Nichts zum Lachen

Porträt Yashar Khameneh war ein iranischer Student in den Niederlanden. Dann postete er ein religiöses Satirevideo auf Facebook. Seitdem ist in seinem Leben nichts mehr wie zuvor
"Nichts ist zu heilig, um darüber Witze zu machen."
"Nichts ist zu heilig, um darüber Witze zu machen."

Foto: Marianna Trembovler / der Freitag

Der Videoclip, der das Leben von Yashar Khameneh völlig verändern sollte, ist knapp vier Minuten lang. Wenn man ihn auf Facebook anklickt, sieht man Khameneh als Imam Naghi verkleidet – eine historische Figur, die im neunten Jahrhundert lebte und zu den zwölf Imamen zählt, die im schiitischen Islam als unfehlbar gelten. Im Iran ist Naghi per Gesetz vor Beleidigungen geschützt.

Bis zur Veröffentlichung seines Videos war Khameneh ein junger Iraner, der in den Niederlanden International Business Management studierte. Und er dachte, er könne sich im Internet einen Scherz erlauben. Er drehte den Clip für die Facebook-Gruppe "Kampagne, um die Schiiten an Imam Naghi zu erinnern". Diese setzt sich mal mit mehr, mal mit weniger grober Satire mit der Heiligenverehrung im Iran auseinander. Ein Gruppenmitglied wählte das bärtige Gesicht des Sektenführers Charles Manson als Konterfei für den Imam. Weil das so schön griffig war, übernahmen es die anderen einfach.

Der 25-jährige Khameneh druckte das Manson-Bild aus, bastelte sich eine Maske daraus und zog, ausgestattet mit Videokamera und Stativ, wie ein Prophet in die Wüste – oder das, was eben gerade in seiner Nähe war: ein Naturschutzgebiet irgendwo in den Niederlanden, mit Sanddünen und so wenig Vegetation, dass es als Wüste durchging.

Vor dieser Kulisse legte er etwas in den Sand, das wie ein Gebetsteppich aussah. Dann griff er in seinen Kaftan und holte zwei Plüschtiere heraus, mit der Linken einen Esel, mit der Rechten ein Kamel. Beiden setzte er ein kleines Glas vor, zog eine Flasche Rotwein aus dem Kaftan und schenkte seinen Gefährten ein, bevor er selbst das Glas erhob. Später spritzte er übermütig Champagner durchs Bild und spielte Karten um Geld, ohne sich daran zu stören, dass der Islam dies verbietet.

Zwei Monate, nachdem Yashar Khameneh sein Video postete, könnte er wohl gut noch eine weitere Maske gebrauchen: Weil das Regime im Iran die Facebook-Seite als Gotteslästerung ansieht, steht Khamenehs Leben plötzlich auf dem Kopf. In Teheran wurde sein Vater verhaftet, kurz nachdem das Video online ging. Das Gefängnis, in dem er festgehalten werden soll, ist berüchtigt für Folterungen.

Er ist vorsichtiger geworden

Khameneh ist inzwischen Asylant in den Niederlanden. Vor drei Jahren kam er zum Studieren hierher, sein Antrag auf Asyl wurde vor Kurzem anerkannt. Gegen ein Mitglied der Facebook-Gruppe wurde in Teheran eine Fatwa ausgesprochen. Khameneh ist viel vorsichtiger als noch vor wenigen Monaten. Seine Adresse hält er nun geheim. Treffen kann man ihn nur im Zentrum der niederländischen Stadt, in der er lebt, deren Namen er aber lieber nicht in der Zeitung lesen will. Ein anonymes Schnellrestaurant hat er für das Gespräch vorgeschlagen. Die strubbeligen Haare stehen wild von seinem Kopf ab. Auf älteren Fotos hatte er sie mit Gel noch brav zurückgekämmt. Er hat seinen Laptop mitgebracht, ganz so, als studiere er noch. Doch weil er sich als Asylbewerber exmatrikulieren musste, dient der Laptop nur dazu, seinen Fall zu erläutern.

