Der anhaltende und gemessen in Besucherzahlen sogar wachsende Erfolg der Diagonale im zweiten Jahr der Direktion Christine Dollhofer/Constantin Wulff konnte nicht darüber hinwegtäuschen: es sieht nicht rosig aus für den österreichischen Spielfilm. Die Professionalität der Organisation steht in einem sonderbaren Gegensatz zur Amateurhaftigkeit vieler Filme. Ein Spielfilm von der Qualität der Siebtelbauern oder von Milk, um zwei extrem unterschiedliche Meisterwerke des Vorjahrs zu nennen, war heuer nicht zu entdecken. Es hat den Anschein, daß die Errungenschaften der österreichischen Filmförderung ausgerechnet unter einem Bundeskanzler, der den Film als seine Herzenssache deklariert hat, durch Engstirnigkeit, Nepotismus und politische Intrigen zunichte gemacht werden. So kann man es nur als Skandal bezeichnen, daß Andreas Gruber für vier eingereichte Projekte in seiner Heimat keine Kinofilmförderung erhielt. Er wird jetzt im Ausland drehen. Wieder einmal wurde deutlich, wie der Umgang mit Künstlern jenseits von Festtagsreden aussieht. Und Gruber ist nur ein Beispiel von vielen. Die Stadt Graz traf vor zwei Jahren eine salomonische Entscheidung. Bettler werden geduldet, dürfen aber den Passanten nicht lästig sein. Jetzt hocken und knien sie demütig auf Schaumgummipolstern entlang den belebten Straßen. So wünscht sich der Staat seine Künstler: demütig bettelnd, aber nicht lästig.
Es herrscht ein Populismus, der kulturpolitisch vorwegnimmt, was auch ein Jörg Haider nicht grundsätzlich anders verfügen würde. Und das hat Folgen.
Traditionell halten sich die Österreicher viel darauf zugute, den Deutschen in Sachen Humor überlegen zu sein. So sehr man in der Alpenrepublik als Gegenreaktion zum Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem mächtigen Nachbarn zur kompensierenden Selbst überschätzung neigt - in diesem Fall trifft das Autostereotyp eine Wahrheit, die sich historisch erklären läßt. Im katholischen Österreich galt Gottscheds Hanswurst-Verbot nicht. Hier prägte das humoristische Volkstheater, dessen Höhepunkt Johann Nepomuk Nestroy markiert, bis in unsere Gegenwart die Vorstellung von szenischer Kunstaus übung nicht weniger als Klassik und protestantisch-idealistischer Moralismus.
In jüngster Zeit jedoch ist der österreichische Film heftig bemüht, das Prestige des österreichischen Humors im doppelten Wortsinn zu verspielen, ihn in den Bereich obsoleter Vorurteile zu verbannen. An schließend an den überwältigenden Erfolg, den das Kabarett in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Österreich verzeichnen konnte, schwört man auf dessen Adaption durchs Kino. Dazwischen aber liegt die Schwelle des Fernsehens. Es machte die Kabarettisten erst so richtig populär. Auch die besseren unter ihnen freilich bezahlten den Zuwachs an Publikum mit radikalem Niveauverlust.
Der Film nun bedient sich des televisonär erworbenen Ruhms mancher Namen, nicht des allmählich schwindenden Talents. Es ist viel geschrieben worden über die Auswirkungen von Gewalt und Sex im Fernsehen. Unbeachtet blieb, was der billige Blödelhumor - und zwar in Deutschland nicht weniger als in Österreich - an Verwüstung anrichtet beim Verständnis komplexer, intelligenter Witzstrukturen, subtiler Anspielungen, kritischer Entblößung durch Humor, der diesen Namen verdient.
Das Ergebnis: österreichische Filme vom Typ Freispiel wurden in ihrer Heimat (allerdings auch nur dort) zu einem bis dahin unvorstellbaren Kassenerfolg. So dämlich kann die Story gar nicht sein, so hirnlos kann die Kamera gar nicht eingesetzt werden, daß nicht ein großer Teil der Österreicher ins Kino liefe, um die zur Mannschaft erweiterte, von jeglicher Regie im Stich gelassene Anhäufung von Kabarettisten und Volksschauspielern (ach Girardi!) zu bestaunen. Es paßt in diese Umgebung, daß der Hauptdarsteller einer Klamotte, die mittlerweile jeder zehnte Österreicher - Babys und Greise mitgerechnet - gesehen hat, die Entgegennahme des Schauspielerpreises nutzte, um sich mit reaktionären Ressentiments, die auch Jörg Haider unterschreiben könnte, an den Stammtisch anzubiedern.
