Am vergangenen Sonntag fand in Vorarlberg, Österreichs westlichstem Bundesland, die Landtagswahl statt. Die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ), erreichte einen Anteil von 25,2 Prozent der Stimmen, zusammen mit dem BZÖ, das sich nach der letzten Landtagswahl von 2004 von der FPÖ abgespalten hatte, sogar 26,4 Prozent, mehr als doppelt soviel wie vor fünf Jahren.
Der Wahlerfolg hat eine Vorgeschichte. Der Spitzenkandidat der Vorarlberger FPÖ, Dieter Egger, hatte erklärt: "Den Exil-Juden aus Amerika in seinem hochsubventionierten Museum geht die Innenpolitik ebenso wenig etwas an wie den Intendanten der Bregenzer Festspiele."
Mit dem „Exil-Juden aus Amerika“ war Hanno Loewy gemeint. In der Vorarlberger Stadt Hohenems, in der auch Egger lebt, gibt es ein Jüdisches Museum. Hanno Loewy, aus Frankfurt am Main gebürtig und deutscher Staatsbürger, war vor fünf Jahren zum Direktor dieses Museums bestellt worden und hatte sich, wie der Intendant der Bregenzer Festspiele David Pountney, kritisch zu dem verschwiemelten Heimat-Begriff geäußert, mit dem die FPÖ ihre Wahlwerbung betrieb.
Die sachliche Unrichtigkeit, dass Loewy gar nicht aus Amerika stammt, spielt hier keine Rolle. Wenn man sich darauf einließe, hieße das, man könnte Eggers Invektive akzeptieren, wäre Loewy tatsächlich amerikanischer Jude. Entscheidend ist, dass Exil und Schweigegebot in einen Zusammenhang gebracht werden. Der österreichische FPÖ-Chef Strache sprang denn seinem Schützling bei wie ein bauernschlauer Klassenkasperl: „Exil-Jude“ sei kein Schimpfwort. Freilich: Schimpfwort oder nicht – wer als solcher gilt, hat sich nicht einzumischen. Was hier stattfindet und mit Kalkül inszeniert war, ist eine Umkehrung der Werte, die unter zivilisierten Menschen als selbstverständlich gelten: nicht die Verjagung ins Exil ist schändlich, sondern das Exil selbst.
Die Geschichte der Beteiligung Österreichs am Nationalsozialismus, deren Aufarbeitung mehr als vier Jahrzehnte hintertrieben und überhaupt erst nach der so genannten Waldheim-Affäre in Angriff genommen wurde, sollte umgeschrieben werden, noch ehe sie dokumentiert war. Eggers gezielte und, wie sich nun zeigt, von den Wählern honorierte Exil-Verhöhnung setzt fort, was Jörg Haider mit seinem Lob für die „anständigen“ SS-Leute intoniert hat. Auch er hatte seine Vorläufer. So die ausgewiesenen Antisemiten Oskar Helmer und Adolf Schärf, die in der Nachkriegs-SPÖ eine führende Rolle spielten.
Täter als Stimmvolk
Es war der damalige sozialdemokratische Innenminister Oskar Helmer, der mit unverhohlener Abscheu „überall nur jüdische Ausbreitung“ registrierte und daher etwa für eine Amnestierung des wegen der zusammen mit anderen SS-Männern durchgeführten Ermordung von zirka 175 ungarischen Juden und Jüdinnen sowie wegen der Mitschuld am bestellten Mord des Leiters der Widerstandsgruppe „Erlauftal“ Rudolf Oberndorfer durch einen Unteroffizier der Deutschen Wehrmacht zu lebenslanger Haft verurteilten Ernst Burian plädierte, weil seine vom Volksgericht festgestellte Schuld „nur darin [bestünde], dass er der Liquidation von Juden beigewohnt hat“. Helmer wörtlich: „Persönliche Schuld ist faktisch keine vorhanden."
Es war der sozialdemokratische Präsidentschaftskandidat Adolf Schärf, der just in diesem Jahr mit dem Slogan „Wer einmal schon für Adolf war, wählt Adolf auch in diesem Jahr“ warb – mit Erfolg, wie Jahre später Dieter Egger. Der SP-Linke Josef Hindels dagegen wurde von Schärf ausdrücklich aufgefordert, nach Schweden zurückzukehren, wo er die letzten Jahre des Exils verbracht hatte. Unverblümt gab man ihm zu verstehen, dass bei den ehemaligen Nazis mehr Wählerstimmen zu holen seien als bei deren Opfern. Nicht nur bei den ehemaligen, möchte man ergänzen. Das wissen auch jene, die immer wieder durch einschlägige und keineswegs unbeabsichtigte Aussprüche und Handlungen auffallen, was freilich Sozialdemokraten wie die Salzburger Landeshauptfrau Gabi Burgstaller nicht davon abhält, mit ihnen zu flirten. Und das wissen auch Dieter Egger und Heinz-Christian Strache. Dass antisemitische Aussprüche in Österreich zum Repertoire künftiger Wahlkämpfe gehören werden, lässt sich voraussagen. Der Erfolg ist nun schließlich bewiesen.
