Willkommen im Elend, das Sie geschaffen haben

Bush-Besuch in Israel und Palästina Ein Tunnelblick sondergleichen

George Bush glaubt, dass noch vor Ende seiner Amtszeit im Januar 2009 ein Friedensvertrag zwischen Israelis und Palästinensern zustande kommt, suggerierte er auf seiner Nahostreise. Ebenso gab er sich überzeugt, dass ein Palästinenser-Staat die Westbank und den Gaza-Streifen umfassen wird. Wie Gaza als von den Israelis blockiertes und ausgehungertes Hamas-Kanton einbezogen werden soll, ließ er offen.

Es ist eine wohl verdiente Ironie der Geschichte, dass George Bushs Israel-Besuch mit der enormen Aufregung über den unerwarteten Ausgang der Vorwahlen in New Hampshire zusammenfiel. Nichts könnte die Irrelevanz des letzten Jahres seiner Präsidentschaft besser unterstreichen. Der Moment, in dem sich der Amtsinhaber in eine lahme Ente verwandelt, schwankt den Umständen entsprechend bei jeder US-Regierung. Dieses Jahr überschattete der fesselnde Wettkampf zwischen Hillary Clinton und Barack Obama jedes wie auch immer geartete Interesse Bushs am israelisch-palästinensischen Konflikt.

Schon bevor der Präsident Washington verließ, waren mit seinem Besuch geringe Erwartungen verbunden. Den lauten Fanfaren der Nahostkonferenz von Annapolis im November folgte erwartungsgemäß wenig. Allein aus Gefälligkeit Bush gegenüber trafen Ehud Olmert und Mahmud Abbas einander noch vor der Landung des US-Präsidenten in Israel. Dabei spielten sie in kaum zu übertreffender Farblosigkeit Fortschritte vor. Olmerts Sprecher zufolge einigte man sich, "die Verhandlungsteams mit direkten und andauernden Verhandlungen in allen Kernfragen zu betrauen". Wiederholten diese Tautologien nicht bloß, was man schon in Annapolis verkündet hatte?

Bushs Engagement im verfahrensten Konflikt der Welt bleibt bruchstückhaft und einseitig. Wie der ehemalige palästinensische Minister Ghassan Khatib jüngst bemerkte: "Die Palästinenser sind sich einig - in der Geschichte der Vereinigten Staaten war kein Präsident so befangen gegenüber Israel wie Bush." In jedem Konflikt obliegt es stets der stärkeren Seite, die größeren Konzessionen zu machen, vorrangig dann, wenn sie ein Großteil des Unrechts verantwortet. Aber aller Rhetorik zum Trotz hat Bush den enormen Einfluss der USA auf Israel nie genutzt, um die Blockade des Gaza-Streifens oder die Besatzung in der Westbank zu beenden. Er hat nicht einmal Druck ausgeübt, um ausufernde israelische Siedlungen zu stoppen oder das Spinnennetz aus Straßensperren aufzulösen, das ein normales Leben für Palästinenser unmöglich macht. Ein US-Plan, der anhand von Prüfsteinen Zugeständnisse Israels beurteilen wollte, wurde vor einem Jahr schon beim ersten Hauch von Besorgnis seitens der Olmert-Regierung aufgegeben. Zuweilen missbilligende Äußerungen des US-Außenministeriums blieben ohne Folgen, selbst wenn Olmert keinen Zweifel ließ, mit dem illegalen Bau israelischer Häuser fortfahren zu wollen.

Jede Beteuerung, man wende sich "Kernfragen" zu, bleibt bedeutungslos, solange die tägliche Not der Palästinenser, besonders in Gaza, nicht gemildert wird. 40 palästinensische Parlamentarier, die mit dem Wahlsieg der Hamas vor zwei Jahren gewählt und später festgenommen wurden, sitzen weiter in israelischen Gefängnissen, vergessen von Bush und anderen westlichen Regierungen. Die Politik der USA und Europas gegenüber der Hamas bleibt hoffnungslos ungerecht und kontraproduktiv.