Widerstand gegen einen Fernsehalltag, in dem Befrager ihre Gesprächspartner rüde unterbrechen, wenn die für eine Antwort mehr als acht Sekunden in Anspruch nehmen, und die vermutete Replik in einer dümmlichen Drei-Sekunden-Vereinfachung gleich selbst formulieren, leistet ein Film wie Bridge zu Monticello von Michael Pilz. Sein Porträt eines steirischen Malers, der zur Zeit der Aufnahmen in den USA lebte und über seine Arbeit, aber auch über den nordamerikanischen way of life spricht, läßt den Bildern Raum und Gesprächen Zeit. Wir dürfen Anteil haben an der Produktion von Gedanken beim Sprechen und auch an der Stille, am Schweigen, das zur Sprache gehört wie die Pause zur Musik. Dieser Film nimmt sein Gegenüber ernst, ohne seine Perspektive zu kaschieren.
Der Schriftsteller Erich Hackl verlangte in seiner Rede zur Eröffnung der Diagonale Filme, die »Empathie befördern«, und bekundete sein »Mißtrauen gegenüber Filmemachern, die den Überlebenskampf ihrer Figuren wie Verhaltensforscher registrieren, (...) die, weil sie selbst vor Berührung zurückschrecken, Anteilnahme als peinlich empfinden«. So begründet dieses Bekenntnis in einer Zeit ist, da die Parteinahme für die Schwachen und Entrechteten als »politisch-korrekt« bespöttelt und die unterwürfige bis trotzige Beschäftigung mit den Leiden der Reichen zur Mode wird, sollte man daraus doch kein Dogma machen.
Nicht jeder verdient Empathie, nicht immer ist der Blick des Verhaltensforschers inhuman. Daß die Hinwendung zum Menschen, das echte Interesse an ihm nicht notwendig damit verknüpft ist, ihn ins Bild zu bringen, beweist Fridolin Schönwiese mit seinem wunderbaren, experimentellen Dokumentarkurzfilm it works. Eine Kamera schaut starr auf die Tastatur eines Computers. Mühsam setzt ein gekrümmter Finger Buchstabe für Buchstabe einen Satz zusammen. Schönwieses geniale Idee: diese Tätigkeit wird begleitet von ständig abbrechenden Fragmenten aus einer Komposition von Saint-Saens. Wenn die Musik mit der Vollendung des Satzes »Das Schiff schwimmt über das Meer« in einen vollen Akkord auf dem Grundton mündet, spürt der Zuschauer förmlich das Glücksgefühl, das das spastische Kind nach dem Ende der Anstrengung empfinden muß. Er erfährt hier auf völlig neue Weise etwas über einen Menschen. Obwohl er diesen nicht zu Gesicht bekam, hat der Film mehr Empathie hervorgerufen als manche Großproduktion, die mit ihrem über alles hinwegschweifenden Blick ihr eigentliches Desinteresse bekundet.
Blicke hinter die Kulissen: Nach der Hölle der Beziehungen und der Beziehungslosigkeit in der von jeglichem Glamour entrümpelten Welt der Models von Ulrich Seidl, in der auch kein dramaturgischer Bogen, wie noch bei Albee oder Norén, eine tröstliche Perspektive ermöglicht, waren zwei Musik- und Musikerfilme Balsam für die wunde Seele. Sabine Derf linger und Bernhard Pötscher stellten The Rounder Girls vor, ein Vokaltrio mit einem Pianisten, der einen österreichischen Woody Allen abgeben könnte und Othmar Schmiderer begleitete. Bildsprachlich ambitionierter das Vienna Art Orchestra anläßlich seines 20jährigen Bestehens auf der Tournée von 1997 durch mehrere Länder, in die es An Echo from Europe brachte. Beide Filme erfreuen nicht nur durch die Visualisierung hinreißender Musik, sondern vermitteln auch die Mühe und das Vergnügen, die künstlerische Arbeit bedeutet. Sie verhalten sich zur oberflächlichen Kurzatmigkeit des Videoclips wie die Gespräche von Michael Pilz zu der Interview praxis von Hörfunk und Fernsehen.
Hundert Kilometer südlich von Graz wird Jörg Haider Landeshauptmann. Bei der Diagonale war das kein Thema.
Auch Der Spezialist wurde in Graz nicht vorgeführt, weil ihn der österreichische Koproduzent für eine Premiere unter dem Patronat des Wiener Kulturstadtrats zurückhielt. Der Dokumentarfilm zeigt einen Österreicher, der bis zu seinem Ende stolz darauf war, stets zuverlässig seine Pflicht erfüllt zu haben. Er registriert Sprache und Gestik Adolf Eichmanns bei seinem Prozeß in Jerusalem mit dem Blick des Verhaltensforschers, ganz ohne Empathie. Eichmann war bekanntlich nicht unwesentlich an jener »ordentlichen Beschäftigungspolitik des Dritten Reichs« beteiligt, die Jörg Haider lobt. Wer daran, noch dazu im Ausland, erinnert, wird von der Kronenzeitung - wem sonst? - einmal mehr als »politisch korrekt« qualifiziert. Vielleicht sollte Eichmann doch als Vorbild dienen. Seine Korrektheit läuft nicht Gefahr, despektierlich als »politisch« attribuiert zu werden. Sie beschränkte sich auf die effiziente Abwicklung eines Völkermords.
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