Nicht bloß die DDR ist ein verwehtes Land. Spätestens seit dem gewaltigen Medienecho auf Wolfgang Müllers hervorragende Raum- und Zeitdurchmessung Subkultur West-Berlin 1979–1989, die 2013 bei Philo Fine Arts erschien, steht auch das zeitgleich von der Landkarte verschwundene Westberlin weit vorn auf der Erinnerungsagenda und wird auf Zeitgeschichtspodien und in Szenegeschichtsgesprächsrunden durchdekliniert.
Oder wird von einer großen, nostalgischen Schau im Berliner Ephraim-Palais Anfang dieses Jahres beschworen wie auch in der City-West-Renaissance, die sich manche Kommentatoren von der Eröffnung des Bikini-Berlin-Gebäudes und dem Umzug der Fotogalerie C/O Berlin ins alte Amerika-Haus am Zoo erhoffen. Letztere eröffnete denn auch mit Will McB
n auch mit Will McBrides in den 50er Jahren entstandenen Bildern der Wannsee-Jugendlichen, die beim Baden nahe der Front des Kalten Kriegs ihre Körper entdecken. Westberlin, ein „Mach mal Pause“-Stimmungsbild.Das deutsche Kino mischt tätig mit. Oskar Roehlers autobiografischer Quell Tod den Hippies! Es lebe der Punk (der Freitag 13/2015) und der aus dem Erinnerungsfundus des britischen Expats und Uniformfetischisten Mark Reeder schöpfende Dokumentarfilm B-Movie – Lust & Sound in West-Berlin 1979–1989 (der Freitag 21/2015) fokussieren wie Müller den lokalen Post-Punk-Underground der 80er Jahre, über den auch die vom Goethe-Institut auf den Weg gebrachte, im Münchner Haus der Kunst zu sehende Geniale-Dilletanten-Schau informiert.Die Filme zeigen ein Berlin, „wo die Leute aus Heimweh hinzieh’n“, wie Jochen Distelmeyer in den 90er Jahren in dem Blumfeld-Lied Evergreen sang. Sie drehen sich um Protagonisten, die aus der Ferne überhaupt erst herziehen müssen, auf der Suche nach dem Untertitel von Wolfgang Müllers Buch, Freizeit. Westberlin, eine vorgefundene Endmoräne der Geschichte als Sehnsuchtsort, gleichzeitig im Brennpunkt und im toten Winkel des Weltgeschehens.Neu ist dieser begehrende Blick auf Westberlin freilich nicht. Doch liegt die Inselstadt heute nicht mehr nur woanders, sondern auch wannanders – der Blick auf Westberlin ist also immer ein Blick zurück. Das filmhistorische Segment des Heimkinomarkts gestattet mit seiner Zuwendung zur einstigen Frontstadt in jüngster Zeit dagegen Blicke auf die Stadthälfte, in der die Vergangenheit Gegenwart war.So macht sich mit der Veröffentlichung von Flucht nach Berlin (1960) und Playgirl (1966) das junge Label mit dem bezeichnenden Namen Darling Berlin um den ewig wiederzuentdeckenden Will Tremper vedient und ruft zwei hinsichtlich ihrer Stadtbilder aufschlussreiche Filme ins Gedächtnis. Tremper, als junger Fotograf im vorletzten Weltkriegsjahr selbst aus der Provinz nach Berlin gekommen, wo er – neben freizügigen Eskapaden im Villenmilieu Dahlems – als Journalist, Drehbuchautor und schließlich als Wegbereiter des jungen deutschen Films reüssierte, kennzeichnet Westberlin darin als nahezu mythisches, insulares Freiheitsversprechen.Placeholder gallery-1In Flucht erzählt er zunächst, sehr zugespitzt, vom Leid der ostdeutschen Bauern unter dem zwangskollektivierenden Regiment der SED, dann von der dramatischen Flucht eines unbeugsamen Bauern querfeldein Richtung Berlin. Ästhetisch ist der Film so flexibel wie das Gemüt des schnellen Improvisators Will Tremper: Der