Die Ein-Frau-Partei

Wagenknecht Mit dem „Bündnis Sahra Wagenknecht“ wählt die Politikerin eine Form, die sich vor allem an rechten Neugründungen orientiert. Mit gemischten Erfolgsaussichten.

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Ein Name, eine Frau, eine Partei: „Bündnis Sahra Wagenknecht“, kurz BSW, soll die neue Formation heißen und identifiziert damit die noch gar nicht gegründete Partei mit ihrer bekanntesten und einzigen Führungspersönlichkeit. Das ist nur konsequent: Wer Wagenknecht wählt, bekommt Wagenknecht – und nichts anderes. War in den vergangenen Monaten viel über die Programmatik und Ideologie der früheren Kommunistin geschrieben worden – ihren linken Nationalismus, ihr Bekenntnis zum „Linkskonservatismus“ und die Frage nach der Querfront, so soll die Namensgebung all das wieder in den Hintergrund rücken. Linke sollen sich von Begriffen wie „konservativ“ nicht abschrecken lassen, und wer mit „links“ nichts anfangen kann, darf Wagenknecht trotzdem wählen, so die Logik. Alle sind willkommen, solange sie das Label Wagenknecht unterstützen.

Dass Parteien so stark auf eine Person ausgerichtet sind, dass sie nach ihr benannt werden, ist in der modernen europäischen Demokratie gar nicht so selten – vor allem in den letzten Jahrzehnten. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte noch die Stunde der großen Parteifamilien geschlagen, die in langen politischen Traditionen standen, gesellschaftlich verankert waren und ein breites personelles Angebot unterbreiteten. Das änderte sich im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts. Während es den Großen immer schwerer fiel, ihre soziale Verankerung zu bewahren und ihre breite Wählerschaft zusammenzuhalten, gründeten sich überall in Europa neue Formationen mit dem Anspruch, alles anders zu machen als die alten, „weder rechts noch links“ zu stehen. Was dabei an Tradition und Parteistrukturen fehlte, das sollte die Prominenz und persönliche Ausstrahlung ihrer Führungsfigur wettmachen.

In Dänemark und Norwegen gründeten Anfang der 70er Jahre die beiden „Steuerrebellen“ Mogens Glistrup und Anders Lange neue Parteien, die ganz von der Prominenz ihrer Anführer lebten. Letzterer nannte seine Formation einfach „Anders Langes Partei“. Beide – Glistrup und Lange – gelten heute als Gründerväter des nordischen Rechtspopulismus und etablierten mit ihrer Personalisierung ein erfolgreiches Muster politischer Organisation: In den Niederlanden eroberte die „Lijst Pim Fortuyn“ 2002 aus dem Stand einen Platz am Kabinettstisch und ihr politischer Erbe, die Partei von Geert Wilders, hat genau ein Mitglied – ihn selbst. Auch in Deutschland gründete „Richter Gnadenlos“ Ronald Schild 2001 eine Partei, die öffentlich nur als „Schill-Partei“ in Erscheinung trat – und bei der Hamburger Bürgerschaftswahl auf Anhieb 19 Prozent der Stimmen holte. Der Name „Bündnis Sahra Wagenknecht“ ruft aber auch Erinnerungen an das 2005 gegründete „Bündnis Zukunft Österreich“ wach, das bei Wahlen auch als „Liste Jörg Haider“ antrat. Das Prinzip war so einflussreich, dass ein anderer schneidiger Österreicher wenige Jahre später die traditionsreiche ÖVP übernahm – und sie auf dem Wahlzettel als „Liste Sebastian Kurz“ präsentierte.

Die Ein-Personen-Partei ist zwar meist, aber nicht immer ein rechtes Phänomen. Auch das zeigt unser Nachbarland: Nachdem er 2017 einen aussichtsreichen Listenplatz verpasst hatte, trat der österreichische Grüne Peter Pilz bei der Nationalratswahl 2017 prompt mit einer eigenen „Liste Peter Pilz“ an – und nahm seiner Ex-Partei den Platz im Parlament weg. Der Parteigründer trat so selbstbewusst auf, dass er auf ein Parteiprogramm verzichtete: „Das machen wir nicht, bei uns sind die Personen die Programme“. Ganz ähnlich trat Emmanuel Macron auf, der seiner Partei „En Marche“ bewusst seine eigenen Initialen verpasste – und dabei den Anspruch vertrat, das etablierte Links-Rechts-Schema der französischen Politik über den Haufen zu werfen.

