Weil nicht sein kann, was nicht sein darf

Frankfurt am Main Eine schwarze Frau, die sich gegen Racial Profiling und rassistische Polizeigewalt engagiert, wird wegen Beleidigung und übler Nachrede verurteilt, weil sie weiße Polizisten als Rassisten bezeichnet haben soll. Wurde ein Exempel statuiert?

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Wie wichtig Beweismittel bei der Aufklärung von komplexen Sachverhalten sind, zeigte zuletzt der Verleumdungsprozess in den USA zwischen Johnny Depp und seiner Ex-Frau Amber Heard. In Frankfurt am Main wurde im vergangenen Jahr in einem Strafprozess eine Aktivistin wegen ehrverletzenden Aussagen verurteilt, die sie gegenüber einzelnen Beamten der Frankfurter Polizei geäußert haben soll. Zur Überprüfung dieser Aussagen wurden jedoch die vorgebrachten Beweismittel nicht angemessen gewürdigt. Die Dokumentation von Gerichtsprozessen durch Video- oder Audiomitschnitte - wie in den USA - hätte in diesem Strafprozess sehr wahrscheinlich zu einem anderen Ergebnis geführt. Hat hier hinsichtlich des Rassismusvorwurfes eine Schuldumkehr zulasten einer schwarzen Person stattgefunden, die selbst regelmäßig von Rassismus betroffen ist und sich sogar dagegen politisch engagiert? Sollte hierbei die Frankfurter Polizei gedeckt und ein Exempel statuiert werden? Ein Kommentar.

Eingebetteter Medieninhalt

Es hat schon etwas sehr Ironisches, dass eine schwarze Frau, die sich gegen Racial Profiling1 und rassistische Polizeigewalt engagiert - und davon auch immer wieder selbst betroffen ist - wegen Beleidigung und übler Nachrede verurteilt wird, weil sie weiße Polizisten als Rassisten bezeichnet haben soll. Absurder allerdings ist die Begründung für das Urteil der Richterin des Strafverfahrens: die Frankfurter Polizei stehe derzeit sehr häufig in Verbindung mit rechten Kontexten in der Presse, weshalb es besonders schädigend sei, wenn diese nun „ungeprüft“ als rassistisch diskreditiert werde, so die Richterin des Verfahrens laut einiger Prozessbeobachtenden, die dem Strafprozess von Amira beiwohnten.2 „Es gelte nun wieder Vertrauen in die Polizei herzustellen“, soll die Vorsitzende laut den Prozessbeobachtenden gesagt haben.3

Pauschalisierungen mag niemand. Schwarz/Weiß-Denke – im wahrsten Sinne des Wortes - sollte weder bei Polizistinnen und Polizisten auf Streife noch bei einer Voll-Juristin in einer Robe während der Einordnung komplexer juristischer Sachverhalte vorhanden sein. Und so einfach, wie es hier gerade dargestellt wird, wird es wahrscheinlich auch in der Realität nicht gewesen sein, als Amira Zivilcourage zeigte und einem BIPoC (= Black Indigenous People of Colour) solidarisch zur Seite stehen wollte. Die Wahrheit liegt, wie immer, irgendwo dazwischen.

Hintergrund

Am Freitag-Morgen des 27. August 2021 kommt es zum Prozess gegen Amira. Der gebürtigen Frankfurterin werden Beleidigung, Üble Nachrede und Verleumdung vorgeworfen, §§ 185 bis 187 des Strafgesetzbuches (= StGB). Diese Vergehen werden mit Geldstrafe oder mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren geahndet (im Falle von Verleumdung sogar bis zu fünf Jahren). Letztlich wurde Amira zu einer Geldstrafe wegen Beleidigung und Übler Nachrede zu einer Geldstrafe im mittleren vierstelligen Bereich verurteilt; der Anklagepunkt der Verleumdung wurde fallengelassen aufgrund einer Verständigung im Sinne des Paragrafen 257c der Strafprozessordnung (= StPO), einem „Deal“, wie man auf Neu-Deutsch sagen würde – aber dazu an an anderer Stelle später mehr.

