Als Max vor sechs Monaten in unser Leben kam, wollten Karl und ich das privat halten. Es gibt die Arbeit, das öffentliche Leben, Twitter und all das. Und es gibt unsere eigene kleine Welt. Bald aber wurde uns klar, wie naiv und sogar egoistisch das war. Wir hatten uns beide als schwul geoutet, als das – oberflächlich betrachtet – normal geworden war. Keiner von uns beiden hat je ernsthafte Schikanen erlebt. Uns selbst aber hatten wir noch nicht befreit. Der Moment, meinem Friseur zu erzählen, dass ich schwul bin, kam einfach nie. Schon komisch.
Als Karl und ich Melanie trafen, die uns am Ende die Elternschaft möglich machte, erzählte sie uns, ihr Interesse am Thema Leihmutterschaft sei durch die Oprah-Winfrey-Show geweckt worden. Oprah! Das ließ alle Alarmglocken läuten. Doch am Ende des fünfjährigen Prozesses, der uns zu Eltern machte, wurde mir schließlich klar, dass wir unsere Geschichte erzählen müssen. Wir konnten Max nur dank anderer Menschen bekommen, die die ihre erzählt haben – wenn auch in einer geschmacklosen Talkshow.
Das Modell Co-Parenting
Ich wollte immer Kinder haben: Das lag an meinen sehr jüdischen Ängsten: „Alt werden ohne Kinder? Wie einsam!“ Aber auch an meinen positiven Erfahrungen. Ich bin in einer liebevollen und fürsorglichen Familie aufgewachsen.
Mit dem Älterwerden kam das Bedürfnis nach einem neuen Sinn und mehr Selbstlosigkeit für mein Leben. Mein Partner Karl hatte, bevor wir uns kennenlernten, nie solche Gedanken gehabt. Er war wie die meisten homosexuellen Männer davon ausgegangen, dass Kinder für ihn einfach nicht sein sollten. Für ihn war das nicht mit großen Emotionen oder einem Gefühl des Verlustes verbunden. Er hat sich auf die Arbeit konzentriert und aufs Fitnessstudio. „Lass uns eine gute Zeit haben“ war eher sein Motto. Meine Vorstellung von „Selbsterfüllung durch ein Kind“ war ihm fremd.
Kinderkriegen war dennoch ein Thema für uns. Karl war sich unsicher, wie das funktionieren sollte: Wie würde ein Sohn oder eine Tochter in unser Leben passen? Wer von uns beiden würde die Mutter sein, wer der Vater? Wir hatten keine Vorbilder, noch keine Familie mit zwei Vätern erlebt. Ich wusste nur, dass ich mich nach einem Baby sehnte. Karl blieb unsicher und machte schließlich mit. Er sagte: „Solange ich dich nicht verliere und du dein Kind nicht irgendwann mehr liebst als mich.“ Das meinte er nur halb im Scherz.
Die naheliegendste Möglichkeit für uns war eine Co-Elternschaft. Dieses Arrangement ist bei schwulen Männern in meiner Heimat Israel beliebt. Man tut sich mit einer Frau, egal ob homo- oder heterosexuell, zusammen und zieht gemeinsam ein Kind groß: Wie in einer Scheidungsfamilie würde das Kind zwei Zuhause haben. Wir hielten das erst für perfekt: Karls und meine kleine Einheit würde intakt bleiben, unser hedonistischer Lebensstil unberührt, und wir könnten trotzdem ein Kind haben: ein Teilzeitkind. Auf einer tieferen Ebene berührte dieses Modell aber auch einen meiner vielen Komplexe. Dass das nicht richtig sein kann, ein Kind ohne Mutter; dass es eine Sünde sei, ihm Pulvermilch statt Muttermilch zu geben. Ich wurde getrieben von Gefühlen der Unzulänglichkeit.
Über eine Webseite habe ich ein lesbisches Paar aus Brighton kennengelernt. Das erste Treffen war wie ein Blind Date, mit aller Verlegenheit, den schnellen Urteilen und dem schüchternen gegenseitigen Aussondieren, das dann folgen würde. Noch unbehaglicher wurde die Begegnung dadurch, dass es nur einen Grund gab, sich zu treffen: Wir wollten ein Kind machen. Es war das Vorstellungsgespräch für die Mutter meines Kindes. Hilfe!
