Warnung vor dem Imperium

Kollateralschaden Alex Goldfarb und Marina Litwinenkos zwiespältiger Politthriller: "Tod eines Dissidenten. Warum Alexander Litwinenko sterben musste"

Wir erinnern uns noch bestens: Im November letzten Jahres gingen die Bilder von einem deutlich moribunden russischen Ex-Agenten um die Welt, der in London irgendwie einem Attentat mit nuklearen Substanzen erlegen war. Das Ganze wirkte reichlich bizarr, Verschwörungstheorien blühten auf, von einer Miniatur-Atombombe war gar die Rede, seltsame Geheimdiensttypen tauchten auf und wieder ab. Ratlosigkeit allenthalben. Haften blieb ein Bild: Ein offensichtlich sterbender, grotesk geschminkter Mann im Krankenhaus, umgeben von Hightech-Medizin, der seltsam gelassen in die Kameras blickt.

Die Rede ist von dem "Fall Alexander Litwinenko". So hieß der Ex-Geheimagent, der einst in Diensten der KGB-Nachfolgeorganisation FSB stand, und der in den Machtkampf zwischen Putin und Putin-Kritikern geraten war. Schon damals wunderte man sich nicht nur über die unglaublich aufwändige Mordmethode - Litwinenko war mit Polonium-210 kontaminiert worden, einem hochkomplexen, extrem teuren und sehr seltenen Isotop, wo es doch einfaches, konventionelles Ermorden durch Erschießen etwa auch getan hätte. Man wunderte sich auch, warum so eine kleine Nummer im Großen Spiel so prominent beseitigt werden musste.

Aufklärung verspricht der publizistisch wohl unvermeidliche "Schnellschuss", der das Thema köcheln muss, so lange es noch irgendwie in der Erinnerung eines breiten Publikums wabert. Alex Goldfarb und Marina Litwinenko, die Ehefrau des Opfers, haben innerhalb von ein paar Monaten unter dem deutschen, vom englischen Originaltitel interessant abweichenden Titel Tod eines Dissidenten. Warum Alexander Liwinenko sterben musste auf über vierhundert Seiten ihre Theorie über den Mord und seine Hintergründe aufgeschrieben.

Mit aller gebotenen Vorsicht, mit aller Betonung des subjektiven Faktors, aber dennoch mit einer deutlichen Tendenz: Putin und der Kreml räumen unter Dissidenten aller Couleur auf. Der ehemalige KGB-Mann Putin kann keine Illoyalität dulden, deswegen muss der systemkritisch gewordene Ex-KGB-Mann Litwinenko sterben, womit gleichzeitig Putins Intimfeind Boris Beresowski eine empfindliche Lektion erteilt wurde, gehörte doch Litwinenko zu der Entourage des Oligarchen.

Hier tritt die neben Putin zweite Hauptfigur auf: Boris Beresowski, beinahe das fleischgewordene Klischee des während der Perestroika großgewordenen Milliardärs irgendwo auf der dünne Linie zwischen Big Business, Organisiertem Verbrechen und Philantropie. Bereskoswki gehörte zu der Gruppe von Finanz- und Medienleuten, die Jelzins zweiten Wahlkampf 1996 sponsorten; die dann, während der Präsident allmählich körperlich verfiel, die Geschäfte des Kremls dominierten, dabei den Einfluss der altkommunistischen Militärs und Geheimdienste zu dämmen versuchten, und dabei beträchtliche Macht ausübten.

Beresowski gehörte auch zu der Gruppierung, die sich Putin als vermeintlich schwachen und konturlosen Nachfolger von Jelzin ausguckte, in der Hoffnung, ihn leicht am Gängelband führen zu können. Doch alle hatten Putin unterschätzt. Jelzins Sündenfall, der außer Kontrolle geratene Tschetschenienkrieg, war für Putin das ideale und sehr populäre Thema, sich als Hardliner und wahrer Patriot zu gerieren. 9/11 kam ihm gerade recht, weil er von Bush freie Hand für seinen eigenen war against terror bekam.

Beresowski hingegen hatte gleich am Anfang der Präsidentschaft versucht, Putin die Instrumente zu zeigen, als seine, damals noch von ihm beherrschten Medien, den amtsunerfahrenen Jungpräsidenten während des Kursk-Debakels verheerend aussehen ließ. Auch diese Bilder haften vermutlich noch: Die weinenden Angehörigen der Seeleute des auf den Grund der Barentssee gesunkenen Atom-U-Boots, die zunächst untersagten Rettungsaktionen der Briten und Norweger - und der währenddessen fröhlich wasserskifahrende und grillende Putin. Das tat weh!

Außerdem kritisierte Beresowski zunehmend laut den Tschetschenienkrieg als Völkermord, unterstützte zudem die These, dass der FSB die traurig-berühmten Bombenanschläge auf Moskauer Wohnhäuser verübt und dann den Tschetschenen in die Schuhe geschoben habe, und dass selbst die Geiselnahme mit anschließendem Massaker in einem Moskauer Theater eine Diskreditierungsaktion des FSB gewesen sei. Kurz: Beresowski unternahm alles, um Putin gegen sich aufzubringen. Sein getreuer Gefolgsmann Litwinenko, der durch seine Geheimdiensttätigkeit immer wieder in schwere moralische Krisen gestürzt war und in Beresowski einen verständnisvollen Mentor gefunden hatte, wurde, so letztendlich die These von Goldfarb/Litwinenko, zum nicht ganz unabsichtslosen Kollateralschaden mit Show-Effekt.

