Neuaufnahmen von Debussys Préludes

Debussy Neuaufnahmen Drei neue Aufnahmen kamen zum Debussy Jubiläum heraus. Debussys Geheimnis kommt leider keiner auf die Spur

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Oft ist Interpretation eine Frage der richtigen Distanz. Es gibt Musik, die blutleer bleibt ohne ein gewisses Maß an Identifikation und solche, der man nicht zu nahe treten darf. Die Musik von Claude Debussy gehört ohne Zweifel zu letzterer Kategorie.

In meinem Artikel zum Debussy Jubiläum hatte ich bereits versucht, gewisse Merkmale impressionistischer Musik zu umreißen. Insbesondere ihr "exothermer" Charakter und ihre symbolistisch uneigentliche Natur sind in diesem Zusammenhang von Bedeutung. Maurice Ravels Forderung, seine Musik solle nicht interpretiert, sondern einfach nur ausgeführt werden ist mehr als ein bonmot, es rührt vielmehr genau an diesen neuralgischen Punkt.

Identifikation, Emotion und Expression sind gerade nicht gefragt, sondern sollen wie in einem meditationsähnlichem Zustand eher vermieden werden, um Raum zu schaffen für andere Ebenen der Wahrnehmung und des Bewusstseins. Der "lontano"-Charakter, der so viele Werke von Debussy und Ravel prägt, kennzeichnet eben jenen Zustand des Lauschens in andere Welten der Wahrnehmung.

Doch dieses "nur ausführen" von Musik ist tatsächlich diffiziler als man annehmen könnte. Selbst die berühmtesten Dirigenten können es sich nicht verkneifen, das aufgewühlte Meer, wie es im dritten Satz von "La Mer" geschildert, mit emotionaler Emphase aufzuladen, als ob es das Vorspiel der Walküre wäre. Sie erkennen nicht, dass der Unterschied zwischen Wagner und Debussy weit über die Musiksprache selbst hinausgeht und ein grundsätzlich perspektivischer Unterschied ist. Eben jener Unterschied von aktiver Expression und passiver Impression.

Es ist denn auch gewiss kein Zufall, dass mit Pierre Boulez und Arturo Benedetti Michelangeli zwei Künstler zu Recht als herausragende Interpreten impressionistischer Musik gelten, denen man in anderem Zusammenhang ihre distanzierte Unbeteiligtheit oft zum Vorwurf machte. Jene wohl auch charakterlich verwurzelte Disposition prädestiniert sie für die Musik Debussys und Ravels.

Pierre-Laurent Aimard, der jahrelang mit Pierre Boulez im Ensemble Intercontemporain zusammenarbeitete, werden oft ähnliche Eigenschaften zugeschrieben, was in Wahrheit ein Missverständnis ist. Aimard ist ein ganz anderer Charakter wie Boulez. Er ist überhaupt nicht distanziert, sondern zoomt sich mit intellektueller Leidenschaft und Akribie an die Musik heran. Allenfalls eine Neigung zu französischer clarté teilt er mit Boulez.

Kein Zweifel, dass Aimard die Musik versteht und intellektuell durchdrungen hat. Die Gestaltung ist immer hochreflektiert und überlegen und zahlreiche Details sind ganz wunderbar herausmodelliert. Doch trotz allem ist er zu nahe dran an der Musik, alles bleibt zu konkret und materiell.

Ähnliches lässt sich über Michael Korstick sagen. Unter rein pianistischen Aspekten sicher der überlegenste, mit phänomenaler manueller Kontrolle ausgestattet, nähert auch Korstick sich der Musik zu direkt und handfest. So sehr manche Einzelheiten pianistisch und klanglich durchaus begeistern können, der Schleier des Geheimnisses zerreißt schnell immer wieder.

Leider zeigt sich auch Alexei Lubimov, sonst ein sensibler und hochmusikalischer Pianist, der eigentlich für die sensitive Beschaffenheit dieser Musik prädestiniert zu sein scheint, der speziellen Herausforderung nicht gewachsen. Dass er auf historischen Instrumenten spielt, spielt dabei eine untergeordnete Rolle, auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob die Vorzüge dieser Instrumente, der Klang ist besonders in den mittleren und tiefen Lagen transparenter und konturierter, die Nachteile wirklich überwiegen. Bei zunehmender Lautstärke wird der Klang schnell eng und spröde und ein Rest von dem Alter geschuldeten intonatorischer und mechanischer Unregelmäßigkeiten lassen sich wohl nicht vermeiden.

Auch Lubimov scheint dem Geheimnis dieser Stücke nicht zu vertrauen und glaubt die Musik mit Rubati und ausdrucksvollen Zuspitzungen interessant machen zu müssen. Die stürmische Emphase, die er im abschließenden "Feux d'artifice" (Feuerwerk) entfacht, illustriert genau das eingangs angesprochene Missverständnis. Das Feuerwerk ist eben nicht das Sinnbild einer inneren Erregung. Vielmehr versucht Debussy das Feuerwerk als mechanisch physikalisches Schauspiel zu reproduzieren und über diesen per se realistischen Eindruck ein mythisches Wiedererkennen und Erinnern auszulösen.

Die Préludes für Klavier sind nicht nur Debussys umfassendstes Instrumentalwerk, in gewisser Weise zieht er damit auch die Summe seines bisherigen Werkes - und seines zukünftigen. Während viele Stücke auf bereits erprobte Genres zurückweisen, nimmt vor allem der Zweite Band Aspekte späterer Werke wie Jeux, Saint Sebastien oder den Etüden bereits vorweg.

Und doch bleiben die Préludes in ihrer Vielgestaltigkeit ein kohärentes Gebilde impressionistisch symbolistischer Ästhetik. Einer höchst fragilen Ästhetik, die nur unter günstigen Konstellationen in Schwingen gerät.

Pierre-Laurent Aimard: Préludes I & II (Deutsche Grammophon)

Michael Korstick: Préludes I plus diverse Einzelwerke (Hänssler)

Alexei Lubimov: Préludes I & II plus Transkriptionen für 2 Klaviere (ECM)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Thomas.W70

Was vom Leben übrig bleibt / Thomas.W70@web.de

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