Alles wird, wie es war

Salzburger Festspiele Eine Modernisierung des Festivals hat Jürgen Flimm im ersten Jahr seiner Intendanz nur gefordert

Auf Sozialdemokraten ist, wenn es um Kultur geht, Verlass. Salzburgs Landeshauptfrau (auf deutsch: Ministerpräsidentin) Gabi Burgstaller erklärte, die Eröffnungsreden bei den Festspielen, in der Vergangenheit gehalten von solchen verzichtbaren Zeitgenossen wie Václav Havel, George Steiner oder Barbara Frischmuth, seien ein überholtes Ritual. Für ein keineswegs überholtes Ritual hält sie hingegen die Sektempfänge, auf denen sie stets begierig nach den Fernsehkameras schielt.

Dass Politiker unqualifizierbare Sprüche klopfen, sind wir gewohnt. Dass die ewige Präsidentin der Salzburger Festspiele leeres Stroh drischt, gehört offenbar zu ihren Pflichten. Aber muss auch der neue Intendant Jürgen Flimm sich als Maulheld beweisen? In seiner Begrüßungsrede beklagte er den Mangel an Moderne bei den Festspielen. Begierig berichteten die Medien davon. Dabei mussten sie doch wissen, dass Gérard Mortier und, mit leiseren Tönen, auch Peter Ruzicka bei ihrem Amtsantritt exakt die gleichen Willensbekundungen geäußert hatten. Im Programm der diesjährigen Festspiele hat sich Flimms Er- und Bekenntnis jedenfalls nicht niedergeschlagen. Es enthält nichts, was es nicht in vergleichbarer Form auch in den Vorjahren gegeben hätte. Die Opern, die das von ihm verantwortete Programm anbieten, sind allesamt vor dem 20. Jahrhundert entstanden. Unter den Autoren der aufgeführten Dramen befindet sich kein einziger lebender, wenn man den Molière-Bearbeiter Feridun Zaimoglu nicht gelten lassen will. Mehr oder weniger zeitgenössische Komponisten von der Modernität des heuer geehrten Scelsi konnte man seit langem, selbst unter Karajan, in Salzburg hören. Marginalisiert blieben sie in mehrfacher Hinsicht. Die schlichte Wahrheit lautet: die Trägheit des Vehikels Salzburger Festspiele, die eingefahrenen Mechanismen in Verbindung mit dem Konservatismus der ständischen österreichischen Gesellschaft paralysieren jede reformatorische Anstrengung, die mehr sein will als kosmetische Verschönerung oder publizistischer Gag.

Jürgen Flimm attackierte das Starsystem. Neil Shicoff und Vesselina Kasarova, Anna Netrebko und Rolando Villazon aber, die allesamt abgesagt haben, hat er selbst zuvor engagiert. Wie ernst kann man jemanden nehmen, der über seine eigenen Fehlgriffe redet, als hätte sie ihm jemand anderer aufgedrängt?

So langweilig die ewig gleichen Aperçus über die Festspiele sind, so beharrlich sind auch die ungerechten Vorwürfe. Jenseits des gesellschaftlichen Ereignisses, das als seine eigene Satire funktioniert, gibt es in Salzburg ja tatsächlich künstlerische Darbietungen von höchster Qualität. Und wenn dann überall kolportiert wird, die seien für Interessierte unbezahlbar, ist eine Korrektur vonnöten. In Salzburg gibt es bereits Karten ab acht Euro. Zu Maurizio Pollini kommt man mit fünf Euro. Man sieht: die Klischees sind zwar hartnäckig, aber deshalb noch nicht zutreffend.

Es wird viel geklappert, geheuchelt und geblendet bei den Salzburger Festspielen. Das Beste und Aufregendste kommt meist ganz unspektakulär daher. Zum Beispiel, wenn Ingo Metzmacher mit der Camerata Salzburg die selten gespielte Originalfassung von Robert Schumanns vierter Symphonie interpretiert, als hätte man sie noch nie zuvor gehört. Nichts da vom geglätteten romantischen Klang der großen Orchester. Rau, fast aggressiv kommen die einzelnen Instrumentalstimmen zur Geltung, wird die Architektur der Motive transparent. Eine halbe Stunde im Mozarteum: welch ein Glück, wenngleich kein Ritual, kein überholtes und auch kein aktuelles. Das Beste und Aufregendste: zum Beispiel der Gitarrist Marc Ribot mit dem Ensemble Dissonanzen und einer Folge von eigenen Kompositionen und Stücken von Giacinto Scelsi. Das Publikum in der Aula der Universität signalisiert schon durch seine Alltagskleidung, dass ihm die Musik wichtiger ist als der Anlass und dass man nicht besser hört, wenn man sich eitel spreizt wie bei einer Konferenz der Oberkellner oder bei einem Konzert der Wiener Philharmoniker.

Mit mehr Aufmerksamkeit als Metzmacher oder Ribot darf die Oper rechnen. Sie ist ja auch teurer. Puschkins Eugen Onegin gehört zu den großen humoristischen Romanen der Weltliteratur. Für den Witz sorgen die Abschweifungen und die ironische Distanz des Erzählers. Auf dem Weg in die Oper kommen der Erzähler und mit ihm der Humor abhanden. Es bleibt das Porträt eines blasierten Dandys, der die eingestandene Liebe eines jungen Mädchens zurückweist und seinen Freund, gleichsam aus Langeweile, im Duell erschießt.