Auf der Facebook-Satireseite sieht man Imam Naghi mit seiner Manson-Maske neben einem Kamel mit Sonnenbrille und dem Esel aus dem Animationsfilm Shrek. Daneben ist eine Moscheekuppel zu erkennen, die aussieht wie eine weibliche Brust. Es ist überdrehter, derber Studenten-Humor, der Khameneh aber ein Lächeln ins Gesicht treibt. Gefolgt von einem Kopfschütteln, das sagen soll: so viel Aufhebens um eine solche Lappalie.

Im Mai 2011 wurde die Facebook-Gruppe gegründet. Wie Khameneh darauf aufmerksam wurde, weiß er nicht mehr. „Wahrscheinlich hörte ich es von Freunden.“ Die Idee sprach ihn an. Er hatte eine kritische Grundhaltung gegenüber der iranischen Regierung, aber er war kein ideologischer Regimegegner. „Es ging darum, Imam Naghi auf satirische Weise eine neue Identität zu geben“, erzählt er. Zum ironischen Helden einer Seite mit mehr als 22.000 Likes wurde Naghi rein zufällig. „Man weiß wenig über ihn, er ist etwas in Vergessenheit geraten“, erzählt Khameneh. Eins der wenigen biografischen Details aber war eine Steilvorlage für die Community. "Es heißt, Imam Naghi starb an vergiftetem Traubensaft. Damit ist natürlich Wein gemeint." Deshalb sind Weinflaschen auf der Satire-Seite auch allgegenwärtig.

"Aberglauben austreiben"

Richtig ernst nahm das Ganze am Anfang keiner, der dort postete. Natürlich habe es etwas großsprecherisch den Anspruch gegeben, "den Aberglauben aus der Religion auszutreiben", wie Khameneh es formuliert. Und er fügt hinzu: "Nichts ist zu heilig, um darüber Witze zu machen." Diese Witze aber waren zunächst so harmlos, dass die Mitglieder dafür ihre Klarnamen gebrauchten. "Niemand dachte, dass das ernsthaft oder gar gefährlich werden könnte." Doch nach einigen Wochen tauchten auf schiitischen Websites Screenshots auf von Facebook-Usern, die Beiträge der Naghi-Seite geliked hatten. Den Betroffenen wurde vorgeworfen, für die Seite verantwortlich zu sein. Man drohte, sie zu identifizieren und bei den iranischen Behörden anzuzeigen.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt, das weiß Khameneh heute, hätte er gewarnt sein müssen. Das Regime in Teheran verfolgt als einer der restriktivsten Zensoren des Netzes nicht nur das Ziel eines sogenannten "Halal-Internet" – es unterhält auch eine spezielle Cyber Army, die online gegen die Opposition vorgeht. Die Schutz-Maßnahmen, die Khameneh ergriff, sprechen aber dafür, dass er nicht an eine wirkliche Gefahr glaubte: "Ich dachte, sie wollten den Leuten nur Angst machen. Also wählte ich einen Nickname. Der Fehler war, dass ich meinen Vornamen nicht veränderte. Dann setzten wir unsere Aktivitäten einfach fort. Die Seite wurde unterdessen immer populärer."

Zweifellos war Khamenehs Haltung naiv. Aber bevor die Aufmerksamkeit um die Imam-Seite erst zu einem Schneeball und dann zu einer Lawine wurde, hatte er keinerlei Erfahrung auf diesem Gebiet. "Weder mit Bloggen noch mit Satire oder Videos drehen", betont er. Auch einen politischen Hintergrund sucht man bei ihm vergeblich. "Ein Aktivist war ich nie", sagt er entschieden. Sein Ingenieursstudium in Teheran brach er nach drei Jahren ab, weil es ihn nicht interessierte. Nach Europa kam er, weil er im Iran keine berufliche Zukunft für sich sah.

Und seine Familie? Khamenehs Hintergrund ist bürgerlich-konservativ. Beide Eltern sind Akademiker, die Mutter Chemikerin, der Vater Computer-Ingenieur. Von seinen Online-Späßen wussten sie nichts, gut geheißen hätten sie sie erst recht nicht. Wohl im Gegenteil: „Meine Mutter versuchte immer, mir die Religion näherzubringen“, erzählt Khameneh. Spätestens seit der Schulzeit mit dem obligatorischen religiösen Lektüreprogramm habe er daran aber kein Interesse mehr gehabt.

