organisierten Pressekonferenz erklärte der Friedensnobelpreisträger, er sehe die Bedingungen für ein faires Votum nicht gegeben. Die Militärregierung verhalte sich, als habe es keine Revolution und keinen Sturz des Regimes gegeben.Tiefe EntfremdungGerade wurden die Pläne der Armee für den Jahrestag der ersten großen Demonstration am 25. Januar bekannt. Die Generäle wollen versuchen, ihre Rolle als „Verteidiger“ der Revolution in der Geschichte des Landes festzuschreiben. Es wird Feuerwerk und Aufmärsche geben, die Luftwaffe wird mit einer Flugshow auftrumpfen und im ganzen Land Gutscheine vom Himmel regnen lassen. Für Kritiker ein zynischer Versuch, die armen Ägypter zu bewegen, in ihren Vierteln zu bleiben und nicht auf die großen Plätze zu gehen. All dies soll einen Slogan aus Revolutionstagen in Erinnerung rufen, dessen Klang im Laufe der Monate immer hohler geworden ist: „Das Volk und die Armee sind eins!“Die Front in Ägyptens unvollendeter Revolution verläuft zwischen den Resten des „Tiefen Staates“, der unter Mubarak existierte, und denjenigen, die einen vollständigen Übergang hin zu einer Zivilregierung fordern. An diesem Konflikt hat sich auch mit der Konstituierung des quasi ersten frei gewählten Parlaments nichts geändert.Im Jahr nach Mubarak entwickelten die Revolutionäre eine tiefe Skepsis und Feindseligkeit gegenüber den Generälen. Kritische Blogger und Aktivisten wurden geschlagen und vor Militärtribunale geschleift. Viele wanderten ins Gefängnis, wie Maikel Nabil, der im März wegen „Beleidigung“ des Militärs und der „Verbreitung von Falschinformationen“ zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Er hatte nichts weiter getan, als in einem Blog die Rolle des Militärs während der Revolution in Frage zu stellene. Weibliche Demonstranten wurden „Jungfräulichkeitstests“ unterworfen, sexuell belästigt, ausgezogen und geschlagen. Das harte Durchgreifen des Militärs setzt sich seit Wochen mit Razzien bei Menschenrechtsorganisationen fort – sie werden von der Armee mit der Behauptung begründet, die Unruhen im Land würden von „ausländischer Hand“ angestachelt.Auf dem Parkplatz der ehemaligen Parteizentrale von Mubaraks Staatspartei NDP zwischen dem ägyptischen Museum und der Kasr al-Nil Brücke an der Nilpromenade stehen immer noch ausgebrannte Autowracks herum, die mittlerweile Rost angesetzt haben. Vor einem Jahr war das Gebäude eines der ersten, die in Flammen aufgingen. Unweit davon stößt man auf ein Zeugnis jüngster Auseinandersetzungen: Am Regierungsgebäude in der Mohamed-Mahmoud-Straße versperrt eine im Vorjahr errichtete Mauer den Durchgang.Bündnis auf Zeit Wie viele, die zum Kern der Demonstranten auf dem Tarhir gehörten, fragt sich Ahmed Salah, ob die gegenwärtige Repression von Militärs und anderen Institutionen des „tiefen Staates“ gegen die Revolution ein Zeichen anhaltender Stärke oder eher Indiz für dessen wachsende Schwäche ist: „Ein Jäger wird ihnen bestätigen, dass nichts gefährlicher ist als ein Löwe, der verwundet ist und weiß, dass er sterben wird. Der Oberste Militärrat steht wegen seiner wirtschaftlichen Fehler, den Menschenrechten und – ich würde sagen – auch wegen seines hochverräterischen Vorgehens mit dem Rücken zur Wand. Sie wissen, dass ihnen nur die Möglichkeit bleibt, die Revolution zu ersticken.“Die bei den Wahlen siegreiche Muslim-Bruderschaft ist mit den Generälen ein Bündnis auf Zeit eingegangen. Der Deal könnte darin bestehen, dem Militär seine Sicherheiten und Posten zu lassen, um auch weiterhin politischen Einfluss auszuüben, so wie es die Armee bis beute in Pakistan tut.Was nun – nach den Wahlen – geschieht, dürfte über die Zukunft Ägyptens entscheiden: Eine Legitimationskrise ist zu erwarten. Das größte Konfliktpotenzial besteht bei den in der neuen Verfassung enthaltenen Artikeln und den Befugnissen des Präsidenten. Zu Spannungen könnte es dabei nicht nur zwischen Revolutionären und Militärrat, sondern auch zwischen den neu gewählten islamistischen Parteien und der Armee kommen. Doch haben sowohl Muslim-Brüder als auch Salafisten erklärt, sie würden den Generälen gern einen sicheren Abgang anbieten.Es wäre zu fragen, ob die Generäle überhaupt daran denken, ihren Abschied zu nehmen. Der vor kurzem veröffentlichte Jahresbericht von Amnesty International spricht von 12.000 inhaftierten Bürgern, von Folter und Misshandlungen, die sich genauso fortsetzen wie in den letzten Tagen unter Mubarak. Nach Ansicht von Heba Morayef, die für Human Rights Watch tätig ist, wird es zunächst um die Machtbefugnisse des neuen Parlaments sowie des Präsidenten und die Frage gehen, inwieweit es gelingt, die Generäle aus der Politik hinauszudrängen. Obwohl sie ihr Bestes tun, diesem Konflikt aus dem Weg zu gehen, werden die Muslim-Brüder ihn dennoch nicht vermeiden können. „Die Generäle haben bereits versucht, Einfluss darauf zu nehmen, wer in der Verfassungsgebenden Versammlung sitzen darf und wer nicht, was indes zurückgewiesen wurde. Die nächste Schlacht dreht sich darum, wer wirklich die politische Macht inne hat“, so Morayef.