Konkret wurde ihr vorgeworfen, dass sie, während einer Polizeikontrolle eines Passanten und der anschließenden Festnahme dieser Person, die Polizisten, die diese Person festnahmen, als Rassisten bezeichnet hätte. Es handelte sich bei dieser Person um eine Person of Colour, die in der Öffentlichkeit urinieren wollte (dabei handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit). Just in diesem Moment stürmen nach Augenzeug:innen 13 Polizist:innen aus deren Polizeiwagen auf die Person zu und drücken ihn, nachdem dieser sich nicht kontrollieren lassen wollte, gegen einen der Polizeiwagen.4 Dieses Geschehen wurde von allen Augenzeug:innen – außer den Polizisten, die gegen Amira aussagten – als absolut unverhältnismäßig eingeschätzt.5 Amira zeigte Zivilcourage und filmte diese polizeiliche Maßnahme.

Das Filmen während einer polizeilichen Maßnahme führte in der Vergangenheit in Frankfurt immer wieder dazu, dass die Beamt:innen sich mit Platzverweisen versuchen zu wehren und androhen das (scheinbare) Verhindern der Maßnahme ggf. mit einer Strafanzeige als „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ (§ 113 StGB) oder wegen der „Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes“ (§ 201 StGB) zur Anzeige zu bringen, wenn nicht aufgehört würde zu filmen.6 Dass nun der Vorwurf des Rassismus, der nun mittlerweile bei sehr vielen Beamt:innen - empirisch nachgewiesen – nicht leicht von der Hand zu weisen ist und zu einem Generalverdacht gegenüber der Frankfurter Polizei seit einiger Zeit führt, ins Gegenteil verkehrt wird und hier eine Schuldumkehr zulasten einer Person stattfindet, die s e l b s t regelmäßig von Rassismus betroffen ist und sich politisch dagegen engagiert, hat natürlich ein gewisses Geschmäckle ...

Um sich ein Bild von der Frankfurter Polizei zu machen, sollten dem / der geneigten Leser:in folgende unrühmliche „Einzelfälle“ aus den vergangenen Monaten und Jahren nicht vorenthalten werden: so wäre hier z.B. die Polizeigewalt gegen vorwiegend BIPoCS zu nennen, konkret am Beispiel der übertriebenen Gewaltanwendung im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen, die sehr an den Polizeinsatz erinnerte, als der schwarze US-Amerikaner George Floyd ums Leben kam.7 Nicht unerwähnt sollten ebenfalls die Drohmails und -faxe gegen die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız des sog. NSU 2.0 bleiben, die von einem Faxgerät aus dem Revier an der Konstablerwache verschickt wurden,8 die nachweislich als rassistisch gewertet werden können. Des Weiteren wären in diesem Zusammenhang die Auflösung des Sondereinsatzkommandos (SEK) zu nennen, nachdem eine Chat-Gruppe mit volksverhetzenden Inhalten aufflog.9 Diese Fälle sind alle hinreichend bekannt und in der Tat mehr als beschämend für die Frankfurter Polizei.

Im Hinblick auf diese Umstände in Frankfurt, scheint das Filmen der Maßnahmen der Polizei heutzutage mehr als begründet und notwendig, um eine Transparenz und Kontrolle der Exekutive zu fördern. Dass aber gerade das Handyvideo dieser Situation seitens der Richterin als Beweismittel nicht zugelassen wurde, lässt vermuten, dass die Aussage der Richterin selbst, nämlich, dass es nun gelte wieder Vertrauen in „unsere Polizei“ herzustellen10, in Anbetracht der Gewaltenteilung der Judikative und Exekutive, wenigstens als kritisch eingestuft werden kann.

Wer ist Amira?