Thomas Bernhard hat nicht übertrieben
Der Schriftsteller Michael Köhlmeier, der wie Dieter Egger und Hanno Loewy in Hohenems wohnt, zählte zu den Ersten, die sich über Eggers Angriff empörten. Doch sein Optimismus spielte ihm einen Streich. Er beendete seine Stellungnahme mit den Sätzen: "Aber wir erzittern beständig vor 20 Prozent und übersehen dabei, dass 80 Prozent das zutiefst ekelhaft finden. Wenn es so etwas wie einen kleinsten gemeinsamen Nenner gibt, dann den, dass man solche Nazisprüche nicht akzeptiert." In Hohenems erhielt die FPÖ am vergangenen Sonntag nicht 25, sondern knapp 38 Prozent der Stimmen. Die Wahrheit, der auch Köhlmeier nicht ins Auge sehen will lautet: Österreich ist das letzte nationalsozialistische Land in Europa. Thomas Bernhard hat kein bisschen übertrieben. Und wer denn meint, 25, auch 38 Prozent FPÖ-Wähler seien noch kein Alarmsignal, sei erinnert: bei den Reichstagswahlen 1928 bekam die NSDAP in Deutschland 2,63 Prozent der Stimmen, 1930 18,33 Prozent - noch nicht einmal 20 Prozent...
Auch die liberale Tageszeitung Der Standard scheint zu glauben, es genüge, im Wald zu pfeifen. Ihr Kommentator Conrad Seidl schreibt: „Gewiss: Der FPÖ-Spitzenkandidat Dieter Egger hat mit seinen provokanten Äußerungen erst über Fremde und dann über Juden genau jene Stimmenmaximierung erreicht, an der ihm gelegen war.“ Und ein paar Zeilen weiter: „Heißt das, dass ein Viertel der Vorarlberger den Antisemiten oder gar Nazis zuzurechnen sind? Natürlich nicht.“ Ja, was würde denn nun einen Antisemiten auszeichnen, wenn nicht die Tatsache, dass er provokante Äußerungen über Juden mit seiner Wählerstimme belohnt? Zur Präzision: Dieter Egger erhielt fast 50.000 Vorzugsstimmen. In Vorarlberg gibt es etwas mehr als 260.000 Wahlberechtigte, davon haben knapp 175.000 gewählt. Jeder Wähler kann einem wahlwerbenden Kandidaten maximal zwei Vorzugsstimmen geben, also über die Partei hinaus eine bestimmte Person favorisieren. Dieter Egger, der Mann mit der „provokanten Äußerung“, ist noch populärer als seine Partei.
Herbert Sausgruber will sein Versprechen halten
Es ist die alte Leier. Selbst die paar ehrlichen Antifaschisten in Österreich wollen sich und der Welt nicht eingestehen, dass der Anschluss von 1938 keiner Anführungszeichen bedarf, dass er von der überwiegenden Mehrzahl der Österreicher gewollt war, und dass auch heute noch mit Beifall rechnen darf, wer die von den Nazis Getöteten und Verjagten verhöhnt und deren Anhänger exkulpiert. Die Eggers und ihre Getreuen am Stammtisch lachen sich schief über die hilflosen Gegner. In Österreich besteht, weit über die FPÖ hinaus, ein geheimes Einverständnis, dass der Jud zu kuschen habe. Hanno Loewy hat die Lektion verstanden. Nach der Wahl sagte er: „Egger hat mich mundtot gemacht.“ Jedes weitere Wort würde Öl ins Feuer gießen. Deshalb sympathisieren die Österreicher mit dem Zionismus: Juden gehören nach Israel und nicht in die österreichische Heimat.
Eine positive Meldung immerhin lässt sich notieren: Der ÖVP-Landeshauptmann von Vorarlberg Herbert Sausgruber hat gleich nach Eggers Sottise erklärt, er werde die Koalition mit der FPÖ nicht fortsetzen, wenn dieser seine Aussage nicht zurücknehme und sich entschuldige. Egger dachte natürlich gar nicht an eine Entschuldigung. Sollte er den absehbaren Zuspruch, den er gerade eingeheimst hatte, wieder aufs Spiel setzen? Wider Erwarten hat Sausgruber sein Versprechen nach der Wahl wiederholt. Von sozialdemokratischen Politikern ist solch eine Konsequenz nicht bekannt.
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