Das inzwischen berühmt-berüchtigte, auf YouTube erschienene Video Innocence of Muslims hat der US-Regierung einiges Kopferzerbrechen bereitet, was den Umgang mit den Reaktionen in den turbulentesten Teilen der Erde betrifft. Es hat aber auch heikle Fragen darüber aufgeworfen, welche Rolle kommerzielle Unternehmen bei der Durchsetzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung in einer vernetzten Welt spielen. Diese Frage werden sich auch dann noch stellen, wenn Innocence of Muslims längst in Vergessenheit geraten ist.
Europäische Kommentatoren haben selbstgefällig bemerkt, die ganze Aufregung um das Video zeige, wie wenig man in der arabischen Welt das Konzept der Redefreiheit begreife. Was sich aber eigentlich offenbart hat, ist die Kluft, die Amerika vom Rest der Welt, Europa eingenommen, trennt. Wäre das Video beispielsweise auf einer in Großbritannien ansässigen Hostseite erschienen, wäre es dort wegen Anstiftung zu religiösem Hass heruntergenommen worden.
Nicht gegen muslimische Menschen
Das First Amendment der US-Verfassung hingegen schafft eine andere Rechtslage. Die Obama-Regierung konnte das Video nicht verbieten und versuchte deshalb, den YouTube-Eigner Google davon zu überzeugen, dass es gegen die YouTube-Richtlinien verstoße. Google wies das vor zehn Tagen zurück, weil auf das Video seinen Richtlinien zufolge nicht der Tatbestand der Hassrede zutreffe. Der Filmschnipsel blieb online, weil er zwar gegen die Religion des Islam gerichtet sei, nicht aber gegen muslimische Menschen.
So weit, so gut. Dann aber schien Google seine eigenen Argumente zu untergraben - man erklärte, man habe den Zugang zu dem Video in einigen Ländern gesperrt. In Indien und Indonesien etwa wurde das Video gesperrt, weil es gegen dortige Gesetze verstoße, in Ägypten und Libyen hingegen wurde es aufgrund der „heiklen Situation“ blockiert, nicht, weil es dort ebenfalls geltendem Recht widerliefe.
Selbst wer kein Verfassungsanwalt ist, fängt an diesem Punkt an zu vermuten, dass etwas faul ist. Hier trifft eine kommerzielles Unternehmen Entscheidungen, die auf Zensur hinauslaufen. Wäre Google ein Verlag wie etwa die New York Times, könnte die Frage nach der Veröffentlichung oder Nichtveröffentlichung des Videos über die zuständigen Instanzen – die Gerichte – entschieden werden. Google ist aber kein Verlag, sondern etwas ganz anderes – ein Mittler. Davon gibt es heutzutage immer mehr, auch Facebook, Twitter und, so seltsam es klingen mag, Amazon, zählen dazu.
Mittler verfügen über große Macht
Wir befinden uns also auf neuem, unbekanntem Gebiet. Der Rechtswissenschaftler Eoin O'Dell beschreibt es auf seinem Blog so: „Zunächst muss in der Onlinewelt, in der die meisten von uns über verschiedene Mittlerdienste ins Internet gehen, Zensur von Regierungsseite nicht unbedingt die missliebige Äußerung ins Visier nehmen. Es reicht, sich die Mittler vorzunehmen. Nur sehr wenige US-amerikanische Unternehmen würden sich in der Lage fühlen, eine solche Anfrage des Weißen Hauses abzulehnen. Es ist löblich, dass Google unter diesen Umständen hart geblieben ist. Zweitens verfügen diese Mittler in der Praxis über große Macht, wenn es um die Meinungsäußerung im Internet geht. Sie können nicht nur von Regierungen als Erfüllungsgehilfen staatlicher Zensur vereinnahmt werden, sondern auch eigenständig als Zensoren eingreifen, wie Google, als es im Nahen Osten den Zugang zu dem Video sperrte.“
Es mag zunächst stutzig machen, doch erstmals kam das Thema im Zusammenhang mit Amazon auf. Das Unternehmen wird von den meisten ausschließlich als Onlinehändler wahrgenommen, es bietet aber auch Cloud Computing Dienste an, die es zu einem Mittlerdienst machen. Zu Zeiten der „Cablegate“-Kontroverse, als sich WikiLeaks verstärkt Cyberangriffen ausgesetzt sah, wurde die Seite auf den EC2-Cloudservice von Amazon verlegt, weil dessen Infrastruktur jedem Angriff standhalten könne.
Diese Lösung war jedoch nur vorübergehend. Nach empörten Reaktionen einiger US-Politiker - allen voran Senator Joe Lieberman und und Vizepräsident Biden – warf Amazon Wikileaks kurzerhand von seinen Servern. Einfach mit der Begründung, WikiLeaks habe gegen seine Nutzungsbedingungen verstoßen.
Wie frei ist die freie Rede?
Wirklich? Die Obamaregierung wusste, dass eine direkte Anordnung an Amazon einer Klage unter Berufung auf das First Amendment nicht standgehalten hätte. Sie ging hingegen davon aus, dass sie ihr Ziel auch über eine öffentliche Stellungnahme einer ihrer Beamten erreichen könne und die Umsetzung dann durch einen „freiwilligen“ Schritt eines Privatunternehmens erfolgen würde.
Das bedeutet, erläutert der Rechtswissenschaftler Yochai Benkler, dass die im ersten Zusatzartikel der US-Verfassung verankerten Vorrichtungen zum Schutz der freien Rede unter Umständen in einer öffentlichen Spähre, die gänzlich aus sich in Privatbesitz befindlicher Infrastruktur besteht, nicht viel zählen.
Facebook – oder YouTube – sehen vielleicht aus wie öffentliche Räume. Doch wenn es hart auf hart kommt, bieten sie der freien Rede nicht mehr Raum als irgendein Einkaufzentrum.
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