Dass der Spott, den er zehn Jahre später mit dem heiligen Naghi treiben sollte, zu einer Gefahr für seine Familie werden würde, hatte auch mit einem anderen Spielfeld desselben Konflikts zu tun: dem Fall des Polit-Rappers Shahin Najafi, über den die religiösen Autoritäten der Islamischen Republik wegen eines anstößigen Songs das Todesurteil verhängten.

In Interviews erklärte Najafi, die Satire-Facebook-Seite habe ihn zu seinem Lied über Imam Naghi inspiriert – wodurch die Bekanntheit der Seite erst richtig in die Höhe schnellte. Das war im Mai, Yashar Khameneh arbeitete zu dieser Zeit an seinem Videoclip mit der Weinverkostung in der Wüste. Es war der letzte von fünf Clips, die er postete. „Zum ersten Geburtstag der Naghi-Kampagne am 11. Mai ging das Video online. In zehn Tagen wurde es 60.000-mal angeschaut.“ Wenn man auf der Facebook-Seite heute auf den Videobutton drückt, wird es einem immer noch als erstes angeboten.

Zwei Wochen nach dem Video-Post erhielt Khameneh einen Anruf. Sein Vater erzählte ihm kurzatmig, der Geheimdienst sei im Haus der Eltern. Man erwarte seine Kooperation. Binnen einer Stunde verlangten die Behörden die Herausgabe der Passwörter zu Khamenehs E-Mail-Account, seinem Weblog sowie seiner persönlichen Facebookseite, auf die er Inhalte der Naghi-Kampagne verlinkt hatte. Sonst werde sein Vater verhaftet. Für jemand mit wenig Erfahrung mit staatlichen Repressionen blieb Khameneh bemerkenswert gelassen. Er entschied sich, die Passwörter nicht herauszurücken. „Das hätte andere Menschen in Schwierigkeiten bringen können.“ Seine E-Mails hätten etwa die Namen Gleichgesinnter verraten können. Stattdessen löschte er die Accounts und das Blog. Nicht genug für die Behörden in Teheran – wie angedroht, wurde der Vater eine Stunde später verhaftet.

Was folgte, beschreibt Khameneh als einen endlosen Albtraum. Die ältere Schwester erzählte am Telefon, der Geheimdienst halte ihn für den Administrator der Facebook-Seite. Solange er sie nicht schließe, bleibe sein Vater in Haft. Zudem hätte man herausgefunden, dass er in den Niederlanden gar nicht studiert habe, sondern dort nur „antireligiöse Aktivitäten“ betreibe. Khameneh tat, was er konnte, um den Vorwürfen entgegenzutreten: Er schickte seiner Schwester die Einschreibebescheinigungen der Universität. Er mailte dem Administrator der Facebook-Seite und bat ihn, sie vom Netz zu nehmen. Eine Antwort bekam er nicht. Als seine Schwester ihm vorschlug, ein Entschuldigungsvideo aufzunehmen, tat er auch das. Ohne Wirkung. Sein Vater blieb im Gefängnis.

Tränen und Vorwürfe

Nach einigen Wochen wurde es Khameneh zu viel. Er hielt es nicht mehr aus – das Weinen der Mutter am Telefon, die Vorwürfe, die Schuldzuweisungen, das Unverständnis für seine Ansichten. Was ist schon Meinungsfreiheit, wenn der Ehemann und Vater dafür im Gefängnis sitzen muss? Aus dem Gefängnis hinterließ der Vater eines Tages eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter seiner Familie: Wenn sein Sohn die Seite nicht sofort schließe, wisse er nicht, ob er am nächsten Tag noch lebe. Kurz danach brach Khameneh den Kontakt zu seiner Familie ab. Er hatte Mitleid mit seinem Vater, aber es war einfach zu viel für ihn.