Amira engagiert sich seit einigen Jahren gegen Polizeigewalt und Rassismus. Durch ihren Instagram-Account @beheardffm konnte sie gemeinsam mit einer Freundin etliche Menschen dazu mobilisieren wegen dieser Themen – v. a. im Rahmen der Black Lives Matter-Proteste in den USA - auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren. Fast wöchentlich organisierte sie Demonstrationen gegen Racial Profiling und Menschen, die durch rassistische Polizeigewalt ums Leben gekommen sind (die prominentesten Fälle hierbei sind in der Bundesrepublik v.a. die Fälle von Oury Jalloh11 und Christy Schwundek12). Sie konnte Menschen begeistern, die wahrscheinlich zuvor nie mit Politik in Berührung kamen. Insbesondere nach dem Mord des schwarzen US-Amerikaners George Floyd durch einen weißen Polizisten in den USA im Jahre 2020, erlangten die organisierten Demonstrationen von @beheardffm in Frankfurt am Main immer mehr Aufmerksamkeit.13

Der Prozess

Die Wahrheitsfindung ist ein komplexer Prozess, der das Ergebnis der Institutionen des Rechts und seiner Akteure ist; im vorliegenden Fall also der vorsitzenden Richterin, des Staatsanwaltes, des Strafverteidigers, der Beschuldigten in Form von Amira selbst und des Polizisten, der sie in den drei Anklagepunkten beschuldigte. Was letztlich als Tatsache gewertet wird, stellen Gutachterinnen und Gutachter durch ihr Expertenwissen fest.

Allerdings hat die Sache einen Haken: was letztlich als Beweis gewertet wird und als Ergebnis diesbezüglich festgehalten wird, entscheidet das Gericht „nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung“ (§ 261 StPO, Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung). Und bevor ein Mensch als Objekt, als Teil einer noch nicht gelösten juristischen Formel in eine x-beliebige Variable gesetzt wird und anschließend das Ergebnis einer Subsumtion wird, sollte sich der oder die Vorsitzende darüber genauestens darüber Gedanken machen und sich dessen bewusst sein, dass durch die von ihr gefällten Entscheidung massiv in das Leben dieser Person eingeschritten wird.

Die „Verständigung“

Mit dem Rechtsbeistand von Amira einigte man sich im Laufe des Verfahrens auf einen sogenannten Deal, also auf eine Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten gemäß Paragraf 257c StPO – dies führte dazu, dass einer der drei Anklagepunkte (Verleumdung) fallen gelassen wurde.

Dem Deal stehen jedoch trotzallem massive rechtsstaatliche Bedenkengegenüber: so ist hier u.a. der Grundsatz des fairen Verfahrens zu nennen in Anbetracht all der Zeugen und Beweismittel, die somit nicht mehr als Beweise im vorliegenden Fall angeführt wurden und diese Verständigung den Ermittlungsgrundsatz unterwandert, nämlich dergestalt, dass das Gericht dem Geständnis der Beschuldigten Glauben schenkt und die Beweisaufnahme gänzlich eingestellt wird.

Einige Zeugen wie z.B. ein Polizeidirektor und ein Antidiskriminierungsbeauftragten des Frankfurter Polizeipräsidiums, der zum tendenziösen Corpsgeist einiger Beamt:innen eine Auskunft hätte geben können, durfte nicht aussagen (in Anbetracht der Gesamtumstände wäre dies eigentlich sehr wichtig gewesen). Diese Personen wurden im Ergebnis nicht mehr geladen, wodurch das Verfahren letztlich ganz anders ausging als es h ä t t e ausgehen können (an dieser Stelle sei angemerkt, dass die Anklagepunkte immer noch streitig waren, es sich bislang gegensätzliche Aussagen gegenüberstanden).

