Europa im Herzen

Jean-Claude Juncker Der luxemburgische Politiker tritt als Chef der Euro-Gruppe endgültig ab. Im Rückblick werden die Europäer erkennen, was sie an ihm hatten
Künftig will sich Juncker ganz auf das Amt des Premiers konzentrieren
Künftig will sich Juncker ganz auf das Amt des Premiers konzentrieren

Foto: John Thys/AFP/Getty Images

Wolfgang Schäuble? Der französische Finanzminister Pierre Moscovici? Oder doch der EU-Währungs-Kommissar Olli Rehn? Angesichts der hitzigen Diskussion über seine Nachfolge scheint Jean-Claude Juncker bereits aus dem Blickfeld zu geraten. Doch ehe er seinen Posten als Chef der Eurogruppe tatsächlich geräumt hat, sollte man den luxemburgische Premier noch einmal genau betrachten. Denn der 58-jährige Anwalt steht für einen aussterbenden Politikertypus: Juncker hat Europa stets unerschütterlich verteidigt. Der Kontinent, so so drückt er das gerne aus, „gewinnt oder verliert zusammen“.

Angesichts des Zustands der EU wirkt sein Abschied zum Jahreswechsel nun wie das Ende einer Ära. Eigentlich aber beweist er einen längst vollzogenen Paradigmenwechsel. Denn das gemeinsame europäische Schicksal, das Juncker immer wieder beschwört und das er mit dem Erhalt der gemeinsamen Währung verknüpft, ist in der dauerkriselnden Union längst nicht mehr gesetzt. Sehr zu Junckers Verdruss: Nach dem Haushaltsgipfel Ende November monierte er, die Regierungschefs würden in Brüssel vornehmlich nationale Interessen vertreten und hätten „Zahlen im Kopf statt Überzeugung im Herzen“. Das Ergebnis: „Pfennigfuchserei“.

Vorwürfe an Merkel

Nicht viele in Brüssel können sich diesen Tonfall leisten. Wahrscheinlich bedarf es dazu eines Mannes wie Juncker, mit 17 Amtsjahren als luxemburgischer Premier der dienstälteste Regierungschef der EU und seit der Gründung der Eurogruppe 2005 quasi deren natürlicher Vorsitzender. In Berlin wird man Juncker eher wenige Tränen nachweinen. Denn mit seinen bedächtigen Worten formulierte „Mr. Euro“, der in Interviews einen kauzigen Charme an den Tag legt, ein ums andere Mal schwere Vorwürfe an die deutsche Regierung. Er hielt ihr vor, die Eurozone als Filiale zu behandeln und in Europa Innenpolitik zu betreiben. Im Streit über die Wirksamkeit von Eurobonds monierte er bei Angela Merkel „simples Denken“.

Es ist die Not, die Juncker so sprechen lässt. Nationale Ressentiments, analysierte er im Sommer, lägen auch mehr als 60 Jahre nach Kriegsende nur wenige Zentimeter unter der Oberfläche. Die Dringlichkeit seiner Warnungen vor einem Ende der Euro-Zone oder einem Ausstieg Griechenlands verwundert ein wenig, denn Juncker ist selbst erst nach dem Krieg, im Jahr 1954, geboren. Und doch ist er ein Euro-Saurier. Denn in den neunziger Jahren teilte er die kontinentale Bühne unter anderem mit Jacques Chirac und Helmut Kohl. Sein Abschied ist der eines Veteranen.

Aber auch zu Hause, im Großherzogtum Luxemburg, feiert der Christdemokrat ein Jubiläum: Er ist dort 30 Jahre in der Politik. Mit 28 Jahren begann Juncker als Staatssekretär im Arbeitsministerium, drei Jahre später übernahm er dort den Chefsessel. Zwischenzeitlich wurde sein Portfolio um den Posten des Finanzministers erweitert. Als solcher unterzeichnete er 1991 den Vertrag von Maastricht. 1995, mit gerade einmal 40 Jahren, folgte er Jacques Santer als Premierminister nach. Seither, so analysierte das Luxemburger Politmagazin Forum, repräsentiert Juncker dort „das nationale Interesse und den politischen Konsens“. Ihn anzugreifen, sei „ungehörig“.

Es lohnt, sich ein wenig näher mit den Medien in Junckers Herkunftsland zu beschäftigen, um seinem Image als Vorzeige-Europäer einige Ergänzungen hinzuzufügen. Die grün-linke Wochenzeitschrift Woxx sieht ihn als „langjährigen Regierungschef des Finanzplatzes Luxemburg maßgeblich mitverantwortlich für die traditionelle Politik des Festhaltens an heute europaweit kritisierten Instrumenten wie Bankgeheimnis und Steuervergünstigungen“. Juncker sei „ein Mann der faulen Kompromisse“, dessen Parteinahme für griechische Rentner angesichts der „Reichen, die auf ihren Jachten Partys feiern“, unglaubwürdig sei: „Viele von diesen Reichen nutzen den Luxemburger Finanzplatz, um ihr Geld ins Ausland zu schaffen, ohne Steuern zu zahlen.“

Ein "Europhoriker"

Für das nationale Interesse Luxemburgs in Brüssel und Straßburg ist allerdings weitgehend der Finanzminister Luc Frieden zuständig. Derweil mahnt sein Chef so überzeugend zur europäischen Integration, dass die Zeit ihn neulich als „Europhoriker“ klassifizierte. Wobei: Junckers Rolle bei der Berufung des Luxemburger Notenbankchefs Yves Mersch in die EZB-Direktion will diesem Image so gar nicht entsprechen. Mr. Euro drohte damit, den Vorsitz der Euro-Gruppe hinzuschmeißen, sollte Mersch, der sowohl vom EU-Parlament als auch südlichen Mitgliedsstaaten abgelehnt wurde, nicht ernannt werden.

An Junckers künftigem Status als kontinentalem Elder Statesman dürfte solch ein Scharmützel nicht kratzen. Er hinterlässt mit dem Euro ein Projekt, das ihn seit Jahrzehnten begleitet. Als er 2006 den Aachener Karlspreis erhielt, nannte er in seiner Dankesrede sich selbst und den Euro die „einzigen Überlebenden“ des Vertrages von Maastricht.

Juncker bietet einige Widersprüche. Doch vor allem wird in den Reihen des EU-Finanzministerrats ECOFIN künftig eine moderate Stimme fehlen, die für Griechenland eine „sanfte Umschuldung“ einfordert und einen Krach mit IWF-Präsidentin Christine Lagarde riskiert, um die Zahlungsfrist Athens um zwei Jahre zu verlängern. Beim Gipfel Mitte Dezember kann Jean-Claude Juncker sich ein letztes Mal als Brückenbauer profilieren. Die Positionen im Streit über die gemeinsame Bankenaufsicht könnten sich als zu festgefahren erweisen. Für die Zeit nach ihm verheißt das wenig Gutes.

Tobias Müller ist freier Korrespondent in Brüssel

In Zukunft will sich sich Jean-Claude Juncker wieder auf sein Amt als luxemburgischer Premierminister konzentrieren. Das bekleidet er auch schon 17 Jahre

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