Wir konnten bald sogar über diese bizarre Situation lachen. Die beiden Frauen waren richtig nett. Das hatte ich nicht erwartet. Welcher Mensch meldet sich schon bei einer Webseite an, um mit Fremden ein Kind zu kriegen?
Wir trafen uns dann alle paar Wochen, um über „unser Arrangement“ zu reden. Am Anfang schien alles prima. Wir haben Abende in einem feuchten Haus, das zwei Lesben und ihren zwei Katzen gehörte, verbracht und Tage in unserer schicken Londoner Wohnung. Wir mochten uns, aber wir mussten auch einen informellen Vertrag verfassen. Und setzten dafür ein komplexes Dokument auf.
Darin war ein Plan für das erste Jahr, das zweite und die beiden danach, und es gab Vereinbarungen über die Grund- und die weiterführende Schule. Ich sollte zweimal in der Woche nach Brighton fahren, jedes zweite Wochenende sollte das Kind bei uns verbringen – aber erst nach neun Monaten. Karl und ich sollten „es“ allein mit in den Urlaub nehmen dürfen, aber erst, wenn „es“ zwei Jahre alt wäre. Der Vertrag wurde zu einem Fluch. Nach schmerzhaften Telefonaten über die kleinsten Details das Leben eines Kindes betreffend, das noch gar nicht existierte, wurde uns klar: Das würde so nicht funktionieren. Am Ende scheiterte unsere Einigung an Fragen wie der, wo das Kind mit sechs Jahren einen halben Nachmittag verbringen würde. Die Mädels aus Brighton hatten zudem festgestellt, dass sie ein Vollzeitbaby wollten. Ich hatte erkannt, dass mein Kind enger mit Karl und mir zusammenleben sollte. Unsere Wege trennten sich.
Wenig später kam eine enge Freundin auf mich zu. Karin war damals 42 Jahre, so alt wie ich, und meinte, wir sollten es doch zusammen versuchen. Sie ist heterosexuell und sah ihre letzte Chance, noch Kinder zu bekommen. „Wie cool das wäre“, sagte sie. „Wir wohnen in fußläufiger Entfernung voneinander, das Kind würde immer im gleichen Viertel wohnen. Wir könnten wie eine große Familie leben.“ Wir ließen uns ohne Zögern darauf ein. Diskussionen, ein paar vage Abmachungen, dann gab ich morgens auf dem Weg zur Arbeit Sperma ab. Wir erkundigten uns gleichzeitig nach den Möglichkeiten der assistierten Reproduktion. Die Kinderwunsch-Ärzte sagten uns, die Aussichten auf eine Schwangerschaft seien äußerst gering. Wir hätten besser „gestern“ mit einem In-vitro-Fertilisation-Zyklus angefangen. Wir fühlten uns unbesiegbar. Wir wussten ja, dass die Umstände gegen eine Frau in den Vierzigern sprachen. Für uns gelte das aber nicht, dachten wir. Wir waren gewohnt, zu bekommen, was wir wollten.
Oder künstliche Befruchtung?
Wir versuchten vier Runden künstliche Befruchtung. Jeder erfolglose Versuch trübte unsere Stimmung mehr. Für Karin war es noch schlimmer: Jedes Ergebnis brachte sie der Kinderlosigkeit näher. Auch unsere Freundschaft litt. Wie mit den Frauen aus Brighton kam es zu Kontrollkonflikten. Wir wurden zu Co-Managern eines Projekts, teilten unser künftiges Leben auf, während das immer weiter von uns wegrückte. Nach dem vierten erfolglosen Versuch entschieden wir aufzuhören. Karin akzeptierte nach und nach, dass es in ihrem Leben keine Kinder geben würde. Aber ich hatte noch nicht aufgegeben. Auch wenn es mir nach drei Jahren immer unrealistischer schien, dass mein Traum wahr wird. Der Gedanke, es ohne Mutter zu versuchen, wuchs in mir. Und Karl würde mitmachen. Er sagte inzwischen nicht mehr dein, sondern unser Kind. Er konnte sich mittlerweile vorstellen, ein Vollzeitvater zu sein. Wie wäre es mit einer Leihmutter?