All diese Parteien profitierten sehr stark von der Konzentration auf eine Person: Indem diese den Kurs vorgab, wurde die Gefahr von Programmdebatten und Flügelkämpfen verkleinert, wenn auch nicht ausgeräumt. Vor allem aber wirkt die Personalisierung nach außen: wie Wagenknechts neue Partei waren auch Glistrups, Fortuyns und Wilders Parteien in hohem Maße Medienprodukte, die auf der medialen Präsenz ihrer Gründer basierten. Wer immer mit den bekannten Fernsehgesichtern sympathisierte, war eingeladen, sie zu wählen – ohne Rücksicht auf Lagergrenzen oder ideologische Bekenntnisse. Dass Wagenknecht nun gewillt ist, neben langjährigen Mitstreiterinnen aus der Linken auch Unternehmer und andere Persönlichkeiten ohne Parteivergangenheit einzubinden, passt zu dieser Strategie: die Partei beruht auf dem Anspruch, die etablierte Politik zu transzendieren und sich vermeintlich unpolitischen Sachverstand und „Vernunft“ aus der Gesellschaft zu holen. So kann die Partei als Kritikerin „der Politik“ in Erscheinung treten, die als ideologiegeleitet und unvernünftig dargestellt wird. Mustergültig machte das der österreichische Industrielle Frank Stronach vor: dessen 2012 gegründetes „Team Stronach“ war mehr politisches Start-Up mit rascher Wachstumsstrategie als eine politische Partei mit nachhaltigem Programm, und lebte in erster Linie vom Erfolgsnimbus ihres Gründers.

So erfolgreich all diese Projekte zunächst waren, so selten war ihr Erfolg von langer Dauer. Aus den nordischen Protestparteien sind in der Tat langfristige Parteien entstanden, die sich aber erst nach, und teils gegen, ihre Gründer etablieren konnten. Öfter aber gilt, dass Ein-Personen-Parteien mit ihrer Führungsfigur stehen und fallen. Wenn diese in Nöte gerät, ist die Partei schnell Geschichte. Nur wenige Wochen nach seinem Wahlerfolg musste sich Peter Pilz 2017 Vorwürfen der sexuellen Belästigung stellen, trat zurück und hinterließ eine führungslose Partei. Heute existiert sie nicht mehr. Weder die „Lijst Pim Fortuyn“ noch Haiders BZÖ konnten den Tod ihres Gründers überleben, und Frank Stronach verlor bald selbst die Lust an der Politik und beerdigte seine Partei, teils gegen den Willen ihrer Parlamentsvertreter. Ob Macrons „Renaissance“-Gruppe nach dessen Präsidentschaft weiterbestehen wird, bleibt abzuwarten. Die Frage stellt sich: Wozu eigentlich? Denn danach steht sicher schon die nächste Ein-Personen-Partei bereit, um die Nachfolge anzutreten.

Was also bringt uns das Bündnis Sahra Wagenknecht? Sein Erfolg ist keineswegs ausgemacht, langfristig noch weniger als in der kurzen Frist. Die historischen Beispiele zeigen aber eines: Auch kurzlebige Ein-Personen-Parteien hinterlassen einen politischen Fußabdruck, der nicht zu vernachlässigen ist. Besonders deutlich wird das mit Blick ins östliche Europa, wo solche Formationen noch verbreiteter sind als im Westen, auch weil sich nach 1989 keine annähernd so stabilen Parteiensysteme etablieren konnten. Während linke und rechte Regierungsparteien in der Bevölkerung viel Unzufriedenheit produzierten, erzielt bei jeder Wahl ein neuer Unternehmer, Rockstar oder politischer Hasardeur seine Erfolge – und zieht sich wenig später wieder zurück. Zwar gehört die Gründung neuer Parteien in Demokratien zur Normalität und trägt dazu bei, das politische Angebot zu erweitern; den politisch Enttäuschten wird eine neue Alternative geboten. Nicht selten produzieren aber Ein-Personen-Parteien ihrerseits nur mehr Enttäuschung: Wenn sie Wählerinnen und Wählern ernsthafte Alternativen versprechen, tatsächlich aber als Kurzfrist-Projekte und Vehikeln persönlicher Eitelkeiten fungieren, können sie zum Legitimationsverlust demokratischer System beitragen. Von den oft verheerenden Folgen ihrer Politik ganz abgesehen.

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