Dies erschüttert - neben dem Ergebnis selbst - das Vertrauen in den Rechtsstaat. Es hat etwas sehr kafkaeskes, wenn sich die maßgeblichen Institutionen dieses Strafprozesses, also die Richterin, der Staatsanwalt und der Rechtsanwalt, hinter verschlossenen Türen darauf einigen aufgrund der Prozessökonomie das Ganze wesentlich abzukürzen, da die Tatsachen scheinbar auf dem Tisch liegen. Trotz allem ist dieses Vorgehen mittlerweile gängige Praxis und auch rechtmäßig.14

Denn was an der Verurteilung (zumindest moralisch) nicht ganz koscher ist, ist nämlich Folgendes: gesetzt den Fall, dass die o. g. Initiative der Studis gegen rechte Hetze die Richterin korrekt zitiert haben, wirkt das Ergebnis letztlich ziemlich konstruiert. Frei nach dem Motto: was nicht passt, wird passend gemacht. Aufgrund des Deals gem. § 257c StPO einigte man sich darauf, dass der dritte Anklagepunkt fallen gelassen und die anderen beiden nur noch weiter verhandelt wurden – allem Anschein nach damit die Frankfurter Polizei nicht noch weiteren Schaden nimmt in Anbetracht ihres mittlerweile miserablen Images.

Der brisanteste Beweisantrag, nämlich ein Video von Amira zu ihren Vorwürfen, wurde ebenfalls nicht gezeigt bzw. zugelassen. Auf die Bitte Amiras wurde nicht reagiert diesen im Gerichtssaal über den Laptop zeigen zu lassen. Mangels vorliegender Technik konnte das Handy nicht mit dem Laptop verbunden werden (man erinnere sich an dieser Stelle auch daran, dass ein größerer Gerichtssaal bei fast 50 Personen ebenfalls nicht aufgesucht wurde, was mehr als angemessen gewesen wäre).

Die Ablehnung der Beweisanträge

Beweisanträge dürfen nur aus den Gründen der Paragrafen 244, 245 StPO abgelehnt werden. Liegen die Voraussetzungen hierfür nicht vor, begründet dies eine Revision, also eine Anfechtung der Entscheidung aus dem Verfahren zuvor nach Paragraf 337 Abs. 1 StPO. Prüfen wir das Ganze doch einfach mal durch:

  • Bei all den aufgeführten Beweiserhebungen handelt es sich mitnichten um einen Fall, der ein gesetzliches Verbot darstellt. Der Beweisantrag beinhaltete zudem bestimmte Tatsachen und Beweismittel und es gab einen eindeutigen Konnex zum Sachverhalt.
  • Allerdings könnte ein Ablehnungsgrund vorliegen, der der vorsitzenden Richterin ein Ermessen einräumt, wodurch der Beweisantrag, also das Video über den Tatvorwurf, rechtmäßig hätte abgelehnt werden dürfen (siehe §§ 244 Absatz 3 Satz 3 Nr. 1 bis 6, 245 Absatz 2 Satz 3 StPO):
    • bis dato hatte nur die Opferseite behauptet als Rassist bezeichnet worden zu sein, weswegen eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit, also eine dem Gericht bekannte Tatsache, nicht vorliegt. Aus diesem Grund hätte somit der Beweisantrag nicht abgelehnt werden dürfen (§ 244 Absatz 3 Satz 3 Nr. 1 StPO).
    • Gesetzt den Fall, dass die Richterin sich darauf berief, dass die Beweiserhebung überflüssig oder bedeutungslos sei, kann eingewendet werden, dass das Verfahren eine ganz andere Wendung genommen hätte und Amira womöglich in allen Punkten freigesprochen worden wäre. Auch aus diesem Grund hätte der Beweisantrag somit nicht abgelehnt werden dürfen (Nr. 2).
    • Bis zu diesem Zeitpunkt war auch noch nicht die Tatsache erwiesen, dass Amira gesagt haben soll, der Polizist, sei ein Rassist, weswegen auch kein Fall nach Nummer 3 des dritten Absatzes des Satz 3 des Paragrafen 244 StPO vorliegt.
    • Des Weiteren war das Beweismittel des Videobeweises auch nicht völlig ungeeignet (Nr. 4),
    • unerreichbar (Nr. 5) oder
    • überflüssig aus Gründen der Erwiesenheit, da es sich um ein präsentes Beweismittel gehandelt hat (Nr. 6).

