Wenn du´s erklärtest

Liedermacher "Die Lieder" von Franz Josef Degenhardt in einem Band

Schlichter kann ein Buchtitel kaum lauten. Die Lieder. Da kommt es auf den Autor an. Der heißt Franz Josef Degenhardt, und seine Lieder, hier erstmals komplett gesammelt, verdienen in der Tat den bestimmten Artikel. Eine Generation ist mit ihnen erwachsen geworden. Sie haben diese Generation durch die vergangenen Jahrzehnte begleitet, und in ihnen bleibt aufbewahrt, was diese Jahrzehnte für viele bedeuten.

Franz Josef Degenhardt wird am 3. Dezember 75 Jahre alt. Dass er - wie der fünf Jahre jüngere Wolf Biermann - das Bundesverdienstkreuz erhält, ist nicht zu befürchten. Irgendetwas muss er falsch gemacht haben. Hat halt nicht dazugelernt. Und sich mit den falschen Leuten angelegt. Er wird´s verkraften. So schrecklich wichtig hat er sich nie genommen.

Was seinerzeit eine eher ironische Befürchtung war, hat sich inzwischen als Prophetie erwiesen: "dass das bloß solche Geschichten bleiben, die man den Enkeln erzählen kann". Bei aller Fortschrittseuphorie, bei allem Optimismus war Franz Josef Degenhardt stets Realist genug, um die gegnerischen Kräfte nicht zu unterschätzen. Er war der bedeutendste und einflussreichste Sänger der westdeutschen 68er-Bewegung. Dass deren dauerhafter Erfolg nicht ausgemacht sei, dass ihr Scheitern angesichts der Macht, der Entschlossenheit und der Brutalität ihrer Feinde eine Möglichkeit darstellt, dass also, was Degenhardt und seine Generation als gegenwärtige Realität erleben und mitgestalten durften, eines Tages "bloß solche Geschichten bleiben" könnte, war dem Liedermacher schon damals bewusst. Heute feiert der Kapitalismus mit grinsendem Gesicht seinen historischen Sieg. Rücksichten müssen nicht mehr genommen werden.

Dass Franz Josef Degenhardt in einer Umgebung der Opportunisten, der Renegaten und der angepassten Schleimscheißer unbeirrt an seinen Überzeugungen festhält, ist sicher einer der Gründe, weshalb die Medien ihn einfach ignorieren. Genau genommen ist es eine Kulturschande, dass die dafür Berufenen es versäumen, einer nachwachsenden Generation jenen Künstler zu präsentieren, der bis weit in liberale und konservative Kreise hinein zumindest geachtet, jedenfalls aber goutiert wurde.

Schon auf seiner ersten LP von 1963 - er war damals noch Assistent für Europäisches Recht an der Universität Saarbrücken - übte Degenhardt Sozialkritik. Er nannte seine Lieder "Bänkel-Songs" und verwies damit auf zwei maßgebliche Traditionen: den plebejischen Bänkelgesang, den Vortrag gesungener Geschichten auf Jahrmärkten einerseits und den Song, wie ihn Bertolt Brecht in seinen Stücken auf die Bühne gebracht hat, andererseits. Das war neu in der deutschen Nachkriegskultur, das war faszinierend, wie einer da zur Gitarre vortrug, was er selbst getextet und komponiert hatte. Fast noch wichtiger als der Bänkelgesang und Brecht oder gar der damals in Westdeutschland totgeschwiegene Ernst Busch war für den jungen Degenhardt die französische Tradition des Chansons, allen voran Georges Brassens. Von ihm übernahm Degenhardt sowohl die poetisch gezähmte anarchische Haltung wie auch das intime Understatement im Vortrag. Das ist dem Pathos eines Ernst Busch geradezu diametral entgegengesetzt. Man könnte die These wagen, dass Busch noch den Code der Arbeiterbewegung aus der Weimarer Republik in die Nachkriegszeit herübergerettet hat, während Degenhardt ein Zeitgenosse der Studentenbewegung ist, also vor einem eher intellektuellen Publikum auftrat und dieses, jedenfalls zunächst, auch als das nächstliegende revolutionäre Subjekt begreifen durfte.

Zu den ebenso bekannten wie kontrovers kommentierten Zeilen Degenhardts gehört diese: "Zwischentöne sind nur Krampf im Klassenkampf." Franz Josef Degenhardt hat ja in Wahrheit niemals auf Zwischentöne verzichtet. Ist diese Aussage also Unsinn? Keineswegs. Sie spitzt lediglich zu, was im Kern durchaus diskussionswürdig ist, nämlich die Frage, ob Differenzierungen nicht in bestimmten historischen Situationen dazu dienen, von den eigentlichen Gegensätzen abzulenken. Als poetische Aussage wäre dieser Satz tatsächlich platt. Jedoch als politische Aussage hat sie ihre Logik. Das aber bezeichnet genau den Doppelcharakter des politischen Liedes, für das Degenhardt im Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg steht: Es ist ein poetisches Produkt und gleichzeitig der Versuch, unmittelbar in die Politik einzugreifen.

Unvergessen sind die Figuren, die Franz Josef Degenhardt geschaffen hat, als Karikaturen oft, aber manchmal auch als liebenswerte positive Typen, den Senator und den alten Notar Bolamus, den besserwisserischen Vati und den schnittigen Manager, P.T. aus Arizona und den Kommunisten Rudi Schulte. Mit wenigen Strichen hat er sie unverwechselbar charakterisiert. Der Refrain wiederholt, was wir uns von ihnen merken sollen.

Aber es stimmt nicht, dass Degenhardts Lieder überdeutlich sind, dass sie keine Differenzierung zulassen. Es gibt auch des öfteren Widerhaken, unerwartete Wendungen. Nicht alles ist, was es scheint. Zwischentöne sind eben nicht nur Krampf.

Das hat Degenhardt immer gewusst. Allerdings weigert er sich bis heute, mit Wenns und Abers letzten Endes jenen Recht zu geben, die er als Gegner identifiziert hat. Und die sind unerbittlich. So weit reicht ihre Liberalität, auf die sie sich so viel zugute halten, nicht, dass sie auch die Ansichten eines Degenhardt zuließen. Man muss ihn noch nicht einmal verteufeln. Man entzieht ihm einfach die medialen Zugänge zur Öffentlichkeit. Es ist nicht weit her mit der viel beschworenen Dialogkultur in unserem Lande.

In einem der jüngsten Lieder Degenhardts heißt es: "Dass Hitler, der schlimmste Verbrecher,/ nur auszuschalten war/ mit Stalin, diesem Halunken,/ wenn dus erklärtest, wurds einem klar." Man muss diese Ansicht, so unwiderlegbar sie in ihrer faktischen Aussage ist, nicht teilen. Aber warum ist sie für die Medien ein heftigeres Tabu als die Mitgliedschaft in der Waffen-SS?

Es kann doch kein Zufall sein: Mit den Werten und den Idealen, die Franz Josef Degenhardt über Jahrzehnte vertreten hat, ist auch die Kunstform weitgehend aus der öffentlichen Kommunikation verschwunden, die er so entscheidend mitgeformt hat, das solistische politische Lied, der Agitprop im besten Sinn des Wortes, eben das, was wir mit dem Wort "Liedermacher" verbinden. Die heute Lieder produzieren, haben zumeist ihren Frieden mit dem System geschlossen. Sie finden es normal, dass sie für alles zu gebrauchen sind, und wenn für sie dabei Geld herausspringt, dann werten sie das als Zeichen ihres Erfolgs. Da scheint ein Franz Josef Degenhardt einer vergangenen Zeit anzugehören.

Und doch: es gibt Anzeichen dafür, dass Degenhardt und so manche, die man als unzeitgemäß deklariert, wieder an Bedeutung gewinnen könnten. Denn die Widersprüche des Systems, dem ihre artikulierte Kritik galt und weiterhin gilt, werden immer offensichtlicher, sind so selbstmörderisch, dass es auf der Hand liegt, nach Erklärungen für diese Widersprüche und nach Abhilfen gegen die von ihnen verursachten Katastrophen zu fragen. Bei Franz Josef Degenhardt lassen sich Antworten finden.

Franz Josef Degenhardt: Die Lieder. Herausgegeben von Kai Degenhardt. Eulenspiegel, Berlin 2006, 400 S., 29, 90 EUR


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