Es ist wie bei Beckmann und Maischberger. Schon die erste Frage ist falsch und zieht den Vorhang des Unerklärlichen zu, wenn Künstler über ihre erste Kunsterfahrung sprechen. Fragt man Fotografen nach ihrem ersten Bild, wird es interessanter, denn die Antwort ist fast nie rezeptiv, sondern technisch-reproduktiv, führt direkt in die Kunst des Machens, nicht in die Welt des Sehens und Gesehenwerdens. Am Anfang der Fotografie steht der Apparat, der "die Topografie der Amnesie" (Paul Virilio) verortet. Der Rest ist mehr oder weniger bewusster Widerstand gegen die Geschwindigkeit des Vergessens, welche den Inhalt des Gedächtnisses bestimmt.
Fotografie ist das Ende der Welt, sagt Heiner Müller. Sie lässt den Augenblick des Sehens wie Lots Weib erstarren und verewigt die tägliche Katastrophe als Idylle. Auf dem Papier ist jedes Foto somit der forensische Beweis eines Verbrechens, das den Dingen des Lebens ihre Autonomie raubt. Gundula Schulze Eldowys fotografische Existenz begann mit dem Tod. Mit einer Praktica VCL hielt sie das Sterben ihrer Großmutter fest, bei der sie in Erfurt lebte.1972 zog sie nach Berlin um und wohnte unweit des Alexanderplatzes. Das vom Krieg schwer gezeichnete Scheunenviertel zwischen Rosenthaler- und Luxemburg-Platz wurde ihr Zille-Milieu, das sie in schwarz-weißen Bildern und ungeschönten Worten beschrieb.
Bereits während des Fotografie-Studiums in Leipzig (1979-84) erregte ihr programmatisch von Diane Arbus und Robert Frank beeinflusster Bildzyklus Berlin. In einer Hundenacht den Unmut der sozialistischen Kulturverwalter. Der junge Galerist Stefan Orendt wagte 1983 in Lichtenberg eine erste Ausstellung und wurde mit Berufsverbot bestraft. Die Künstlerin, als die sich Gundula Schulze Eldowy trotz ausdrücklicher Nichtanerkennung durch den Verband Bildender Künstler (VBK) selbstbewusst in einem Dutzend Einzel- und Gruppenausstellungen behauptete, wurde Tag und Nacht von Mielkes Milchmännern observiert und bekam eine eigene Fotosammlung in der Normannenstraße.
Trotzdem gelangen ihr selbst für die relativ freie, realitätsnahe DDR-Fotografie provozierende, den Betrachter zwischen Ablehnung und Begeisterung polarisierende Ansichten aus der Arbeits- und Lebenswelt des Landes, in dem Grau die vorherrschende Farbe war und Rot das Fahnentuch der Totgeburt des Neuen Deutschlands. Auf ORWO-Film dokumentierte Gundula Schulze Eldowy die Absurdität einer Fortschrittsidee des 19. Jahrhunderts, die mit jeder Parteitagsphrase immer tiefer in die Barbarei des 20. Jahrhunderts fiel. Die latente Gewalt ihrer extrem körperlichen Bilder, die eine Bedrückung vom Menschen zeigt, die im Hinterhof ihrer unausgesprochenen Leidenschaften und Sehnsüchte wohnen, fing an, die Fotografin selbst zu bedrücken. Am Ende der DDR war auch die wegen ihres furchtlosen Talents von Kollegen angefeindete Außenseiterin mit ihrer Kunst am Ende.
Statt die neue Tristesse des von Ex-Stasileuten und Zuhältern als "Historische Mitte" und "Geile Meile" vermarkteten Scheunenviertels zu porträtieren, zog die Fotografin 1990 auf Einladung von Robert Frank nach New York. Zuvor gab sie mit ihren furiosen DDR-Zyklen Arbeit, Straßenbild, Tamerlan, Aktporträt, Der große und der kleine Schritt in Arles und Lyon ihren verdienten Einstand in der internationalen Kunstszene. Das brachte ihr ein Folkwang-Stipendium in Essen ein, dass die Künstlerin für eine Neuorientierung ihrer Fotografie nutzte. Das Ergebnis war eine selbstentblößte Nabelschau ihres weiblichen Körpers vor lichtdurchfluteten Spiegeln mit dem kryptischen Titel Wal-dos Schatten. Mit dieser akrobatischen Arbeit, könnte man meinen, trug die Ostdeutsche ihre Haut zu Markte, um sich zu verkaufen. Doch sie sah es als Befreiung an, als Sprung über ihren eigenen Schatten und unfassbare Fülle aller Möglichkeiten vor der Erkenntnis, das nichts bleibt, was festgehalten wird. "Die Dinge können einen Zustand von Zerrüttung erreichen, der viel größer ist als sie selbst ... darum ist die unheilvolle Versuchung aufgekommen, sie lieber gleich zu ersetzen", schrieb einmal der argentinische Schriftsteller Macedonio Fernandez.