All diese Tatsachen begründen im Ergebnis eine Revision nach § 337 Abs. 1 StPO wegen der Ablehnung der Beweisanträge, die allem Anschein nach rechtswidrig abgelehnt wurden.15 Es ist nicht auszuschließen, dass ohne diesen Fehler das Urteil anders ausgefallen wäre.16 Zumal auch die Fälle des § 244 Abs. 4 bis 6 StPO die Gesinnung der Richterin klar erkennen lassen hinsichtlich der nicht aufgerufenen bzw. geladenen Zeug:innen: demnach sah sie sich als fachkundig an, da sie Sachverständige, wie den Antidiskriminierungsbeauftragten bzw. den Polizeidirektor,wie oben bereits erwähnt, nicht einberief. Jedoch muss ihr zu Gute gehalten werden, dass sie ihr Ermessen – zumindest in diesen Fällen - rechtmäßig ausübte.

Weil nicht sein kann ...

Dass die Frankfurter bzw. die hessische Polizei sich in letzter Zeit nicht mit Ruhm bekleckerte, sollte mittlerweile hinreichend bekannt sein. Aber die Frage stellt sich trotz allem: warum wurden Beweisanträge nicht zugelassen, die womöglich die Polizisten in Bedrängnis hätten bringen können? Das Video hätte allem Anschein nach die Vorwürfe der Opferseite entkräften können. Das Gericht hätte diese Beweise erheben müssen, denn ihm wurden Tatsachen bekannt, die das Ergebnis des Verfahrens definitiv hätte ändern können; somit wurde klar die Aufklärungspflicht ausgelöst.17

Das Ergebnis, dass Amira in zwei von drei Fällen schuldig gesprochen wurde und nun eine Geldstrafe im mittleren vierstelligen Bereich zahlen muss, lässt nur den Schluss zu, dass die Richterin ihre Kollegen der Exekutive in Schutz nehmen wollte, um womöglich den deutschen Rechtsstaat retten wollte vom ständigen Vorwurf des Rassismus.

was nicht sein darf

Mitnichten, muss man in aller Ehrlichkeit sagen, handelt es sich hier um einen Einzelfall.18 Dieses anfangs erwähnte „Geschmäckle“, das zu diesem Urteil führte, rührt nicht irgendwo her. In diesem Zusammenhang möge man sich an dieser Stelle erinnern an den ehemaligen Innenminister Horst Seehofer, der eine Studie über Rassismus bei der Polizei nicht wollte, mit der Begründung, dass Rassismus verboten sei und es ihn somit praktisch auch gar nicht gäbe.19

Bislang gibt es in der Bundesrepublik tatsächlich keine Methoden zur Identifizierung und Messung des Ausmaßes von Rassismus und seiner Auswirkungen, wodurch sich im Schatten des Gesetzes institutioneller und struktureller Rassismus natürlich entwickeln kann;20 die feinen Schattierungen zwischen Schwarz und Weiß, die auf den ersten Blick nicht so offensichtlich sind, bleiben hierbei leider auf der Strecke. Als Antwort auf diese weiße Rechtswissenschaft – deren Teil diese Richterin offensichtlich ist, was man anhand ihres Urteils unschwer erkennen kann – müsste eine Critical Race Theorie nach US-amerikanischem Vorbild sein, in der das in Deutschland unbequeme und pervertierte Thema Rasse eine zentrale Analysekategorie wird. Hierbei könnte der pervertierte Begriff der Rasse als Ethnie ersetzt werden und, als Pendant zu den Geschlechterstudien (durch die Diskriminierungen zentral anhand der Analysekategorie Geschlecht sichtbar gemacht werden), um Diskriminierungen in diesen Fällen sichtbar zu machen.21 Hierfür sollte man den Begriff der Rasse im Grundgesetz durch den der Ethnie ersetzen, als notwendiges Instrument, um Rassismus (einschließlich antisemitischen Rassismus) antidiskrimnierungsrechtlich angehen zu können.22