In der ersten Phase der so genannten Road Map, die Bush reanimiert haben will, sollten die Palästinenser Institutionen eines souveränen Staates aufbauen. Doch taten Israelis und Amerikaner alles, dies zu verhindern, indem sie in der Rivalität zwischen Fatah und Hamas unverhohlen Partei ergriffen. Bushs jüngster Kommentar zur Lage in Gaza ist ein wirklich außergewöhnliches Beispiel für einen grotesken Tunnelblick. "Hamas hat den Palästinensern nichts als Elend beschert", teilte er mit. Hätte er gesagt: "Meine Reaktion und die meiner Kollegen aus Israel und der EU zum Mandat, das der Hamas bei den Wahlen 2006 verliehen wurde, haben den Palästinensern nichts als Elend beschert" - er wäre der Wahrheit näher gekommen.

Die menschliche Katastrophe, die im Gaza-Streifen von der Politik des Westens vorsätzlich ausgelöst wurde, gehört zu den großen Verbrechen des noch jungen Jahrhunderts. Eine Ungerechtigkeit sondergleichen, da Hamas über mehrere Monate hinweg eine Waffenruhe eingehalten hatte, bevor sie die "freien, fairen und offenen Wahlen" gewann, nach denen die Road Map verlangte. Die Hamas wurde - und wird immer noch - nicht für den gelegentlichen Einsatz von Gewalt bestraft, sondern schlicht für ihre Popularität. Und wie das bei Sanktionen oft passiert, es trifft weniger die Führer als vielmehr die Zivilbevölkerung, die man der Medizin, angemessener Ernährung, öffentlicher Dienste und Jobs beraubt. Statt der Chimäre eines endgültigen Abkommens nachzujagen, das ohne Billigung der Hamas bedeutungslos sein wird, sollte sich die westliche Politik auf lösbare humanitäre und politische Ziele konzentrieren: den Boykott der Hamas aufheben, die palästinensische Einheit befördern und Israel zwingen, die brutale Belagerung Gazas einzustellen.

Bush ist nicht der erste US-Präsident, der im letzten Jahr seiner achtjährigen Amtszeit ein Interesse für den Nahen Osten entwickelt. Auch Bill Clinton wandte sich der Region kurz vor seinem Abgang aus dem Weißen Haus noch einmal zu. Nur hatte er schon in einer frühen Phase seiner Präsidentschaft den Oslo-Prozess unterstützt und einige Energie darauf verwandt, die neue Palästinensische Autonomiebehörde zu installieren. Statt im Sommer 2000 als lahme Ente aufzutreten, bemühte sich Clinton, Yassir Arafat und Ehud Barak, Israels damaligen Premier, in Camp David zu einem endgültigen Abkommen zu drängen, das die Palästinenser nicht übervorteilt hätte.

Im Gegensatz dazu bot Bushs jüngster Besuch in der Region nichts als Voreingenommenheit, Zynismus und die illusionäre Erwartung, das Versagen im Irak könnte ausradiert sein, sollte noch 2008 eine Art vorläufiges Abkommen zwischen Olmert und Abbas unterzeichnet werden.

Was bedeutet das alles für die Palästinenser? Werden sie bis 2016 warten müssen, dass eine Präsidentin Clinton oder ein Präsident Obama sich frei genug fühlen, Israels Unnachgiebigkeit entgegenzutreten und auf Zugeständnissen zu bestehen? Kein Kandidat hat bislang angedeutet, mit dem traditionellen pro-israelischen Lobbyismus brechen zu wollen. Den Palästinensern bleibt nichts anderes übrig, als auf ein Wunder zu hoffen.

s. auch www.guardian.co.uk und www.haaretz.com

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Geschrieben von

Jonathan Steele | The Guardian

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