Zu ähnlichen Erkenntnissen kam die Künstlerin spätestens in New York, wo sie mit dem Zyklus Spinning on my Heels zufällige Doppelbelichtungen von Schaufenstern und Menschen auf der Fifth Avenue, einen Schritt in Richtung unbewusster Fotografie ging, der nur ein Ausdruck ihrer unaufhaltsamen Reise ins Licht war. Gundula Schulze Eldowy war mit Bravour im Westen angekommen. Das MoMA kaufte ihren Zyklus Der große und der kleine Schritt an, der in Berlin mit Nan Goldin gezeigt wurde, in keinem Katalog Fotografie der Gegenwart fehlte ihr Name, sie bekam den renommierten japanischen "12th Prize of Overseas Photographers of Higashikawa Photo Fiesta 96" und 2000 den neuseeländischen Fotopreis "M.I.L.K". Und doch wurde sie nicht heimisch im kommerziellen Kunstzirkus.
Sie zog nach Ostberlin zurück und machte von Pankow aus Reisen in Länder, die von den USA als "Schurkenstaaten" bezeichnet werden. Sieben Jahre blieb sie in Ägypten, fotografierte die Pyramiden, sang in der Großen Grabkammer Oberton-Musik und schaffte es als erste Frau und Ausländerin, die Mumien der Pharaonen im Kairoer Museum zu fotografieren. In Moskau lichtete sie die gefrorenen Jugendbildnisse von Verstorbenen auf Grabsteinen ab, in Japan betrachtete sie die Welt der zen-buddhistischen Gärten durch Seifenblasen, die sie großformatig aufzog, mit dem Bus fuhr sie dreitausend Kilometer durch die Türkei, um die Spuren der Arche Noah am Berg Ararat zu filmen.
Keine dieser schnell als esoterische Seelenlandschaften abgetanen Bildserien schaffte es in eine größere Ausstellung, geschweige denn in eine private oder öffentliche Sammlung. Sie sind bei aller narrativen Unbestimmbarkeit und Nähe zur Idylle von großer technischer Brillanz und einem tiefen Gefühl für Schönheit und Harmonie durchdrungen. Hier manifestiert sich eine Schwäche der Fotografie als Mal-Utensilie des Impressionismus, der die Autorin durch literarische Kommentierung ihrer spirituellen Bildwelten zu abstrahieren sucht. Das Sichtbare ist nicht das Wahre, die Illusion des Objektiven nur eine Scheinwirklichkeit.
Waren zuerst Cartier-Bresson und die New York School of Photography die Lehrmeister der Erfurterin, so lässt sie sich heute von dem Weimarer Nietzsche inspirieren und studiert Goethes Farb- und Naturlehre. Der ernüchternden Erfahrung des Materialismus von Marx und Coca Cola sucht die Thüringerin Gundula Schulze Eldowy durch die fröhliche Wissenschaft der Welterfahrung jenseits von Gut und Böse zu entfliehen. Seit 2002 pendelt sie zwischen Pankow und Peru, baut Gemüse in der Atacama-Wüste an, fotografiert die Nachkommen der Inkas und zeigt ihre alten und neuen Arbeiten in wenigen Ausstellungen. Zuletzt im Kunstverein Ulm, wo ihre Gesamtwerk mit knapp 25 ausgewählten Bildern und einer Diashow keinen Beweis schuldig blieb, dass Gundula Schulze Eldowy auch ohne Medienpräsenz und Rekordsummen neben den Superstars der Deutschen Fotografie bestehen kann. Es gibt auch ein Leben nach der Kunst, aber keine Zukunft ohne die Kunst des Lebens.
Gundula Schulze Eldowy: Reiter ohne Pferd. Fotografien, Kunstverein Ulm, noch bis zum 29. April 2007
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