Richtung Untergang

Theaterlandschaft Es wird Herbst, die Theatersaison beginnt. In den Metropolen boomen die großen Häuser, in der Provinz kämpft man ums Überleben
Ausgabe 36/2014

In vielen Ländern wird das deutsche Theater bewundert, ja sogar als das Beste der Welt gepriesen. Was die Zahl begehrter Gastspiele der großen Häuser aus Berlin, München und Hamburg angeht, ist Deutschland einmal mehr weltmeisterlich. Kunstanspruch, gesellschaftliche Wachheit und eine gute materielle Versorgung der Häuser werden da immer zuerst genannt. Ob in Frankreich, Polen oder Skandinavien, selbst von russischen Kritikerkollegen ist diese Bewunderung zu hören. Eine einzige Feier des deutschen Theaters, seiner großartigen Schauspieler, seiner innovativen Bühnenbildner und nicht zuletzt seiner immer wieder überraschenden Regisseure.

Wieder zu Hause, sehen die Dinge ein bisschen anders aus. Die Lobpreisungen relativieren sich, schaut man von oben nach unten aufs Ganze und in die Breite. Es gibt diesen an sich schönen Begriff der Theaterlandschaft, der die Vielzahl der Stadt-, Landes- und Staatstheater meint und der heute sicher auch die freie Szene und die nicht eben wenigen Festivals mit einschließt. Das kann man sich zwischen Kiel und Konstanz durchaus als Landschaft vorstellen, wo rund 20 Millionen Zuschauer – wie der Deutsche Bühnenverein in seiner Statistik fürs Vorjahr gerade vorrechnet – fast 66.000 Vorstellungen in den 142 subventionierten Theatern besuchen.

Eindrucksvoll, aber unterm Strich geht doch nur jeder Vierte ein Mal im Jahr ins Theater. Und von einer blühenden Theaterlandschaft, die für manchen Politiker ins UNESCO-Welterbe eingetragen gehört, lässt sich bei genauem Besehen nicht reden. Sie besteht vielmehr aus glänzenden Hauptstädten, Dauerkrisenregionen, unterversorgtem Normalbetrieb und dem stetigen Ringen um den Erhalt des Stadttheaters, wie es aus den kulturellen Bedingungen und Bestrebungen des 19. Jahrhunderts entstanden ist. Tatsächlich ein reiches Erbe, das „sich möglicherweise überlebt“ hat, wie Hans-Thies Lehmann kürzlich in einem Interview vorsichtig formulierte. Der Theaterwissenschaftler glaubt aber nicht, dass das Stadttheater von heute auf morgen verschwindet. Das ist der springende Punkt: Wir beobachten einen Prozess, von dem nur ungefähr die Richtung klar ist, sein Wie und Wodurch aber von sehr vielen Faktoren auf regionaler und lokaler Ebene abhängt.

Das lässt sich an drei Beispielen verdeutlichen, die ganz unterschiedlich sind, aber immer geht es neben Geld auch um die Sensibilität in einem komplizierten Bedingungsgefüge, aus dem ein öffentlich finanziertes Theaterangebot erst entsteht.

Das Anhaltische Theater Dessau ist mit Schauspiel, Musiktheater, Ballett, Konzert und einem Puppentheater ein Fünfspartenhaus, mit einem Theaterbau für 1.100 Zuschauer gehört es praktisch zu den größten Bühnen der Bundesrepublik überhaupt. Es steht seit Oktober 2013 auf der Roten Liste des Deutschen Kulturrats, der solche Einstufungen für bedrohte Kultureinrichtungen vornimmt. Die Landesregierung von Sachsen-Anhalt sieht in dem weltberühmten Bauhaus von Dessau die kulturelle Zukunft der Stadt, nicht aber in dem Theater, das nach weiteren Kürzungen gleich mehrere Sektionen auflösen müsste. Dagegen protestierte der Generalintendant André Bücker, und seine Stelle ist nun neu ausgeschrieben. Andererseits würde auch ein Peter Stein dieses Theater nicht dauerhaft vollkriegen, denn selbst nach der angeführten Durchschnittszahl käme von den rund 80.000 Dessauern ja nur ein Viertel, verteilt aufs ganze Jahr und alle Sparten. Und so sieht es im Schauspiel dann auch oft aus. Viele leere Reihen und ein Strukturproblem, bei dem die politisch Verantwortlichen auf Aushungern setzen.

