Martin Bühler war 15 Jahre lang Samenspender: „Ein unglaubliches Tabu“
Interview Martin Bühler ist als privater Samenspender leiblicher Vater Dutzender Kinder. Was ihn dazu bewogen hat und warum er am Ende aufgehört hat, erklärt er im Interview
Ach wie süß, ein Baby! Und wenn es nicht klappt, bleibt vielen nur noch der Weg zur künstlichen Befruchtung oder zur Samenspende. Martin Bühler (48) hat 15 Jahre lang Paaren und Solomüttern zu Kinderfreuden verholfen. Über 100.000 Menschen sollen in Deutschland mittels Samenspende erzeugt worden sein, genaue Zahlen sind nicht bekannt.
der Freitag: Herr Bühler, wie sind Sie darauf gekommen, privater Samenspender zu werden?
Martin Bühler: Anfangs hatte das rein finanzielle Gründe. Ich habe mir mein Studium dadurch finanziert. Bei einer dänischen Samenbank habe ich ein lesbisches Pärchen kennengelernt, das dort versucht hat, seinen Kinderwunsch zu erfüllen. So kam es erstmalig zu einer privaten Spende.
Das Finanzielle war Ihr einziges M
;llen. So kam es erstmalig zu einer privaten Spende.Das Finanzielle war Ihr einziges Motiv?Mir wurde bewusst, dass es in unserer Gesellschaft ein unglaubliches Tabu ist. Wir gehen schmerzfrei mit dem Thema Pornografie um, aber beim Thema Samenspende wird die Nase gerümpft.Wie und wo findet eine private Samenspende statt?Das ist von Spender zu Spender unterschiedlich. Bei mir war es grundsätzlich in einem Hotel. Nur anfangs habe ich das ein paar Mal auch in Privatwohnungen gemacht. Eine gewisse Distanz sollte schon gewahrt bleiben. Meine Hauptzielgruppe waren lesbische Paare, die von den Samenbanken abgewiesen wurden. Inzwischen gibt es auch immer mehr Singlefrauen.Wie funktioniert die Befruchtung? Sex ist offenbar ausgeschlossen.Genau, Sex war immer tabu. Die Frauen sind im selben Hotel wie ich, das muss alles in kurzer zeitlicher Distanz vonstattengehen. Das heißt, man hat mehrere Vorgespräche, dann trifft man sich, der Spender produziert das Sperma und übergibt es sofort. Die Empfängerin geht dann in ihr Zimmer und setzt sich dort die Inseminationsspritze.Am heikelsten stelle ich mir das bei Frauen vor, deren Partner zeugungsunfähig sind. Das ist doch eine ganz schwierige Konstellation.Absolut. Heterosexuelle Paare haben auch nie zu meiner Hauptzielgruppe gehört – einfach aus dem Grund heraus, dass das Problem meist bei den Männern liegt. Oft ist es so, dass der Spender zunächst einmal, bevor es zur Spende kommt, mit den Partnern der Frauen sprechen muss. Man sollte nicht so großen Wert auf die genetische Herkunft legen, das finde ich nicht so gravierend. Für mich ist derjenige, der ein Kind erzieht und versorgt, der Vater.Die Vermittlung läuft hauptsächlich übers Internet. Ist das seriös?Es gibt im Netz viele schwarze Schafe, denen es nicht um die Erfüllung des Kinderwunsches geht, sondern die die Zeugung auf natürlichem Wege praktizieren möchten. Und da muss sich die Frau schon sehr genau überlegen, welchen Weg sie gehen möchte.Placeholder infobox-1Sie sprechen vom Job eines privaten Samenspenders. Kann das ein ganz normaler Job sein?Ja, das wird zur Routine. Ich hatte immer meinen Hauptjob im kaufmännischen Bereich, aber ein bis zwei Spenden im Monat, also zehn bis zwanzig Spenden im Jahr, waren es schon.Aber nicht jedes Mal entsteht ein Kind?Nein. In der Regel sind es zwischen sechs und zehn Versuche. Man kann davon ausgehen, dass man ein Jahr braucht, bis die Befruchtung funktioniert. Es ist also irrig zu glauben, man spendet einmalig und es entsteht ein Kind. Das ist in den 15 Jahren vielleicht zwei Mal passiert. Oft sind große Entfernungen zurückzulegen um zur Eisprungszeit am richtigen Ort sein.Sie haben also öfter Kontakt zu den Frauen?Ja, oft über Jahre. Es gibt Frauen, die pausieren und es dann wieder versuchen. Wenn sie mit einem Spender zufrieden waren, wechseln sie in der Regel nicht. Und es gibt Empfängerinnen, die sagen, ich möchte ein zweites