Wenn´s ein Polit-Thriller wäre, wäre es ein ganz wunderbarer Polit-Thriller nach der Formel life is stranger than fiction. Gute Polit-Thriller richten sich nach der Wirklichkeit - die Wirklichkeit, die Goldfarb/Litwinenko ausbreiten, ist nach den vermeintlich formalen Maßgaben eines Polit-Thrillers erzählt. Selbst die Aufmachung des Buches mit den vorangestellten dramatis personae folgt einem beliebten und bekannten Genre-Muster. Dann kommt ein Prolog, dann geht´s chronologisch zurück, bis die erzählte Zeit die Jetztzeit wieder erreicht. Alles ganz klassisch.

Alex Goldfarb, Naturwissenschaftler, zu Sowjetzeiten Dissident, jetzt amerikanischer Staatsbürger und heute Chef der "International Foundation for Civil Liberties" ist natürlich Partei. Diese Stiftung mit Sitz in New York ist eine Gründung von Beresowski, außerdem hatte Goldfarb lange Zeit für einen anderen Putin-Gegner, für George Soros gearbeitet, bis der sich wiederum mit Beresowski wegen dessen zwielichtigen Geschäften überworfen hatte. Goldfarb macht aus dieser Parteilichkeit keine Sekunde einen Hehl. Deswegen stößt um so merkwürdiger auf, dass die Namen des russischen Unternehmers Michail Chodorkowski und seines Konzerns Jukos zum Beispiel im ganzen Buch nicht auftauchen, und auch der des russischen Generals und Präsidentschaftskandidaten Alexander Lebed anscheinend - laut dramatis- personae-Liste- noch lebt, und nicht 2002 bei einem mysteriösen Hubschrauberunfall ums Leben kam. Schlamperei oder Zufall?

Zumindest das lauthalse Weglassen der Jukos-Affäre, die doch wahrlich ein ganz zentraler und wichtiger Kontext für die sehr polyvalente Rolle der Oligarchen im neuen Russland ist, macht nachdenklich. Schließlich wurde auch Chodorkowski von Putin eiskalt aus dem Weg geräumt und von Bereskowski gestützt. Hier fehlt ein deutliches Verbindungsglied und das stößt übel auf. Nicht, weil deswegen Putin in einem anderem, besseren Licht erscheinen könnte, wahrlich nicht. Sondern weil solche journalistischen, semifaktischen Sachbücher mit einem starken Anteil von Narration immer ein mulmiges Gefühl hinterlassen. Überprüfen können wir die wenigsten der dargestellten Sachverhalte - gnädigerweise deprimiert uns das Buch auch nicht mit ellenlangen Auflistungen von Quellen, an die wir als LeserInnen sowie nie herankommen könnten. Das könnten überhaupt nur eine Handvoll Spezialisten, und wenn gute Geheimdienstarbeit geleistet wurde, dann noch weniger. Das ist nun einmal das Kriterium guter Geheimdienstarbeit. Also müssen wir, um überhaupt eine Chance gegen 400 Seiten Auslegung und Interpretation von Zeitgeschichte zu haben, uns an die innere Plausibilität der Narration, flankiert durch ein paar Kontextchecks, halten.

So, wie Goldfarb/Litwinenko uns die Geschichte erzählen, hat sie, zumindest was die Dynamik eines macchiavellistischen Politikers wie Putin, der noch lange einen Statuette des sowjetischen Geheimdienstgründers und Scheusals Felix Dschersinski auf den Schreibtisch stehen hatte, eine gewisse Plausibilität. Ausschaltung von Opposition, Bedrohung, Einschüchterung, Terror gehören zum Handwerkszeug von Politik. Historisch und systemisch.

Was an dem Buch jedoch hochgradig unplausibel erscheint, ist die Zeichnung des Opfers Alexander Litwinenko. Ein gelernter Geheimdienstler, der plötzlich moralisches Fracksausen bekommt, weil eine Aktion seines Dienstes gegen Gesetze verstößt? Ein Spezialist für Organisiertes Verbrechen, der glaubt, dieses ließe sich von einem archimedischen Punkt aus interesselos bekämpfen und besiegen? Ein mit allen Wassern gewaschener "operativer Aufklärer", der eine oszillierende Gestalt wie Beresowski für einen reinen Menschenfreund hält? Da knirscht es ganz gewaltig im Konsistenzgebälk des Buches, und man kann sicher sicher sein, Alex Goldfarb, der das ganze Buch in Ich-Form erzählt, weiß das. Denn im Grunde interessiert ihn Alexander Litwinenko vermutlich gar nicht so sehr, kommt er doch schon rein qualitativ nicht allzu häufig in dem Buch vor. Marina Litwinenko, so ist zu fürchten durfte nur als Authentizitätsgarantie mit von der Partie sein.

Goldfarb interessiert eine bestimmte Perspektive auf die russische, postsowjetische Politik. Die glänzend zu vermitteln gelingt ihm über weite Strecken, weil seine Erzählstrategie packend und spannend ist. Und es interessiert ihn ganz gewaltig, den Westen vor Wladimir Putin, dem "modernen Stalin", und seinem neuen Imperium zu warnen. Selbst wenn man diese paranoide Charakterisierung von Elena Bonner nicht teilt, kann man daran, letztendlich, nach Abzug aller Parteilichkeiten und mit gehörigem methodischem Zweifel betrachtet, nichts Falsches finden.

Alex Goldfarb/Marina Litwinenko: Tod eines Dissidenten. Warum Alexander Litwinenko sterben musste. (Death of a Dissident. The Poisoning of Alexander Litwinenko and the Return of the KGB. 2007) Deutsch von Violeta Topalova. Hoffman und Campe, Hamburg 2007, 428 S., 19,90 EUR


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