Clubs, Kneipen, Plattenläden

HAUPTSTADT-BOHEME Ein Buch über die Berliner Kultur szene der 90er Jahre

Der Titel klingt modisch, eigentlich ein bisschen zu modisch. Das Buch Metroloops von Claudia Wahjudi beschreibt die Innenperspektive der Kulturszene im Berlin der 90er Jahre, und der Titel legt die Befürchtung nahe, dass die Autorin in ihrem Buch dem Berlin-Hype Futter geben will, der seit zehn Jahren durch die bundesdeutschen Medien geistert. Aber um es vorwegzunehmen: in Wahjudis Buch geht es nicht darum, die gegenwärtige Hauptstadt-Euphorie abzumelken. Auf relativ nüchterne Weise schildert die Autorin, die als Redakteurin der Stadtzeitung zitty einen überdurchschnittlichen Einblick in die Berliner Szene hat, was sich hier in den letzten zehn Jahren an unabhängiger Kultur entwickelt hat. Aufgehängt an knapp zwei Dutzend Clubs, Kneipen, Plattenlabels, Galerien, Vereinen und Kunstprojekten beschreibt Wahjudi das Innenleben dieser Szene. Manchmal sind ihre Skizzen zu sehr ins journalistische Detail vernarrt. Aber dann schreibt sie wieder Sätze, für die man sie ob ihrer Genauigkeit küssen möchte, wenn es etwa über eine Kneipe in Mitte heißt: »Eine Wendeltreppe führt ins Basement... Auf dem Klo brummt die Lüftung.« Stimmt genau! Immer liegen die Toiletten im Keller. Und immer brummt dort ein Ventilator!

Die große Qualität von Metroloops sind die minutiösen Beschreibungen von Großstadt-Alltag, der ja sonst eine Tendenz hat, sich unbemerkt und ungeschildert zu verflüchtigen. Da die deutschen Gegenwartsschriftsteller derzeit mit Wichtigerem beschäftigt sind, als ihre alltägliche Umwelt zu beschreiben, ist es gut, dass das mal jemand getan hat. Wirklich interessant wird Metroloops gerade da, wo die Autorin ganz normalen Boheme-Alltag festhält. Zum Beispiel das Essen: »Spagetti. Nasi Goreng. Lasagne. Risotto. Maultaschen für 1,20 das Stück, dazu Rührei und Salat. Mozarella mit Tomaten. Hühnchen süßsauer vom Imbiß. Die Pizza vom Lieferdienst bläht den Bauch. An Sonntagen brät jemand thailändische Ente in scharfer Kokossoße. Dann geht es wieder von vorn los: Spagetti, Nasi Goreng, Lasagne. Peter ist sich nicht sicher, ob er sich bei sich über das ewig gleiche Essen beschweren oder froh sein soll, dass er überhaupt etwas kocht. Schnell muss es gehen: Pellkartoffeln mit Quark oder ein Stück Fisch. Praktisch sind deshalb Gerichte, deren reichliche Reste sich am nächsten Abend aufwärmen lassen. Tags stehen Brot, Butter und Marmelade viele Stunden auf dem Küchentisch.« So sieht es aus, das Leben im Bohemia der 90er Jahre: schnell, billig, unexzessiv, aber sättigend, vitaminreich und gesund.

Egal, ob Wahjudi Dresscode und Trinkgewohnheiten in der Kreuzberger Kneipe »Ankerklause« beschreibt, die Finanzen einer Zweier-Beziehung vorrechnet, von den Überlegungen von Künstlerinnen zum Thema Kinderkriegen oder von den Berliner Umzugsrituale erzählt, immer gelingen ihr detailgenaue, erlebnisnahe Beschreibungen. Auch dass jemand Neuberliner Vokabeln wie die »kulturelle Zwischennutzung« in ein Buch geschmuggelt hat, ist eine tolle Sache. Um nicht am Nur-Faktischen kleben zu bleiben, hat die Autorin zwischen die Beschreibungen der Berliner Projekte Kapitel über halb-fiktive Personen eingefügt: die ewige Doktorandin, die Nachwuchskünstlerin, der Akademiker am Beginn einer unsicheren Uni-Karriere. Ab und zu erkennt man sich in diesen Gestalten wieder, und es ist bestimmt kein Zufall, dass diese halb-belletristischen Teile des Buchs die reportagehaften Kapitel stilistisch weit übertreffen. Mit seinen verdichtenden Milieu-Schilderungen steht Metroloops in einer Tradition nicht-akademischer Berliner Sozialgeschichtsschreibung, die sich mindestens bis zu Hans Ostwalds Großstadtdokumenten zurückverfolgen läßt. Ein Manko des Buchs ist sein etwas eingeschränkter Kulturbegriff. So fehlt zum Beispiel der »Karneval der Kulturen«, der zweifellos die größte Graswurzel-Organisation der Stadt ist. Auch die Kultur der Berliner Schwulen und der Migranten ist in Metroloops nicht vertreten, obwohl zum Beispiel der von schwulen Türken betriebene Bubenhupf »Salon Oriental« im SO 36, die zahlreichen Reggae-Soundsystems der Stadt oder das Kreuzberger Jugendprojekt »Yaam« wegen ihrer Organisationsprinzipien eigentlich gut in den Kontext des Buches gepasst hätten.

Claudia Wahjudi: Metroloops - Berliner Kulturentwürfe, Ullstein Metropolis, Berlin 1999, 186 Seiten, 22 Mark

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden