Wie viel von dem Autor sich hinter Thomas Bernhards Figuren versteckt, hat Leser und Kritik von Anfang an beschäftigt und interessiert sie immer noch. Thomas Bernhard wurde, stellvertretend für seine Erfindungen, haftbar gemacht, wo er in erster Linie Schalk sein wollte, und er wurde belacht, wo es ihm bitterernst war. Die Nichtentscheidbarkeit, die Verschleierung seiner „eigentlichen“ Meinung, die Mystifizierung der eigenen Person und die Veräppelung seiner Interpreten machen den Reiz seines Werks zu einem nicht geringen Teil aus. Bei dem vorliegenden Wälzer kann es keinen Zweifel geben. Es ist Thomas Bernhard selbst, der da spricht, genauer: an seinen Verleger Siegfried Unseld schreibt und von diesem Antworten erhält.
Wer sich heute auf diese über
über Jahre hinziehende Korrespondenz einlässt, liest sie von Thomas Bernhards Ende her, also mit dem Bewusstsein, es mit einem bedeutenden, viele meinen: dem bedeutendsten österreichischen Schriftsteller der Nachkriegszeit zu tun zu haben, dessen Erfolg mittlerweile offensichtlich ist und dessen Bücher sich nach wie vor gut verkaufen.Dabei wird vergessen, dass es ein weiter Weg war zu diesem Erfolg. Über lange Zeit hinweg lebte Bernhard in materiellem Mangel, wie ihn die überwiegende Zahl der Schriftsteller in Österreich und anderswo erfahren. Es ist daher billig, um nicht zu sagen schäbig, wenn man sich darüber mokiert, dass Bernhard ständig und eindringlich von Geld spricht. Er brauchte es damals tatsächlich, und dass er später genug verdiente, um sich ein bequemes Dasein leisten zu können, setzt seine vorausgegangenen Forderungen nicht ins Unrecht. Es ist ja keineswegs selbstverständlich oder gottgewollt, dass Verleger besser leben müssen als ihre Autoren, ohne deren Werk sie Waschmittel oder Glühbirnen verkaufen müssten.Dass Bernhard sich nach Ansicht derer, die sich vor Hierarchien ducken, bisweilen im „Ton vergriffen“ hat, statt die Rolle des devoten Bittstellers zu spielen, spricht eher für als gegen ihn. Und das gilt auch und gerade, wenn man Unseld als nicht alltägliche Verlegerpersönlichkeit schätzt. Er war nicht nur Literaturliebhaber, sondern auch Geschäftsmann, und dass, wer mit ihm Geschäfte machte, seinem Interesse Nachdruck verleihen musste, sollte eigentlich nicht überraschen.Wenn man bedenkt, dass Thomas Bernhard etwa für Ungenach 1968 pro verkauftes Exemplar 20 Pfennig bekam, für 15.000 Exemplare also ein Garantiehonorar von 3.000 DM – rund 1.500 Euro –, so fragt man sich, wovon sich ein Schriftsteller ernähren soll. Zum Vergleich: Das monatliche Durchschnittseinkommen eines Deutschen betrug damals knapp 1.000 DM (500 Euro). Demnach hätte Thomas Bernhard alle drei Monate ein Buch veröffentlichen müssen, um dieses Durchschnittseinkommen zu erreichen. Andererseits erfährt der Leser aus einem Brief Unselds, dass zum Beispiel von Samuel Becketts Molloy zwischen 1954 und 1968 gerade 2554 Exemplare verkauft wurden.Diplomat UnseldUnseld ist ein Diplomat, mit fast grenzenloser Geduld, aber auch mit gelegentlicher patriarchalischer Herablassung. Zu einem echten Konflikt droht es zu kommen, weil Thomas Bernhard sich den Bemühungen Unselds, ihn an seinen Verlag zu binden, bis zuletzt entzieht, wobei er sich, jedenfalls nach Unselds Interpretation, nicht scheut, Abmachungen zu brechen, und zwischen dem Residenz Verlag und Suhrkamp laviert – was ja bis heute kuriose Doppeleditionen einzelner Werke zur Folge hat.Es ist bemerkenswert, dass ein so versierter Literaturkennen wie Karl Markus Michel, damals Lektor bei Suhrkamp, 1962 die Qualität von Bernhards Prosa noch nicht erkennt, wie Jahre später Werner Schwab von den meisten Dramaturgen verkannt wurde. Noch 1967 (!) schreibt Bernhards Kollege Herbert Eisenreich über Verstörung: „Keine Handlung, keine Distanz, kein Kontrapunkt – das sind die drei Aspekte des einen Sachverhalts: keine Wahrheit.“ Wohlgemerkt: das sind die Worte nicht eines Kritikers, sondern eines seinerzeit von konservativen Kreisen hochgeschätzten Belletristen! Immerhin formuliert Michel eine ausführlich begründete Absage – davon können Autoren heute kaum noch träumen.1964 beginnt dann der regelmäßige Briefwechsel zwischen Unseld und Bernhard, der bis 1988, kurz vor Bernhards Tod, anhält. Dazwischen kommt es immer wieder zu persönlichen Begegnungen, die Unseld für sich protokolliert. Die Aufzeichnungen dokumentieren die gute Beobachtungsgabe und die psychologische Klarsicht des Verlegers. Auch dies, der enge Kontakt zwischen Verleger und Autor, ist mittlerweile eher die Ausnahme. Die Industrialisierung des Verlagswesens hat die zwischenmenschlichen Beziehungen radikal verändert.In Anneliese Botond fand Thomas Bernhard eine Lektorin, deren Qualität er zu schätzen wusste, die zu loben er aber unterlässt, „weil mir Loben in absoluten Wertkategorien das fürchterlichste ist, das es gibt“. Das ist Bernhard pur. Immerhin, in einem P.S. heißt es: „Meine Lektorin A.B. ist der Pfahl, an den ich Schaf mich gern, meine ganze Schriftstellerei, anbinde.“ Spricht aus solch einem Satz nicht Demut, die panische Angst vor den falschen Tönen der Schmeichelei? Setzt er nicht zugleich Bernhards Schimpforgien in ein anderes Licht? Die klingen dann, noch relativ milde, so: „Bitte lassen Sie Anfragen, ob ich irgendwo vorlese, gleich wo, damit beantworten, dass ich das Vorlesen hasse und nicht mehr vorlese.“ Ist das wirklich nicht nachzuvollziehen? Oder selbst ein Urteil wie dieses: „Mit Hölderlin aber geht es mir wie mit einem schönen kalten Jüngling, der immer tot gewesen ist.“Nur sein WerkUnd was den mehrfach geäußerten Eindruck betrifft, dass der Verlag sich zu wenig für seine Bücher einsetze, so teilt ihn Bernhard mit einer großen Zahl von Autoren, egal in welchem Verlag sie publizieren. Es liegt in der Natur der Dinge, dass die Perspektive eines Schriftsteller, der nur sein eigenes Werk sieht, eine andere ist als die eines Verlegers, der ein ganzes Programm zu betreuen hat – und gerade Unseld hatte es ja nicht mit unbedeutenden und nur pflegeleichten Autoren zu tun.In seinem letzten Brief vom 25.11.1988, noch unter dem Eindruck des Konflikts mit dem Residenz Verlag, schreibt Thomas Bernhard: „Lieber Siegfried Unseld, wenn Sie, wie Ihr Telegramm lautet, ‚nicht mehr können’, dann streichen Sie mich aus Ihrem Verlag und aus Ihrem Gedächtnis. Ich war sicher einer der unkompliziertesten Autoren, die Sie jemals gehabt haben. Ihr Sie sehr respektierender Thomas Bernhard.“ Hätte Bernhard länger gelebt, hätte er Unseld gewiss wieder mit einem jener Briefe umworben, die sich wie Äußerungen einer verklemmten, unterdrückten Liebe lesen.Unkompliziert war Thomas Bernhard sicher nicht. Aber ist Unkompliziertheit eine Tugend? Ist das nicht ein anderes Wort für Langweiligkeit oder, schlimmer noch, für opportunistische Angepasstheit? Würden wir diesen Briefwechsel mit dem gleichen Interesse lesen, wenn Thomas Bernhard tatsächlich unkompliziert gewesen wäre – und wenn er nicht in Unseld einen Partner gefunden hätte, der ihm gewachsen war? Es sind die kleinen Geister, die sich von Bernhard beleidigt fühlen oder ihn gar denunzieren. Unseld bekennt: „Auch ein Verleger ist ein Mensch. Auch er braucht seine Streicheleinheiten.“ Aber er gibt nicht auf, wenn sie ihm verweigert werden.
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