Sonne, Surfer, Drogenkrieg

Triologie Don Winslow hat einen lässigen Roman über Habgier, nervöse Hippies und harte Drogen geschrieben

Lado steht über der Leiche vom Doc./ Dann beugt er sich herunter, schlitzt dem toten Mann den Bauch auf, zieht seine Eingeweide heraus und formt aus dem Darm sorgsam das Wort/Papa.

Was hier typografisch wie ein Gedicht aufgemacht ist, mutet an wie eine Gräueltat aus einem der zig Banal-Schocker, die sich an allerlei Ekelkram weiden. Die Szene beschreibt jedoch eine gängige Kulturpraktik: Die „narcomensaje“ – ein im Kontext der mittelamerikanischen Drogenkartelle bei allen Beteiligten verständlicher Code von Tötungen und Verstümmelungen: Mit der Auslöschung eines Menschenlebens wird noch eine deutliche Botschaft kommuniziert.

Die Szene stammt aus dem neuen Roman von Don Winslow Kings of Cool, der die Vorgeschichte des (inzwischen von Oliver Stone als Savages verfilmten) Romans Zeit des Zorns erzählt. Die beiden Titel zusammen bilden eine Art Satyrspiel zu Winslows Opus magnum Tage der Toten. Alle drei Romane erzählen auf unterschiedliche Art vom „War on Drugs“, dem heuchlerischen, bestenfalls wirklichkeitsfremden Kreuzzug der Drogenuser-Nation Nr. 1, den USA, gegen die Hersteller- und Verteilerländer in Mittel- und Südamerika.

Mittendrin: Jules und Jim

Tage der Toten ist ein 700-Seiten-Epos mit einem riesigen Figurenensemble, einem Panorama über 30 Jahre blutiger Verflechtungen von Politik, Drogenhandel und informellem Kolonialismus; eine Chronik der schmutzigen Kriege, in denen Drogenkartelle, Geheimdienste und Regierungen mitmischen, die alle am stetigen Fluss von Drogen, Waffen, Geld, am Menschenhandel und an billiger Arbeitskraft interessiert sind. Und die gleichzeitig die politische Kontrolle über alles, was als „anti-amerikanisch“ gilt, behalten wollen. 30 Jahre, in denen Regierungen selbst die übelsten Dealer, in denen Kartelle auf ihren „plazas“ (ihren geografischen Einflusszonen) die ordnungspolitische Hoheit behaupten und ihrerseits in ultrabrutale Konkurrenzkämpfe verbissen sind. Winslows Story von einem Drogenfahnder und seinen Kartellrivalen endet in einem blutigen Kreislauf, in dem es „gut“ und „böse“ nicht einmal mehr als Grauzone gibt.

Tage des Zorns und Kings of Cool kann man sich als kleines Fenster in diesem Riesenpanorama vorstellen. Wie eine kleine Episode, die das große Drama beleuchtet. Ben, Chon und Ophelia sind coole Dealer und die Produzenten des besten Hydro-Grases in Südkalifornien. Sie leben in einer Art „Jules et Jim“- oder „Butch Cassidy & Sundance Kid“-Konstellation, einer heiteren Ménage-à-trois.

Als Figuren im puritanischen Amerika stellen die drei eine Provokation für den moralischen Mainstream dar, aber auch für die Genre-Literatur selbst, die sich mit rauchfreien family values an eine Konsenskultur angeschmiegt hat. Am Ende von Tage des Zorns sind die drei Freunde tot (oder: ziemlich wahrscheinlich tot – die Verfilmung von Oliver Stone bietet zwei alternative Endings an). Die drei waren dem Expansionsdrang des Baja(-de-California)-Kartells ins Gehege geraten, das – in Mexiko aus politischen Gründen unter Druck – nach Norden expandieren muss.

Aus Liebe wurde Krieg und Habgier

Kings of Cool hingegen geht zurück bis in die Sechziger. Der Roman erzählt die Vorgeschichte und rekonstruiert die kalifornische Drogenkultur aus ihren Anfängen in den seligen Hippie-Jahren.

