„Ich sag Ihnen mal, was läuft“

Europa Martin Schulz ist kein Mann der leisen Töne. Nun will er als dessen neuer Präsident das EU-Parlament gegen die Regierungschefs profilieren

Zugegeben, die Vorstellung amüsiert: Martin Schulz als graue Eminenz der EU-Volksvertretung, vermittelnd zwischen streitenden Abgeordneten in Brüssel oder Straßburg, die Kollegen in ruhigen, aber eindringlichen Worten an die Etikette des Hauses erinnernd, an die abgelaufene Redezeit. So, wie es in den vergangenen zweieinhalb Jahren sein Vorgänger tat, der zurückhaltende, stets honorig wirkende polnische Konservative Jerzy Buzek.

Schulz, der Dauer-Vorsitzende der sozialdemokratischen SPE-Fraktion, ist seit dieser Woche neuer Präsident des Europäischen Parlaments. Am Dienstag wählte ihn das Plenum mit 387 Stimmen ins Amt. Ausgerechnet, wird manch einer denken, denn bislang trat der 56-Jährige – nicht nur im Vergleich mit Buzek ein Freund lauter Worte – eher als Beteiligter verbaler Scharmützel denn als Integrator in Erscheinung. „Wenn das nicht begriffen wird, müssen wir darüber streiten“, sagte er dieser Tage in einem Interview. Ein Satz wie eine Signatur: Streiten ist ein Leitmotiv in der politischen Laufbahn des gelernten Buchhändlers aus Würselen bei Aachen.

Es beginnt mit seiner Art, sich am Rednerpult zu installieren – selbstsicher bis provokant. Gern lässt er zunächst eine dieser jovialen Phrasen fallen, etwa: „Ich will Ihnen mal sagen, wie das läuft.“ Während Schulz im rheinischen Singsang einen verbalen Parforceritt ablegt, vergräbt sich seine linke Hand in der Jacketttasche. Die rechte fährt derweil durch die Luft, als gebe es Kilometergeld dafür. Süffisantes Minenspiel quittiert die Zwischenrufe, die selten ausbleiben. Schulz ist ein Mann des offenen Wortes, seine Reden bleiben nie ohne Widerspruch aus dem Plenum.


Im europäischen Parlament ist er mit diesen Auftritten in knapp zwei Jahrzehnten zur Institution geworden. Lange Zeit war die EU- Ebene vielfach Karriere-Sprungbrett für Nachwuchspolitiker, Abstellgleis für Unbequeme oder Kulisse für verdiente Spitzenkräfte am Ende ihrer politischen Karriere. Nichts davon trifft auf Schulz zu, der 1994 erstmals gewählt wurde und nun auf dem Gipfel seiner Laufbahn ist. Auch wenn er seit Jahren in Vorstand und Präsidium der SPD sitzt. Europa ist kein Abstellgleis für ihn, sondern Zielbahnhof.

Es ist vielmehr ein Teil seiner Biografie, denn Schulz, der über zehn Jahre lang seine eigene Buchhandlung betrieb und bereits mit 31 Jahren Bürgermeister von Würselen wurde, ist ein Kind der Euregio – so nennt man inzwischen die Region im Dreiländereck. Rund zehn Kilometer waren es von seinem Elternhaus in die Niederlande, gut 20 nach Belgien. Der Grenzübertritt gehörte lange vor Schengen zum Alltag. Noch heute pendelt Schulz täglich zwischen EU-Parlament und seinem Zuhause. Geografisch war ihm Brüssel schon immer näher als Berlin.

Weil der mediale Fokus in Deutschland aber immer noch eher umgekehrt funktioniert, ist Schulz hierzulande vor allem für zwei Eklats bekannt. Silvio Berlusconi schlug ihm einst im Streit eine Filmrolle als KZ-Kapo vor, und der britische Euroskeptiker Godfrey Bloom nannte ihn im letzten Winter einen „undemokratischen Faschisten“, nachdem Schulz die Sonderrolle des Vereinten Königreichs angeprangert hatte. Mehr über Schulz selbst sagt die Episode aus dem Europawahlkampf 2009, als er den österreichischen Rechtsausleger Strache wegen seiner „brutalen Hetze gegen Minderheiten“ einen Nazi nannte und dies im ZDF „gerne öffentlich wiederholte“. Für Schulz geht es hier um Grundsätzliches: „Die Verteidigung der Werte, für die unser Europa steht und für die ich kämpfe“.


Diese Prinzipientreue will Schulz in seiner Präsidentschaft auf ein besonderes Ziel richten: Er hat sich vorgenommen, die Position des EU-Parlaments zu stärken – als Schauplatz der Demokratie und vor allem im Namen der Transparenz. „Im Parlament werden alle unsere Fragen diskutiert. Der Rat, die Kommission, Angela Merkel und Nicolaus Sarkozy, alle agieren hinter verschlossenen Türen. Wir müssen die Türen öffnen und den Bürgern zeigen, wer hinter den Entscheidungen steht“, fordert der Sozialdemokrat. Außerdem will er, dass das EU-Parlament als eine Institution wahrgenommen wird, in der die Abgeordneten nicht nur dazu da sind, die Gesetze einfach abzunicken, sondern über sie mitzubestimmen. Ein Anspruch, an dem allerdings schon viele Präsidenten vor Schulz gescheitert sind. Der wortgewaltige Fraktionschef der Sozialisten im EU-Parlament hat zumindest das rhetorische Potenzial, um als Gegengewicht zu den mächtigen EU-Regierungschefs wahrgenommen zu werden.

Denn gerade in der Krise ist die Gefahr für das EU-Parlament besonders groß, zu einer Schaubühne ohne politischen Einfluss zu werden, während Regierungschefs der Mitgliedsländer die geplante Fiskalunion unter sich ausmachen. Eine Aufgabe wie gemacht für den Idealisten Schulz, der in diesem Winter mehrfach vor der drohenden Marginalisierung der Abgeordneten warnte: „Die Unterhändler des Parlaments sind die Einzigen, die von den Eurozonen-Krisengesprächen ausgeschlossen wurden.“

Allerdings: Die Rolle des unkorrumpierbaren Kämpfers für Transparenz und Demokratie nehmen ihm nicht alle ab. Dennis de Jong, Europa-Abgeordneter der niederländischen Sozialisten, kritisiert die Absprache, nach der die Konservativen den Präsidentenjob im Wechsel mit den Sozialisten unter sich aufteilen. Recht hat der Mann: Denn schließlich gehören solche Absprachen zu der Art von Hinterzimmer-Politik, gegen die der neue EU-Parlamentspräsident nun zu Felde ziehen will.

Tobias Müller hat im Freitag 49/2011 über Brüssel als Wiege der europäischen Bürgergesellschaft berichtet

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