Warum Kim Sum über Linkshänderinnen schreibt

Interview. Eine der bekanntesten südkoreanischen Autorinnen, Kim Sum, las aus ihrer preisgekrönten Erzählung im Brost-Musikforum zu Bochum. Sie erklärte, warum sie Bochum mag.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Ein Gespräch mit einer der bekanntesten südkoreanischen Autorinnen, Kim Sum, im neuen kulturellen Wahrzeichen der Stadt Bochum, dem Anneliese Brost Musikforum Ruhr, über Preise, linkshändige Menschen und die Regierungskrise in dem ostasiatischen Land. Kim Sum, Jahrgang 1974, erhielt 2015 den bedeutendsten Literaturpreis Südkoreas und kam eigens für eine Lesung, die von der Ruhr-Universität Bochum und dem „Literature Translation Institute of Korea“ veranstaltet wurde, nach Bochum.

Wussten Sie, dass, wenn man Ihren Namen ins deutsche Google eintippt, auf Restaurants verwiesen wird?

Kim (lacht): Nein. Ich google mich auch selber nicht. Schon gar nicht auf Deutsch.

Sind Sie Linkshänderin?

Kim: Nein.

Was bewegte Sie, Ihre Erzählungen „Die linkshändige Frau“ zu schreiben?

Kim: Ich habe über Sigmund Freund, den großen Psychoanalytiker, gelesen und ein Seminar besucht. Die Stellen über Kastration haben mich sehr interessiert. Generell sind Körperteile, besonders Hände, interessant für mich. In Korea war es lange Zeit verpönt, linkshändig zu sein. Man wurde regelrecht umerzogen. Dagegen wollte ich ein Statement setzen und für die Freiheit, so zu sein, wie man ist.

Eine weitere Idee war auch, diejenigen Menschen zu beschreiben und ihnen eine andere Wertschätzung zu Teil werden zu lassen, die monotone Handarbeiten noch in unserer hoch technologisierten Welt verrichten. Der Wert der Arbeiter in der heutigen Zeit wird oft zu gering geschätzt.

Haben Sie sich von Peter Handkes 1978 erschienen Debütroman, der den selben Titel trägt wie ihre preisgekrönte Erzählung, inspirieren lassen?

Kim: Ich las das Buch, freilich. Den Titel mochte ich sofort. Es sind aber total verschiedene Themen. Ich bin sicher nicht beeinflusst, jedoch räume ich ein, dass die Frau bei Handkes Roman mich gleich interessiert hat. Vielleicht ist meine linkshändige Frau eine Projektion von Handkes. In meiner Erzählung liest die Linkshänderin auch Handkes Roman. Er liegt ja bei ihr auf dem Tisch.

Inwieweit trifft Ihre Erzählung den Zeitgeist im aktuellen Korea?

Kim: Meine Romane sind, so sehen es die Rezensenten jedenfalls, schon gesellschaftskritisch. Sie werden also schon so wahrgenommen. Ich behandele gerne gesellschaftliche Probleme wie die Alterung der Gesellschaft, die Vereinsamung in Zeiten einer rasanten Globalisierung, die Abwertung von Menschen, die anders sind als der Mainstream und die Rolle der Frau. Mein aktueller Roman „Trost-Frauen“ handelt über ein dunkles Kapitel während der japanischen Besatzung bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs – der Zwangsprostitution. Ein Thema, welches viele alte Frauen, noch immer beschäftigt – es redet aber keiner darüber. Und eine Stimme haben sie schon gar nicht.

„Ich mag die reine Luft in Bochum“

Themenwechsel: Wie finden Sie Deutschland? Sind Sie zum ersten Mal hier?

Kim: Ja, ich bin zum ersten Mal in Bochum, in Deutschland und auch in Europa. Es ist eine besondere Erfahrung für mich. Ich fühle mich hier wohl. Obwohl man mir sagte, dass das Wetter in Deutschland nicht gut sei. Gestern schien aber die Sonne und es war angenehm. In den USA habe ich mich nicht so wohl gefühlt. Der Lebensrhythmus ist in Deutschland meiner Ansicht nach langsamer, entspannter. Ich mag diese Langsamkeit. In Korea wird alles schnell gemacht, das ist sehr anstrengend. Außerdem ist die Luft hier in Bochum sehr rein.

Sie haben eine lange Liste an Literaturpreisen. Wie wichtig sind Ihnen Preise?

Kim: Ich empfinde immer viel Dankbarkeit, wenn ich Preise bekomme. Es ist zugleich auch ein Ansporn für mich – moralisch und finanziell.

Haben Sie Vorbilder? Literaten? Deutsche Autoren?

Kim: Leo Tolstoi ist sicherlich jemand, zu dem ich hochschaue. Aber auch der deutsche Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Winfried Georg Sebald. Beide Autoren zeichnen sich für mich durch ihre Reflexionsstärke über sich und die Natur aus. Das mag ich.

Zum Schluss noch eine Frage zur aktuellen Lage in Ihrem Land: Versinkt Südkorea in schwierige, vordemokratische Zeiten angesichts der Regierungskrise, den landesweiten Massenprotesten und der Forderung nach einem Rücktritts der aktuellen Präsidentin Park sowie einer ständigen Bedrohung durch den Nachbarn Nordkorea? Dazu kommt noch, dass die großen südkoreanischen Firmen, die Chaebol, wie Samsung, LG oder Hyundai, stark schwächeln?

Kim: Ja, ich sehe ein Südkorea, das unter einer Depression, einer Epidemie gar, leidet. Seit fünf Wochen gibt es Proteste in ganz Korea, mehr als zwei Millionen demonstrieren gegen das politische System und Präsidentin Park. Das Bewusstsein der Bevölkerung ist demokratischer als von denen, die zu den Eliten gehören und über Macht verfügen. Die Politiker und Wirtschaftsbosse sind zu rückständig und sind eigentlich kaum an Partizipation und Mitbestimmung interessiert. Es werden nur diejenigen überbleiben, die ihr Bewusstsein in Richtung Demokratie verändern – nach den Protesten. Wir befinden uns, ja, das stimmt, in einer Krise, die uns aber schlussendlich wieder einen Schritt voranbringen wird. Da bin ich mir sicher.

Tintenfisch ist Journalist bei Deutschlands größter Regionalzeitung.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden