Wie ein Roman präsentiert wird, ist manchmal fatal entscheidend. Michael Roes' neuer Roman Der Coup der Berdache ist im Berlin- Verlag erschienen. Im Berlin-Verlag erscheinen keine Kriminalromane, sondern »Literatur«. Also ist »Der Coup der Berdache« ein Roman, der »durch den radikalen Bruch mit der klassischen Erzählweise die Spannung eines Thrillers« erzeugt (Klappentext), und nicht etwa ein avancierter Thriller, der sich schon längst durchdeklinierter, gebrochener Erzählverfahren bedient. Aber von der »Spannung eines Thrillers« möchte er schon profitieren - und deswegen gibt Roes seinem Roman auch die Oberflächenstruktur eines Kriminalromans.
Tatsächlich fehlt dem Buch aber jede Art von suspense. Wer den FBI-Agenten Timothy Van Couvering im verrufenen Club »The Meat« skalpiert hat, ist ungefähr so interessant wie »Who cares who killed Roger Ackroyd?«. Diese berühmte Frage hatte maliziöserweise der Literaturkritiker Edmund Wilson im New Yorker gestellt, um auf den Papiercharakter eines bestimmten Typs von »Krimis« hinzuweisen.
Der Fall des gewaltsam entnommenen Haupthaars dient Roes als Haken, der die Leser in die Handlung des Romans ziehen soll. Dementsprechend ist die Exposition des Buches auch auf eine Kriminalgeschichte hin angelegt. Ähnlich wie der durchaus neugierig machende Titel. Was mag »Berdache« sein? Roes, der Ethnologe unter den deutschen Schriftstellern, liefert die Erklärung gegen Ende nach: »Berdache« bedeutet »Halbmann-Halbfrau« in einigen indianischen Gesellschaften. Eine Art viertes oder fünftes Geschlecht, das sich mit dem üblichen Vokabular von Transsexualität nicht beschreiben läßt. Bevor der Begriff fällt, haben wir schon seine Verkörperung kennengelernt, Joan respektive John Bayou, eine/n indianische/n Lehrer/in, die/der im Verdacht steht, dem Special-Agent den Skalp womöglich von der Kopfhaut gebissen zu haben. Auf sie/ihn stößt während seiner Recherchen der auch nicht mit einer eindeutigen Geschlechtsrolle zu definierende schwarze Polizeipsychologe Thor Voelcker. Über weite Strecken des Buches agiert er als Journalist Ellison. Die dritte Person, die Drag-Queen Elektra, bürgerlich Elbert Late, begleitet die Handlung, indem sie pausenlos auf ein Tonband quackelt, das ihr Voelcker zur Verfügung gestellt hat. Die Geschichte mäandert zurück in die Vergangenheit. Dort hat eine politische und rassistische Ungeheuerlichkeit ihren Ursprung, die das behördliche Handeln in der Gegenwart bestimmt. Außerdem werden Kindheit, Jugend und Erwachsenwerden der drei Hauptfiguren zum zeitweilig dominierenden Thema. Bis zum bösen Schluß alles wieder zusammenfließt, zum Shootout in klassischer Peckinpah-Manier.
Allerdings ist unterwegs auch so ziemlich jeder andere Thrill verlorengegangen. Das ist prinzipiell nicht schlimm, denn Spannung ist kein exklusives Qualitätskriterium von Literatur. Störender ist, mit welchen Mitteln Spannung überwalzt wird. Daß der Roman nicht-linear erzählt ist, ist kein Argument gegen Spannung und suspense. Seit Chester Himes Blind Man with a Pistol ist das ein eingeführtes Verfahren und 1999 alles andere als radikal oder innovativ.
Aber die ganze Dramaturgie des Buches leidet an den ewigen Exkursen, die zusammengenommen ein merkwürdig wollüstiges Manual von Tötungs-, Folter- und Verstümmelungsriten ergeben. Zwar prustet Roes empört daraüber, was der »weiße Blick« den »Naturvölkern« an Grausamkeiten unterstellt, aber das hindert ihn nicht am länglichen Ausfalten eben dieser Greuelkataloge. die rückt er zudem noch in die Nähe eines ebenfalls liebevoll geschilderten Sex-Clubs mit Fistfucking und Natursekt (Himmel, wer steht denn noch auf so was?), was ungut an die Welle der Gewalt und Devianz-Schocker der achtziger Jahre erinnert. Möglicherweise hinter seinem Rücken reproduziert Roes damit auch den ordnungspolitischen Leitgedanken jener Reagan-Jahre: Zwar möchte das Buch mittels seiner Hauptfiguren gegen die Festlegung auf lediglich zwei oder drei Geschlechtsrollen an-argumentieren, plaziert seine polymorphen Alternativen durch die unnütze Kriminalhandlung aber genau dahin, wo reaktionäres Denken sie gern hätte: Ins »kriminogene« Umfeld. Daß er durch die ebenfalls wacker antirassistische Quotierung seiner Figuren ausgerechnet die weiße Drag-Queen darstellt, ist bei der Wackligkeit des ganzen Unternehmens bloß eine fatale Neben-Pointe.
Dabei bin ich überzeugt, daß Roes eine solche Implikation nicht gewollt hat. So etwas passiert allerdings, wenn man über die »meaning of structure« von Texten nicht nachdenkt beziehungsweise die Semantik von »Thrillern« nicht kennt. Ohne die aufgemotzten Sex- und Gewaltkomponenten, ohne den abermaligen Nachweis, daß die amerikanische Polizei eine rassistische Veranstaltung ist (das taugt weder als Differenz- noch als Symbolkriterium für eine evident rassistische, auf Genozid und Sklaveei gegründete Gesellschaft) und ohne Zwang, eine »Kriminalhandlung« durchziehen zu wollen, hätte beim Coup der Berdache vielleicht eine geschickt erzählte, mit echten Figuren belebte Geschichte aus New York City (das hier New Leyden heißt, aber bis ins topographische Detail NYC ist) herauskommen können. Roes hat gute Einfälle: Die Handlung angelehnt an die Route des berühmten A-Train als Längsschnitt durch New York zu strukturieren, die Polyphonie der Erzählung durch Seiten-Splitting optisch zu präsentieren, die blitzschnellen Perspektiv- und Figurenwechsel auch mitten im Satz - das weist ihn als narratives Talent aus. Aber die Neigung, nicht nur in ethnologicis, sondern auch mit Alltagsplatitüden breit didaktisch zu klotzen, macht den Roman auch technisch leblos und steif konstruiert.
Michael Roes: Der Coup der Berdache. Roman. Berlin Verlag, Berlin 1999, 491 Seiten, 44,- DM
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