Kind, und das will ich vom selben Spender, nicht von einem anderen Erzeuger.Was kostet eine Samenspende?Eine Spende kostet 100 bis 150 Euro. Das ist ungefähr der Satz, den auch die Samenbanken zahlen. Was aber viel mehr kostet, sind Anreise, Hotel und die Gesundheitsatteste wie HIV und Hepatitis.Was möchten die Empfängerinnen im Vorfeld alles von Ihnen wissen?Beim Erstkontakt und wenn ich merke, da ist Interesse, habe ich den Frauen erst mal eine Kopie des Personalausweises zukommen lassen. Damit ist klar, ich bin eine reale Person und kein Pseudonym aus dem Netz. Dann natürlich die letzten aktuellen Atteste. Worum es den Frauen am wenigsten geht, ist das Aussehen. Eher Zuverlässigkeit, Sympathie, familiäre Umstände des Spenders, geordnete Verhältnisse, hat er studiert? Das sind viel mehr die Auswahlkriterien von Frauen, als wir Männer uns das vorstellen.Was ist das für ein Gefühl, der leibliche Vater Dutzender Kinder zu sein?Eine Samenspende ist für mich nichts anderes als eine Blutspende, auch wenn die Auswirkungen und Verantwortung natürlich viel größer sind. Eigentlich ist es ja nur ein Sekret, das man abgibt und damit anderen zum Wunschkind verhilft, nicht mehr und nicht weniger. Wichtig ist, dass die Empfängerinnen damit von Anfang an offen umgehen.Haben Sie noch Kontakt zu den Kindern oder Müttern?„Professionelle“ Samenspender – ich weiß, ein furchtbares Wort –machen ganz oft Schwangerschaftsbegleitung, manche sind auch bei der Entbindung dabei. Das trifft auf lesbische Paare zu oder auf Singlefrauen, da noch mehr. Und es ist immer gut, wenn man später ein Gespräch mit den Kindern hat, wenn sie einmal ihren Erzeuger kennenlernen. Ich habe bei solchen Kontakten festgestellt, dass Kinder damit völlig normal umgehen, wenn man sie nicht anlügt, wenn man ihnen einfach die Wahrheit sagt.Befindet sich das Phänomen Samenspende in einer rechtlichen Grauzone?Das ist ein sehr ungeregelter Bereich, vor allem bei gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften. Ich finde nicht, dass der Staat sagen kann, nur die Frau hat ein Recht auf ein Kind, deren sexuelle Orientierung der Norm entspricht. Ich lebe hier im deutsch-dänischen Grenzgebiet und erlebe tagtäglich einen Schwangerschaftstourismus, den man sich eigentlich gar nicht vorstellen kann: Lesbische Paare reisen monatelang jeden Monat zur Einsprungszeit nach Dänemark, und das in einem vereinigten Europa!Fürchten Sie spätere Unterhaltsverpflichtungen?Die sind per Vertrag ausgeschlossen. Die Grundvoraussetzung ist, dass ein Vertrag gemacht wird, der wird auch von Anwälten auf beiden Seiten durchgeschaut. Man kann keinen Vertrag machen zum Nachteil eines noch nicht geborenen Kindes, was ich auch in Ordnung finde. Sollte ein Kind klagen, würden die Elternteile dem Spender gegenüber haften. Ich hatte da nie ein Problem, das Kindeswohl muss an oberster Stelle stehen.Wie gehen Sie mit Kritik an der Samenspende generell um? Die Kirchen etwa argumentieren, hier werde der natürliche Zeugungsakt auseinandergerissen.Ich habe viel mit christlichen Gruppen diskutiert. Wenn eine Frau einen Kinderwunsch hat, dann muss sie das Recht haben, diesen legal zu verwirklichen. Ich finde nicht, dass sich eine kirchliche Organisation einmischen und beurteilen sollte.Was sagt Ihre Frau dazu?Meine Frau weiß es. Wir haben uns kennengelernt, als ich bereits Spender war. Sie weiß natürlich auch, dass das zu hundert Prozent sexfrei ist, daher war das bei uns nie ein Thema.Warum haben Sie eigentlich mit dem Samenspenden aufgehört?Es ist eine starke emotionale Belastung. Man muss schauen, dass man die Distanz wahrt. Es sind damit Schicksale verbunden, teilweise Tragödien. Und nach vielen Jahren ist dann irgendwann der Punkt gekommen, wo ich gesagt habe: Es reicht. Ich bin froh, dass ich diesen Schritt gemacht habe – und trotzdem möchte ich weiter darüber reden.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.