Die unmögliche Tatsache

Vielleicht war es zu viel verlangt so viel Reflektionsvermögen von der Richterin an diesem Freitag-Morgen zu verlangen, sich kritisch mit den Themen Racial Profiling und einer tendenziösen Frankfurter Polizei auseinanderzusetzen, die im Kollektiv sich gegen die Vorwürfe der rechtsextremistischen Gesinnung wunderbar zu verteidigen weiß. Das viele Tamtam vor ihrem Gerichtssaal war der Richterin womöglich auch schon zu viel, bevor das ganze Prozedere überhaupt anfing. Dass sie es nicht in Erwägung zog einen größeren Sitzungssaal zu wählen, spricht hier auch Bände.

Womöglich kann man es ihr aber auch gar nicht zum Vorwurf machen so reflektiert zu sein, wie man es gemeinhin von einer Unparteiischen erwarten sollte, um all diese Probleme zu sehen, da sie eben nur ein weiteres Rad in der Justiz ist23 und als weiße Frau des Bildungsbürgertums von solchen Fällen in der Realität womöglich nur in ihren Verhandlungen erfährt.

Entscheidungen werden bekanntlich in der Juristerei mit der Methodik des juristischen Syllogismus getroffen: man schließt vom Allgemeinen auf das Besondere. Ein konkreter Sachverhalt wird einem gesetzlichen Tatbestand untergeordnet. Der Mensch wird ein Objekt, als Teil einer juristischen Formel und die Formel wird dann einfach nach x aufgelöst, wenn es sich nur schlüssig genug anhört. Die Gesetze der Logik sklavisch befolgt wie in der Mathematik, wurde im vorliegenden Fall dann auch hinsichtlich der Aussagen der vier Polizisten fröhlich addiert und es ging wie in einem sehr eindeutigen Fußballspiel klar 4:1 für das Opfer aus. Easy as that.

Tatsächlich hat die vorsitzende Richterin jedoch keine großen Anstalten gemacht vom Allgemeinen auf das Besondere zu schließen. Der Sachverhalt wurde größtenteils einfach ausgeklammert. Die Richterin hat vielmehr dadurch bewiesen, dass Amira für sie nämlich etwas allgemein Bekanntes und nichts Besonderes war, dem man sich näher hätte widmen sollen: für sie war sie schlicht und einfach eine weitere Querulantin, die mit ihrem Rassismus-Vorwurf ein weiteres Mal das Ansehen der Frankfurter Polizei hätte gefährden können, wenn dieses Verfahren zu Gunsten von Amira ausgegangen wäre. Dies hat die Ablehnung des Beweisantrages bezüglich des Handyvideos und die spätere Verurteilung klar gezeigt.

Amira hat sich nach langem Für und Wider mittlerweile dazu entschieden nicht in Revision zu gehen und die Entscheidung letzendlich nicht anzufechten. In Anbetracht all dieser Geschehnisse kann es ihr kaum verübelt werden, das Urteil in nächster Instanz nicht noch einmal angefochten zu haben ...

Wie sagte so schön Christian Morgenstern in seinem Gedicht Die unmögliche Tatsache?

(...)

Und er kommt zu dem Ergebnis:
Nur ein Traum war das Erlebnis.
Weil, so schließt er messerscharf,
nicht sein kann, was nicht sein darf.

____________________________________________________________________

1Thompson, Vanessa Eileen, Bundeszentrale für politische Bildung, Racial Profiling, Institutioneller Rassismus und Interventionsmöglichkeiten, https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/308350/racial-profiling-institutioneller-rassismus-und-interventionsmoeglichkeiten (zuletzt abgerufen am 22.06.2022).

6 Sehl/Kornmeier, tagesschau, Polizeieinsätze filmen – ist das erlaubt? https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/demonstration-filmen-polizei-101.html (zuletzt abgerufen am 22.06.2022).

7 ZEIT ONLINE, Polizeigewalt - Polizist in Frankfurt wird brutaler Einsatz bei Festnahme vorgeworfen, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-08/polizeigewalt-frankfurt-sachsenhausen-polizeieinsatz-kritik(zuletzt abgerufen am 22.06.2022).

