Blockierte Verhandlungen

Opposition Der Streit um die Hartz-Reform geht in die entscheidende Runde. Aber das Widerlager Bundesrat ist unberechenbar geworden

Mit dem großen atompolitischen Streit, der wenig später beginnen sollte, konnte die knappe Mitteilung aus der SPD-Fraktion nicht mithalten: Zu Beginn der vorletzten Oktobersitzung des Bundestags verlas Parlamentspräsident Norbert Lammert, dass „Ulrich Kelber und Florian Pronold als stellvertretende Mitglieder aus dem Vermittlungsausschuss ausscheiden. Als Nachfolger werden die Kollegen Sigmar Gabriel und Dr. Frank-Walter Steinmeier benannt.“ Den Agenturen war der Wechsel nicht einmal eine Meldung wert.

Dabei lenkt das Nachrücken der beiden wichtigsten SPD-Politiker in den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat den Blick auf jenen Ort, an dem sich in den kommenden Monaten ein wichtiger Teil des „politischen Geschäfts“ konzentrieren wird. Was in der Länderkammer zustimmungspflichtig ist an Angela Merkels „Herbst der Entscheidungen“, muss durch das Nadelöhr hindurch. Seit der Bildung einer rot-grünen Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen ist die schwarz-gelbe Bundesregierung auf Kooperation im Bundesrat angewiesen. Und der Opposition ist ein Hebel in die Hand gegeben – den sie im Fall der Hartz-Neuregelungen offenbar gleich nutzen will.

Genauer gesagt: SPD und Grüne, denn die Linke, die am vehementesten die bisherige Hartz-Realität ablehnt, wird auf Distanz gehalten. Einen Brief, in dem der Kanzlerin Gespräche angeboten und Änderungen an der Hartz-Novelle gefordert werden, hatten neben Steinmeier nur der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck sowie die beiden Grünen-Fraktionsvorsitzenden Renate Künast und Jürgen Trittin unterzeichnet. Die Antwort von Kanzleramtsminister Ronald Pofalla war freundlich aber bestimmt: Für die Regierung werde „die fachlich zuständige Bundesarbeitsministerin“ die Gespräche führen.

Verhandlungen blockiert

Oder auch nicht. Man habe „in den Sondierungsgesprächen bisher keine Einigung über die personelle Zusammensetzung und das Format eines Auftaktgespräches erzielen“ können, ließ Ursula von der Leyen Ende der vergangenen Woche wissen und bedauerte, „dass aus formalen Gründen frühzeitige Verhandlungen blockiert“ seien. Grüne und SPD wiederum keilten zurück, hier gehe es nicht um „formale Gründe“, sondern die Weigerung der Koalition, sich in substantiellen Fragen zu bewegen.

Die CDU-Ministerin hatte mehrfach erklärt, es liege nach der Vorlage des Gesetzentwurfes an der Opposition, eigene Verbesserungsvorschläge zu machen. Aus der SPD war alsbald zu vernehmen, das Bildungspaket sei zu klein und die Berechnungsgrundlage der Regelsätze nicht den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts entsprechend. Außerdem wolle man über einen Mindestlohn reden – mal war von einem gesetzlichen und flächendeckenden die Rede, mal schien es so, als sei die Einführung einer Lohnuntergrenze für die Zeitarbeitsbranche schon Entgegenkommen genug. Über die Regelsatzhöhe, das eigentliche Instrument zur Verbesserung der Teilhabe auch von Kindern, redet die SPD nicht gern. „Es geht“, hat die SPD-Abgeordnete Elke Ferner erklärt, „viel weniger um die Höhe.“

Kein Zweifel. Der Streit um die Hartz-Reform wird nach der atompolitischen und neben der um die Gesundheitsreform die nächste große Kontroverse zwischen der gefühlten rot-grünen und der tatsächlichen schwarz-gelben Koalition werden. Das forsche Vorgehen der SPD, die ein Spitzengespräch mit der Kanzlerin zur Bedingungen von Kompromissen gemacht haben, zeigt den symbolischen Gehalt der Konfrontation an. Und auch die Drohung mit dem Vermittlungsausschuss geht über das eigentliche sozialpolitische Thema hinaus.

Gegenmacht als Jungbrunnen

Sowohl Helmut Kohl als auch Gerhard Schröder haben einen Teil ihrer Regierungszeit mit dem „Widerlager“ im Bundesrat, also mit parteipolitisch andersfarbigen Mehrheiten kämpfen müssen. Für die SPD soll die „Gegenmacht“ zum Jungbrunnen werden: die Grünen in Umfragen und die Linke beim Thema im Nacken, versuchen die Sozialdemokraten, hier auch die Wortführerschaft in der Opposition zu verteidigen. Doch so sehr die Länderkammer als parteipolitischer Hebel angesehen wird: Er ist nicht mehr der alte. Die Zeiten, in denen ein Oskar Lafontaine noch die SPD-Länder orchestrierte, sind vorbei. Die Verwandlung der Parteienlandschaft schlägt auf die Verhältnisse im Bundesrat durch.

Schon während der Großen Koalition zwischen 2005 und 2009 haben sich Verschiebungen bemerkbar gemacht. Wegen der Vielfalt der Regierungskoalitionen auf Landesebene verfügt auch heute keines der „alten Lager“ mehr über eine eigene Bundesratsmehrheit. Die drei Stimmen des Jamaika-regierten Saarlandes würden Merkel reichen, die der SPD-regierten Ländern zusammen dagegen nicht einmal zur Anrufung des Vermittlungsausschusses.