Andrea Breth vermeidet die Versuchung zum Sentimentalen und konzentriert sich in bewährter Weise auf die genaue Zeichnung der Figuren im variablen Bühnenbild Martin Zehetgrubers auf der Panoramadrehbühne. Freilich verzichtet sie auch auf eine historische Verortung des "überflüssigen Menschen". Wie aber soll man eine Gutsbesitzerin, die den Leibeigenen die Haare schert, mit Frauen in einer Nähmaschinenhalle unter einen Hut bringen? Wie eine Amme, die dreizehnjährig zwangsverheiratet wurde, mit einer Schreibmaschine? Wie einen flotten Playboy mit einem Duell auf Pistolen?

Solche Fragen erscheinen als geradezu sophisticated angesichts des nur auf äußerliche Reize setzenden Freischütz von Falk Richter. Der romantische Stoff bietet sich ja durchaus einer psychoanalytischen oder soziologischen Deutung an, aber Richter hat keine Möglichkeit zu Ende gedacht und stattdessen läppische Texte hinzuerfunden. Darüber tröstet einen auch der Auftritt Ignaz Kirchners als Samiel nicht hinweg.


Wie man mit einer Oper, deren Libretto nicht eben berauschend erscheint und die gerade fünf Rollen aufweist, die schwierige Bühne der Felsenreitschule füllt, führte der gerade für ältere Stücke bewährte Christof Loy vor. Joseph Haydns Armida wurde zu einem Höhepunkt der heurigen Festspiele. Annette Dasch in der Titelrolle, stimmlich noch übertroffen von Mojca Erdmann als Zelmira, wurden homogen ergänzt durch den in Salzburg fast schon beheimateten Michael Schade als Rinaldo, durch Richard Croft als Ubaldo, Vito Priante als Idreno und Bernard Richter als Clotarco. Loy spielte mit den Angeboten des Bühnenbilds von Dirk Becker, in dem er neben den Sängern einen Bewegungschor zu akrobatischen Kühnheiten motivierte, die periodisch in Zeitlupe ablaufen und zu lebenden Bildern erstarren. "Make Love, Not War": dieser moderne Slogan - oder ist es nur der Traum des Spießers? - wird von Loy mit der Musik Haydns in Einklang gebracht.

So unterschiedlich wie die Musik von Haydn und von Berlioz sind auch die Regiekonzeptionen von Christof Loy und von Philipp Stölzl, der Benvenuto Cellini als üppige Show auf die Breitwandbühne des Großen Festspielhauses brachte, mit Filmprojektionen und Details, die das Werk von 1838, das im 16. Jahrhundert spielt, an Fritz Langs Metropolis und die gegenwärtige Popkultur annähern.

Zu den Höhepunkten auf dem Gebiet des Schauspiels gehörte Sven-Erich Bechtolf als Teufel und guter Gesell im ansonsten ziemlich unerträglichen Jedermann. Wenn man sich an Inszenierungen von Stücken Thomas Bernhards erinnert, so denkt man stets zugleich an große Darsteller: Minetti, Traugott Buhre, Gert Voss, Kirsten Dene, Ilse Ritter. Die große Partie in Ein Fest für Boris spielt in der Salzburger Koproduktion mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus Viviane de Muynck. Bernhards erstes Bühnenwerk von 1966 füllt eine Grundkonstellation mit Wörtern, die wir aus den Stücken von Beckett und Genet kennen: die Konstellation der Machtausübung, der Ausbeutung. Auch und gerade die scheinbar hilf-, weil beinlose "Gute" drangsaliert ihre Dienstbotin Johanna, die - wie viele Bernhardsche Figuren -, die den Redseligen zur Seite gestellt werden, kaum spricht. Auf einen Ball geht die Gute als Königin. Johanna zwingt sie in eine Schweinsmaske. Deutlicher lässt sich die Pozzo-Lucky-Relation nicht verbildlichen. Christiane Pohle ist eine respektable Inszenierung geglückt. Der völlig neue Zugang zu Thomas Bernhard ist ihr freilich ebenso wenig gelungen wie die Ausschöpfung des komischen Potenzials.

Das Bildertheater, inspiriert vom Tanztheater einer Pina Bausch oder einer Anne Teresa De Keersmaeker, erlebt seit ein paar Jahren eine neue Blüte und war in Salzburg allgegenwärtig. Es revoltiert gegen den Sinnstiftungszwang der europäischen Theatertradition. Zeitliche und kausale Logik werden aufgehoben, Bewegungsabläufe haben keine Ursache und keinen Zweck. Die Aktionen der Figuren vollziehen sich oft isoliert, nicht auf einander bezogen. Noch Luc Perceval ist diesem surrealen Bildertheater mit seinem Molière. Eine Passion weit näher als einer Bearbeitung von Molières Stücken, die viele nach den Schlachten! offenbar von ihm erwartet haben. Und Christoph Marthaler, der zum Abschluss des Scelsi-Projekts eine Visualisierung von dessen Musik wagte, ist ohnedies, allen Nörglern zum Trotz, der vielkopierte Großmeister des modernen Bildertheaters.


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