9 taz.die tageszeitung, Verdachtsfälle Rassismus bei der Polizei - Die lange Liste der Einzelfälle, https://taz.de/Verdachtsfaelle-Rassismus-bei-der-Polizei/!5806075/ (zuletzt abgerufen am 22.06.2022).

11 tagesschau, Fall Oury Jalloh – Neues Gutachten nährt alte Zweifel, https://www.tagesschau.de/inland/tod-jalloh-gutachten-101.html (zuletzt abgerufen am 22.06.2022).

12 Simon, Stefan, Frankfurter Rundschau, Christy Schwundek – von einer Polizistin im Gallus erschossen, https://www.fr.de/frankfurt/tod-von-christy-schwundeck-von-einer-polizistin-erschossen-90653172.html (zuletzt abgerufen am 22.06.2022).

13 ZEIT ONLINE, Polizei in Frankfurt – Woher kommt Eure Wut?, https://www.zeit.de/campus/2020-09/polizei-frankfurt-hass-randale/seite-3 (zuletzt abgerufen am 22.06.2022).

14 Das Bundesverfassungsgericht stellte im Jahre 1987 fest, dass ein solcher Deal nicht zu beanstanden ist, BVerfG, Beschluss der 3.Kammer des Zweiten Senats vom 27. Januar 1987 - 2 BvR 1133/86 -, NJW 1987, S. 2662 f.

15Vgl. BGH, Beschluss vom 19.12.2018 - 3 StR 516/18, Rn. 16 f.

16 St. Rspr., BGH 1, 360; NStZ 1983, 135.

17 BGH 23, 176, 188; NStZ 1983, 210.

18 Deutschlandfunk Kultur, Unrecht im Rechtsstaat – je teurer der Anwalt, umso geringer die Strafe, https://www.deutschlandfunkkultur.de/unrecht-im-rechtsstaat-100.html (zuletzt abgerufen am 22.06.2022).

19 Hebel, Stephan, Frankfurter Rundschau, Keine Studie über Rassismus und Racial Profiling bei der Polizei: Wovor hat Horst Seehofer Angst?, https://www.fr.de/meinung/kommentare/rassismus-bei-polizei-racial-profiling-horst-seehofer-angst-90007414.html (zuletzt abgerufen am 22.06.2022).

20 „In other words, without a useful data set, social and legal pathways that might be helpful in allowing those living in Germany to apprehend the scope and prevalence of racial disparities is stifled by a lack of existing racial data. (…) So in a very concrete sense, and despite concerns about the development of a surveillance culture where the state holds personal information that should ideally be deemed irrelevant (such as racial groups), the failure of some European states to develop ways to identify and measure the scope of racism and its effects ultimately means that institutional and structural racism is left to develop in law’s shadow, while only the most overt and obvious forms of racism are identified and addressed.“ Bruce-Jones, Eddie, Black Lives and German Exceptionalism, Verfassungsblog, https://verfassungsblog.de/black-lives-and-german-exceptionalism/ (zuletzt abgerufen am 22.06.2022).

21 Vgl. Barskanmaz/Samour, Das Diskriminierungsverbot aufgrund der Rasse, Verfassungsblog https://verfassungsblog.de/das-diskriminierungsverbot-aufgrund-der-rasse/ (zuletzt abgerufen am 22.06.2022).

22 Vgl. Barskanmaz/Samour, Das Diskriminierungsverbot aufgrund der Rasse, Verfassungsblog https://verfassungsblog.de/das-diskriminierungsverbot-aufgrund-der-rasse/ (zuletzt abgerufen am 22.06.2022).

23 Deutschlandfunk Kultur, Unrecht im Rechtsstaat – je teurer der Anwalt, umso geringer die Strafe, https://www.deutschlandfunkkultur.de/unrecht-im-rechtsstaat-100.html (zuletzt abgerufen am 22.06.2022).

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