Der Roman exemplifiziert, wie aus „...Love and Peace Krieg und Gewalt wurden, aus Idealismus Realismus und aus Realismus Zynismus und aus Zynismus Apathie und aus Apathie Egoismus und aus Egoismus Habgier, und die Habgier war gut …“. So spricht ein Alt-Hippie, der ein netter Psychoanalytiker geworden ist, aber auch Anteilseigner einer florierenden Drogenfirma – seine Entscheidungen stellen mitunter Todesurteile dar. Winslow fächert in den Familien- und Jugendgeschichten von Ben, Chon und O auf, wie die Ökonomien beiderseits der Grenze zusammenhängen. Eine Grenze, die nicht nur eine Staatsgrenze ist, sondern ein Graben zwischen Arm und Reich. Die USA profitiert von allem, was in Mexiko passiert, und die Chance der Mexikaner ist, sich mit schierem Terror an dieser Nahtstelle einzuklinken, weil nur der Profit wirklich eine Rolle spielt.

Winslows wütende Bücher blicken – natürlich – von Norden nach Süden, sie sind aber auch Teil einer regionalen Literatur, auf deren Südseite Autoren wie Gabriel Trujillo Muñoz, Daniel Sada oder Juan Pablo Villalobos stehen, was nicht heißt, dass die mexikanischen Texte zu anderen Diagnosen kommen, vielleicht zu anderen ästhetischen Lösungen.

Wildes Stakkato

Nach dem epischen Wurf Tage der Toten verfeinert Winslow in Kings of Cool seine anti-epischen, literarischen Methoden. Noch mehr als in Tage des Zorns zersplittert er die Erzählung in Mini-Kapitel, arbeitet mit ähnlichen Mitteln wie die Konkrete Poesie, pflegt nicht nur in der Figurenrede, sondern durchgängig eine ironisch-sarkastische Mündlichkeit, inklusive aller möglichen Abschweifungen und Anspielungen. Das sind meist Kontextsplitter der jeweiligen Zeiten, die kulturhistorisch präzise stimmen. Zwar wird der „allwissende Erzähler“ explizit negiert („die Vorstellung von einem allwissenden Erzähler ist doch sowieso für den Arsch, oder?“), aber deswegen turnt das Erzählen nicht auf postmodernen Meta-Ebenen herum.

Winslow erzählt die „Geschichte des südkalifornischen/mittelamerikanischen Drogen-Kulturraumes“ mit allen Komplexionen, Nuancen und Dynamiken so intensiv und genau an sein Personal gebunden, dass sich aus dessen unterschiedlichen Befindlichkeiten und Biografien (Chon, der gewaltbereite Prolo; O, das arme reiche Mädchen aus dysfunktionalen Verhältnissen; der „Denker“ Ben mit jüdisch-intellektuellem Background) ein ernst zu nehmender Beitrag ergibt. Zum Beispiel zur Mentalitätsgeschichte der Hippie-Bewegung, zur Sozialgeschichte von Familie (die immer dann mitspielt, wenn die Konzepte von biologischer und habitueller Familie wie Mafia, Kartell oder Militär gegeneinanderstehen) oder zur Wirtschaftsgeschichte. Winslow beschreibt blendend, wie Drogen-, Immobilien- und Börsenmärkte organisch zusammenhängen. All das zusammengenommen ist dann natürlich auch Politikgeschichte.

Es sind diese Komponenten, die quecksilbrig durch Winslows kleinteilige Erzählstrukturen fließen und am Ende das große Ganze formen. Kings of Cool ist ein schillerndes kalifornisches Genre-Bild, eine feine, unkonventionelle Liebesgeschichte, ein Plädoyer für sinnvollen, eine Warnung vor bösem Drogenkonsum. Er ist ein düsteres Mosaiksteinchen kulturellen Wandels. Literarisch, aber keinesfalls nur fiktiv.

Kings of Cool Don Winslow (Conny Lösch, Übers.) Suhrkamp 2012, 349 S., 19,95 €

Thomas Wörtche ist Literaturkritiker. Er sitzt in der Jury der Zeit -Krimibestenliste und ist Herausgeber von Culturmag/Crimemag

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