Am Volkstheater Rostock sieht man mit Bangen und Hoffen einem sogenannten Neustart entgegen, nachdem dort seit der Wende eine ständige Unruhe des Kommens und Gehens neuer Köpfe und Konzepte herrschte. Kaum etwas konnte sich auf Bestand entwickeln, wie es gerade für ein Stadttheater im Verhältnis zu seinem Publikum so wichtig ist. Auch das Volkstheater ist ein Mehrspartenhaus, das neben Schauspiel noch Musiktheater und Konzerte bietet, was in der heutigen Gemengelage an solchen Häusern als potenzieller Konfliktherd gilt. Denn Orchester sind gut organisierte Einheiten, die ihre Interessen mit Nachdruck vertreten können, während das Schauspiel sich praktisch nur aus Einzelkämpfern mit Einzelverträgen zusammensetzt.

Der letzte Intendant war ein aus Boston stammender Dirigent, der aufgrund seiner Herkunft das deutsche Theatersystem verehrte und, anders als sein wegen Kritik an der Finanzierungspolitik fristlos gekündigter Vorgänger, oft vornehm stillhielt. Peter Leonard gab aber dann doch vorzeitig auf. Das Große Haus, die Hauptspielstätte des Volkstheaters, musste wegen etlicher Mängel vorübergehend geschlossen werden. Die attraktive Kleinbühne am Stadthafen, freilich gar nicht als Theater gebaut, wird aufgegeben. In dieser Situation gilt es zuallererst, ein Publikum fürs Zurückkommen zu gewinnen, und dafür holte man Sewan Latchinian als neuen Intendanten. Ihm war vor zehn Jahren das Aufblühen des schon abgeschlagenen Theaters von Senftenberg in der Lausitz gelungen. Eine Mischung aus mutigem Spielplan, Sozialprojekten und von ihm selbst performten Kochshows mit überregionalem Aufsehen zeigt, wie auch kleine Theater Kunst und Wind machen können. Im größeren Rostock wird Latchinian wohl ein Beispiel dafür geben, wie das Stadttheater sich heute gegen alle Widrigkeiten behaupten kann. Falls nicht, fiele noch ein Stein aus der Stadttheatermauer.

Das Schauspielhaus Düsseldorf ist seit Gustaf Gründgens und allem Drumherum eine der größten und renommiertesten Institutionen der Bundesrepublik. Dieser Anspruch des Besonderen wird nicht nur von innen heraus, sondern immer wieder mal auch von außen gefordert. In dem Riesenhaus war 2011 der schwedische Regisseur Staffan Valdemar Holm angetreten. Er entwickelte das für ein deutsches Stadttheater wegweisende Programm einer Internationalisierung. Regisseure, Spielplan, Koproduktionen und konzeptionelle Ausrichtung zielten auf ein europäisches Theater am Rhein. Doch nach einem Jahr sah sich der schwedische Intendant mit einer Kürzungsauflage von 800.000 Euro regelrecht verprellt. Er reagierte mit einem Interview, das man gewiss als etwas unbeherrscht bezeichnen könnte. Eine scharfe Zurechtweisung seitens des Düsseldorfer Kulturdezernats folgte, das Verhältnis war kaputt. Ende 2012 meldete Holm sich mit der Diagnose Burn-out aus dem Amt ab.

Der geschäftsführende Direktor übernahm und musste dann wegen einer bis heute nicht völlig geklärten Auseinandersetzung um Finanzen gehen. Jetzt startet das Theater unter der Leitung von Günther Beelitz als Interimsintendant in die neue Spielzeit, mit einem Spielplan, der zum Teil noch von der alten Mannschaft entworfen wurde. Bis in Düsseldorf alles wieder normal läuft, werden dann fünf Jahre ins Land gegangen sein – eine Langzeiterschütterung, die in jedem Fall Gift ist.

Fazit: Der Hochdruck läuft am Ende auf Kosten des Betriebs und damit auch des Publikums. Das wirkt mittlerweile wie ein Systemfehler, der schwer zu beheben ist. Trotzdem ist der Vorschlag des Deutschen Bühnenvereins, den ungeliebten „Soli“ ab 2020 für die Kultur weiterlaufen zu lassen, in diesem Zusammenhang natürlich willkommen. Nur was wird das in dieser Theaterlandschaft grundsätzlich verbessern?

Thomas Irmer schrieb im Freitag zuletzt über Rüdiger Schapers Buch „Spektakel“

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