Ich ging mit etwas Beklemmung an dieses Thema heran. Uns wurde schnell klar, auf was für ein Minenfeld wir uns so unbekümmert begeben hatten. In Großbritannien, wo wir leben, ist es illegal, eine Frau für das Austragen eines Kindes zu bezahlen. In den USA ist so etwas viel gängiger. Wir meldeten uns also bei einer Agentur in Los Angeles an, die Leihmutterschaften arrangiert und komplizierte medizinische und juristische Prozesse begleitet. Nach wenigen Monaten wurde uns Melanie vorgeschlagen. Sie wirkte nett, hatte selbst vier Kinder und war schon Leihmutter gewesen. Nach einem gemeinsamen Treffen mit einer Psychotherapeutin war sie einverstanden.
Wir waren begeistert. Nun folgte die Suche nach einer Eizellenspenderin. Die Gesichter, die uns aus der Computer-Datenbank der Agentur anblickten, sagten uns nicht viel. Sollten wir anhand von Größe, Intelligenz oder Hautfarbe auswählen?Ging es nach Aussehen, Uniabschluss oder ethnischer Zugehörigkeit? Wie würde sich unsere Wahl auswirken? Wir wissen einfach nicht, wie Gene funktionieren.
Drei Monate später begann für Melanie und die Spenderin die medizinische Behandlung zur Anpassung ihrer Menstruationszyklen. Die Spenderin wurde in unsere Klinik in L.A. geflogen, in der ihr Eizellen entnommen und im Reagenzglas mit jenen Spermien befruchtet wurden, die wir gespendet hatten. Wir werden niemals den Tag vergessen, an dem die Klinik anrief, um zu fragen, wie viele befruchtete Eier „übertragen“ werden sollten. Bis dahin hatten wir immer ein Kind gewollt. Die Übertragung von zwei oder drei Eiern erhöht die Chancen auf ein Kind, aber auch auf Mehrlingsgeburten. Wir entschieden uns für eins. Im Mai vergangenen Jahres saßen Karl und ich in der Bar unseres Restaurants, als ich einen Anruf aus Kalifornien bekam. Eine Schwester teilte uns mit, dass Melanie schwanger sei. Wir schauten uns an und grinsten, grinsten, grinsten. Obwohl es noch sehr früh war, konnten wir nicht widerstehen, es unseren Familien und Freunden zu erzählen.
Ich könnte Vater werden! Stolz und Freude mischten sich bei mir nun mit Angst. Nach dem Ultraschall in der zwölften Woche begannen wir, ernsthaft Pläne zu machen. Wir redeten mit Melanie, um zu erfahren, wie es ihr ging und haben jede Stimmungsschwankung gedeutet. Karl überlegte sich, seinen Job aufzugeben und sich voll um das Baby zu kümmern.
Als der Ultraschall in der zwanzigsten Woche anstand, besuchten wir Melanie erstmals in der Nähe ihres Wohnortes in Boston. Wir trafen uns in der Praxis, wo die Schwester uns einen winzigen Herzschlag und einige deutlich erkennende Organe zeigte. Sieht alles gut aus, sagte sie und zeigte auf einen kleinen, weißen Fleck: das unbestreitbare Zeichen, dass wir einen Jungen erwarteten. Wir drei waren außer uns vor Glück. Drei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin trafen wir in Boston ein. Wir wollten die Geburt ja nicht verpassen – richteten uns in einer kleinen Wohnung ein, sortierten Karls Sachen und machten uns mit der Gegend vertraut.
Es war eine seltsame und wunderbare Zeit. Nachdem wir jahrelang so hart gearbeitet hatten, um an diesen Punkt zu kommen, konnten wir uns nun zurücklehnen und auf den Anruf warten. Der kam aber nicht. Bei einer Routineuntersuchung sagte die Schwester, dass es losginge – und schickte uns direkt ins Krankenhaus. Die Geburt dauerte nicht lange. Wir schauten alberne Sachen im Fernsehen und warteten darauf, dass die Wehen stärker würden. Schließlich rief die Schwester uns für die letzte Stunde zurück in den Kreissaal.
Melanie war ein Champion. Wir hielten die ganze Zeit ihre Hände und redeten ihr zu. Als endlich Max’ Kopf zum Vorschein kam, konnten wir ihn nicht sehen – weil Melanies Unterleib von einem Tuch bedeckt war. „Wow, er ist sehr, sehr groß. Und so viele Haare!“, sagten die Hebammen oft. Dann war Max da, wirklich groß und haarig – ein unglaubliches Geschöpf. „Was macht ihr da, Jungs?“, sagte Melanie. „Los, spielt mit eurem Sohn.“ Und das taten wir.
Der Text erschien zuerst in Guardian Weekend. Übersetzung: Zilla Hofman
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