Auch lagen in den Jahren der Großen Koalition die Hauptkonflikte weniger entlang von parteipolitischen Linien, sondern zwischen den – meist die Kostenverteilung betreffenden – Interessen des Bundes auf der einen Seite und denen der über alle parteipolitischen Farben hinweg recht einheitlich agierenden Länder auf der anderen. Das ist kein Automatismus, aber nicht zuletzt wegen der Schuldenbremse ein stärker werdendes Moment: Bei der Hartz-Neuregelung zum Beispiel ist den Ländern die Höhe der Regelsätze „nicht so wichtig, weil es sie weniger betrifft“, ist Ferner unlängst in der Tageszeitung zitiert worden. Für die Länder ist es stattdessen lukrativer, vom Bund noch mehr Geld für die Bildungsangebote anzustreben.

Demokratische Probleme

Und es kommen demokratiepolitische Probleme hinzu. Selbst wenn Parteien und ihre Wähler im Einzelfall darin eine Chance sehen wollten, in der Länderkammer Gesetze zu blockieren, die sie anders nicht verhindern können: Dies unterläuft den bei Bundestagswahlen ermittelten Mehrheitswillen. Die Verflechtung von zwei in der Regel ganz unterschiedlich motivierten Entscheidungsebenen im „kooperativen Föderalismus“ verstärkt zudem die Dominanz der Exekutive und trägt zur Entparlamentarisierung der Gesetzgebung bei, warnen Staatsrechtler und Politologen. Ein dritter, ebenfalls nicht neuer Einwand bezieht sich auf das „Verschwinden“ der Entscheidungen aus dem öffentlichen Raum: Nicht ohne Grund wird der Vermittlungsausschuss, in dem Gegengeschäfte und Paketlösungen keineswegs Ausnahmen sind, auch „Dunkelkammer“ genannt.

Bei ihrer rot-grünen Geburt Ende 2003 war die Hartz-Reform Teil genau so eines politischen Deals hinter den Kulissen: „Wie auf einem Basar“ ging es damals zu, so hat es seinerzeit ein Nachrichtenmagazin beschrieben: „Biete härtere Zumutbarkeitsregeln für Langzeitarbeitslose gegen Beibehaltung des Kündigungsschutzes, mehr Geld für die Gemeinden gegen weniger Eigenheimzulage“. Und so weiter.

Thomas Oppermann, der Parlamentsgeschäftsführer der SPD, hat bereits wieder von „unserem Verhandlungspaket“ gesprochen. Was da alles hineingerät und am Ende womöglich doch noch herausfällt, werden im Falle des Falles nur die je 16 Mitglieder des Vermittlungsausschusses erfahren. Viele Signale stehen auf Einberufung. Dann könnten sich die Verhandlungen bis ins nächste Jahr ziehen, vielleicht gibt es eine Einigung erst im Februar.

Die „Erhöhung“ der Regelsätze um fünf Euro zum Jahresanfang wäre davon allerdings ebenso wenig betroffen wie von der Leyens Bildungspäckchen – wegen des Karlsruher Urteils kann eine Neuregelung auch ohne abgeschlossenes Gesetzgebungsverfahren in Kraft treten.

An der Hartz-Schraube drehen: Sanktion und Freiwilligkeit

Die Debatte über die Hartz-Reform bleibt in der Öffentlichkeit meist auf Fragen der Regelsatzberechnung und den Umfang des Bildungspaketes beschränkt. Derweil geht die Diskussion über Änderungen am Regelwerk für Langzeiterwerbslose, die den Zwangscharakter der Transferpraxis berühren, weiter. Und zwar in beide Richtungen.

So wird mit dem schwarz-gelben Gesetzentwurf in der jetzigen Fassung auch die Möglichkeit der Bestrafung von Erwerbslosen verschärft. Sanktionen sollen danach auch dann verhängt werden, wenn der Leistungsberechtigte die Rechtsfolgen seines Verhaltens kannte. Bisher war eine schriftliche Belehrung über die Folgen so genannter Pflichtverletzungen nötig. Die Grünen haben diesen Vorstoß scharf kritisiert, die Linkenpolitikerin Katja Kipping erklärte, die ständige Angst vor Sanktionen soll die Betroffenen noch stärker als bisher disziplinieren.

Ganz anders fiel das Echo auf einen Vorschlag aus der Chefetage der Nürnberger Arbeitsagentur aus. Vorstandsmitglied Heinrich Alt hatte vor wenigen Tagen erklärt, er sei dafür offen, aus den Ein-Euro-Jobs eine freiwillige Sache zu machen. Die so genannten Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung, die im Rahmen von Eingliederungsvereinbarungen verpflichtend sind, sollten künftig Alt zufolge als Mittel zum Zweck und nicht als Zwangsmaßnahme verstanden werden. Während das Bundesarbeitsministerium einsilbig reagierte und erklärte,
es sei bisher nicht an Veränderungen gedacht, begrüßte die Opposition Alts Äußerung. Für viele Betroffene seien die Ein-Euro-Jobs lediglich eine Beschäftigungstherapie, hieß es. Experten halten das Instrument arbeitsmarktpolitisch für wirkungslos. Andererseits wird immer wieder auf die große Nachfrage seitens der Erwerbslosen hingewiesen. TS

Der digitale Freitag

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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