Beim Gespräch im Schnellrestaurant wirkt Khameneh sehr gefasst, wenn er über die letzten Monate redet. „Es ist eine Geiselnahme, was sonst? Sie haben kein Wort über das Verbrechen verloren, das mein Vater begangen haben soll. Er hat keinen Anwalt, bekommt keinen Besuch. Und es gibt keinen rechtlichen Weg, ihm zu helfen.“ Was Khameneh bleibt, ist der Gang in die Öffentlichkeit. In iranischen Exilmedien fand der Fall viel Beachtung. Die BBC und der Guardian berichteten ebenso wie CNN. Immer wieder darüber zu sprechen, finde er aber „ärgerlich“, sagt Khameneh – es klingt, als wolle er sein altes Leben zurück. Das Leben, bevor ihn ein Facebook-Video zum Regimegegner machte. Wie das Ganze ihn verändert, darüber möchte er nicht sprechen. Wovor hat er Angst? „Dass der Geheimdienst meinen Vater zwingt, etwas zu gestehen, das er nicht getan hat.“

Noch immer fällt es Khameneh schwer, die Dimension zu begreifen, die die Dinge angenommen haben. Das einzige Ziel der Kampagne, beteuert er, sei die Meinungsfreiheit gewesen. Muslime sollen das Recht haben, ihre Bücher zu publizieren. Und Ungläubige das Recht, sie zu kritisieren. „Wir wollen nicht den Islam zerstören. Wir bedrohen niemand, wir beleidigen niemand, wir wollen niemand verletzen.“ Darum ist der Charakter, den sie Imam Naghi gegeben haben, auch ein freundlicher, ein sehr menschlicher, mit allen Schwächen. „Eigentlich verdienen wir den Friedensnobelpreis dafür, keine Fatwa.“

Als wollten sie diese Einschätzung unterstreichen, springen auf der Website Figuren mit Imam-Masken Bierhumpen-schwingend über den Bildschirm. Dann erscheint Manneken Pis, die Brüsseler Kinderfigur, auch sie mit Naghi-Maske. Der Imam, wie seine neue Gefolgschaft ihn sieht, ist entspannt, trinkt und hat, sagt Khameneh, „zu viele sexuelle Begierden“. Da ist er wieder, dieser seltsame Zwiespalt. Einerseits muss er bei dem Satz grinsen, andererseits weiß er mittlerweile nur zu gut, wie brisant seine Witze sein können.

Von seinem Vater hat er nun seit Wochen nichts mehr gehört.

100.000 Dollar Kopfgeld

Wie gefährlich missliebige Töne über einen heiligen Imam sein können, zeigte kürzlich der Fall des Rappers Shahin Najafi. Der Iraner, der seit 2005 in Deutschland lebt, veröffentlichte im Mai den satirischen Song „Naghi“. Darin wimmelt es von sexuellen Anspielungen und sozialkritischen Verweisen auf die Situation im Iran.

Kurz nach der Veröffentlichung sprachen sich mehrere Großayatollahs wegen Abtrünnigkeit Todesfatwas gegen Najafi aus. Die schiitische Website Shia Online setzte ein Kopfgeld von 100.000 US-Dollar auf ihn aus. Auch eine Online-Kampagne rief zur Ermordung des Rappers auf, der seit Jahren international als Kritiker des Regimes in Erscheinung tritt. Mehr als 800 Unterzeichner der Kampagne erklärten sich dazu bereit.

Shahin Najafi verließ einst den Iran, nachdem er für ein Lied zu 100 Peitschenhieben und drei Jahren Haft verurteilt wurde. Die Fatwas sorgen nun dafür, dass er auch im Exil nicht sicher ist. Nach Bekanntwerden der Todesdrohungen tauchte er unter. Unterstützt wird er von Günter Wallraff.

Najafis Fall und die an ihn adressierten Solidaritätserklärungen westlicher Künstler erinnern stark an Salman Rushdie. Dieser wurde 1989 vom damaligen iranischen Staats-chef Khomeini wegen des Romans Die Satanischen Verse mit einer Fatwa ebenfalls zum Tode verurteilt. Rushdie lebte knapp zehn Jahre versteckt, bis sich die iranische Staatsführung 1998 von der Todesdrohung distanzierte.

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