Das gründlich Andere

Organisationsfrage Mitgliederentscheid oder nicht? Bartsch oder Lafontaine? Die Linke streitet übers Personal und meint doch die Politik. Eine Zukunft hat die Partei nur bei Selbstveränderung

"Die Zukunft? Das ist das gründlich Andere.“ Wenn die Linke am Montag ihren Jahresauftakt unter jenes, von Christa Wolf entlehnte Motto stellt, dann erweist sie nicht nur der Schriftstellerin eine nochmalige Ehre. Der Leitspruch illustriert auch ein Dilemma, in dem die Partei zurzeit steckt: Dem Ziel einer anderen Gesellschaft, wie sie der Linken vorschwebt, wird man nur als Partei näher kommen, die selbst schon, soweit es eben geht, das „gründlich Andere“ in sich vorwegnimmt.

Es geht dabei nicht nur um die besseren Forderungen zur Abwehr der Krise. Es geht um die Linke als Organisation von Veränderung. Derzeit streitet die Partei über das Verfahren zur Besetzung ihrer Führung. Im Sommer 2011 hatte Parteichef Klaus Ernst die Idee geäußert, künftig auch bei Personalfragen die Basis stärker einzubeziehen. Ende November erklärte Fraktionsvize Dietmar Bartsch seine Kandidatur für den linken Spitzenposten und plädierte für eine Mitgliederbefragung.

In einer solchen, glauben viele, hätte der Ostdeutsche gute Karten. Landesverbände und Kreisorganisationen stellten einen entsprechenden Antrag. Die Kritiker des früheren Bundesgeschäftsführers brachten daraufhin politische, vor allem aber juristische Argumente gegen einen Genossen-Entscheid vor. Inzwischen gibt es Gutachten, man diskutiert darüber, wer zur Vorlage eines solchen berechtigt sei und ob ein vom Vorstand formulierter Auftrag dazu wortgetreu beachtet wurde. Vergangene Woche lehnte die engere Führung einen Antrag zu einem Mitgliederentscheid ab.

Bartsch ist dem linken Flügel suspekt. Auf diesem wiederum ist man zu argumentatorischen Pirouetten genötigt, weil sich nicht leicht begründen lässt, warum ausgerechnet in der Linken, die das sonst an jeder Stelle fordert, direktdemokratische Verfahren falsch sein sollen. Gesine Lötzsch, die wieder ins Rennen um den Vorsitz gehen will, hat in einem Gastbeitrag auf freitag.de von „alten Mustern“ gesprochen, in welche die Partei zurückfalle. Ein instrumentelles Verhältnis zur Basis schimmert in der Diskussion nicht selten durch und auch die sorgenvolle Ahnung, ihr Ausgang könne den fragilen Pluralismus der Partei überlasten.

Gewisse Kreise

Wohl auch deshalb hat sich Fraktionschef Gregor Gysi mit der Idee eingeschaltet, eine „kooperative Führung“ von „gewissen Kreisen“ vorschlagen zu lassen. So könnten alle politischen Lager integriert und alle Proporzwünsche beachtet werden. Das löste Erinnerungen an eine ähnliche Situation Anfang 2010 aus, die viele in der Linken als undemokratisch ansahen und über deren Ergebnis, nämlich die gegenwärtige Führung, inzwischen eben auch einige Unzufriedenheit herrscht. Gysi versuchte, seinen Vorstoß damit zu bekräftigen, dass die Linke sich dringend wieder der Politik zuwenden müsse. Nur so werde auch die Zustimmung beim Wähler wieder wachsen. Als ob das nicht auch eine Frage des Personals wäre! Der Streit wird ja gerade deshalb geführt, weil es in der Linken unterschiedliche Antworten auf inhaltliche und strategische Fragen gibt. Das ist das Eine.

Das Andere ist: Eine neue Führung und demokratischere Wahlverfahren allein werden die Linke nicht auf Erfolgskurs zurückbringen. Auf dem Weg zum, „gründlich Anderen“ ist mehr nötig. Und so müsste jener im Hintergrund längst mitgeführten Diskussion größere Aufmerksamkeit gebühren, in der es zwar auch um basisdemokratische Verfahren geht, man bei diesen aber nicht stehen bleibt.

„Mal wieder die Organisationsfrage stellen“, hat kürzlich Horst Kahrs von der Grundsatzabteilung der Linken einen Aufsatz überschrieben, der hier stellvertretend genannt sein soll. Es geht darin um Politik im sozialen Nahraum; um den Wert einer Partei als Ort praktischer Solidarität mit seinen Nachbarn, Kollegen, Freunden; um Aktivität jenseits der zentralen Kampagnen, großen Reden und gesetzentwürfe; um einen demokratischen Sozialismus des Alltags, der nicht bloß in Parteiveranstaltungen auflebt. Es geht um das Unterlaufen einer hegemonialen Lebensweise, in der auch ihre schärfsten Kritiker festhängen. Ganz so wie die Linkspartei in einer von Parlamentsbetrieb und Mediendemokratie strukturierten Umgebung agieren muss, die es nicht einfach macht, wirklich anders zu sein.

Der linke Soziologe Arno Klönne hat dieser Tage die Perspektive eines Suchenden eingenommen, welcher auf die Linkspartei schaut und dort bloß einen Abklatsch jener politischen Klasse sieht, zu dem er doch eigentlich eine Alternative zu finden gedachte. Hierin, meint Klönne, liege die große Verantwortung der Partei: Ist sie aus eigener Schuld nicht attraktiv, warte der Suchende ab, ob nicht doch noch irgendwann und irgendwo eine bessere Linke in Erscheinung tritt – was ohne sein Dazutun freilich ebenso wenig geschehen wird, wie ein erfolgreicher Re-Start der Linkspartei.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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