politische Druck auf die Landwirte vermittelt sich im kargen, italienisch angehauchten Naturlichtrealismus. Die Flucht dagegen, mit einem grandiosen Höhepunkt im Schilf des Wannsees, ist rasant gefilmt und von der existenzialistischen Härte des US-amerikanischen Maverick-Kinos.Auch der Soundtrack von Peter „Raumpatrouille“ Thomas konturiert politisch unzweideutig: Die DDR dräut düster, Westberlin lockt mit dem Easy Listening des Amüsierbetrieb – bleibt ansonsten aber Ahnung, allenfalls auf albern klischierte Weise repräsentiert in der Jemütlichkeit matrosiger Jungs, die sich am Wannsee mit barbusig-dekorativen It-Girls umgeben.Wie leicht dagegen Alexandra (Eva Renzi) in Trempers Playgirl nach Westberlin gelangt, ist als Statement zu begreifen. Auf dem Beifahrersitz des Wagens eines kalkulierten Flirts hält sie geradezu mit wehenden Fahnen Einzug in die Stadt, in der sie als Model groß rauskommen will und daher die Männer im Establishment strategisch umgarnt. Mit der Gelassenheit des jungen französischen Kinos folgt in diesem relaxten Sommerfilm eine Episode auf die nächste, der dramatische Schluss wirkt – weil ein Film nun mal enden muss – wie hektisch angeklebt. Vom SDS-Berlin der Vietnamdemonstrationen fehlt in Playgirl jede Spur. Alexandra weilt an mondänen Orten, beim Schwimmbad, im Olympia-Stadion, in Nachtbars, vor den im Entstehen begriffenen Neubauten, deren Einsturz Blixa Bargeld in den 80er Jahren mit seiner Band herbeisehnen wird.Die Kreuzberger Ruinen, in denen Oskar Roehler und Mark Reeder später ihre verlängerte Punkjugend feiern, erkundet Ulrich Schamoni bereits 1968 in der bezaubernd unfugigen Komödie Quartett im Bett, die als Video on Demand vorliegt. Eine Reisebewegung gibt es in diesem Film nicht, hier ist man immer schon übrig geblieben und sowieso sehr arbeitsfaul.Platz der LuftbrückeIn das Westberlin aus Andrzej Żuławskis gerade auf Blu-Ray veröffentlichtem Film Possession von 1981 möchte man unterdessen nicht reisen. Der manisch-delirante Kunst-Horrorfilm zeigt Sam Neill und Isabelle Adjani als sich vor Eifersucht geradezu ekstatisch zerfleischendes Ehepaar vor der Kulisse eines dystopisch-apokalyptischen Westberlins in der Endphase seines Verfalls. Triste Architektur und modrige Fassaden bilden hier eine Art historisches Memento der heute lachsfarben sanierten Macchiato-Kieze. Wie ein unbarmherzig entzweiender Keil drängt sich in dem Film, der in Deutschland seinerzeit nicht ins Kino kam, die Berliner Mauer in der filmischen Auflösung in die Mitte dieser Stadt. Ausgerechnet am Westberliner Schicksalsort, am Platz der Luftbrücke, ereilt Adjani denn auch ein sagenhafter Kotz- und Hysterieanfall.In den mal mehr, mal weniger sentimental-nostalgischen Bestandsaufnahmen, die das künftige Bild des verloren gegangenen und gerade in der Historisierung begriffenen Westberlins prägen werden, fehlt zutawskis Possession zumeist, dieser Berserker von einem Film. Dabei bringt er wie kaum ein zweites Werk auf den Punkt, dass Westberlin eben nicht bloß der Nährboden für Karrieren im Kulturbetrieb gewesen ist, über deren Gelingen man sich heute freuen kann. Sondern dass die „No Future“-Rhetorik der Punks einen lebensweltlich konkreten Rückhalt genoss. Als böse Ergänzung zum Gesamtbild ist Possession daher unverzichtbar.Placeholder infobox-1