Erinnern Sie sich? Mit einer Polemik gegen „verantwortungslose Heuschreckenschwärme“ startete Franz Müntefering 2005 eine beachtliche Aufholjagd der SPD. Seine Kritik galt damals noch als ziemlich links. Über den Sommer kam die Partei der späteren Wahlsiegerin sehr nahe. Im Ziel fehlte den Sozialdemokraten zwar ein Prozentpunkt – sie hatten aber wie schon 2002 bewiesen, wo ihre Stärken liegen: im Wahlkampf.
Viele Versprechen der SPD erwiesen sich später als Makulatur. Das hatte auch mit der großen Koalition zu tun. Es steckt darin aber auch Methode. Der Finanzminister hat die Frage, warum seine Fraktion einen Antrag zur Einführung einer Börsenumsatzsteuer im Parlament vor Monaten noch abgelehnt hat und nun trotzdem in ihr Wahlprogramm schreibt, mit einem Lächeln abtropfen lassen: „Niemand ist vor Erkenntnisgewinn gefeit.“ Die Erkenntnis, die Peer Steinbrück umtreibt, hat mit der vorgeschlagenen Abgabe wenig zu tun. Aber viel mit der Heuschrecken-Erfahrung des Jahres 2005.
„Das mit dem Linksblinken kennen wir ja schon“, sagt denn auch Linken-Chef Lothar Bisky. Seine Partei verweist gern auf die Mehrwertsteuer, deren Erhöhung die SPD im Wahlkampf 2005 ausgeschlossen hatte, um ihr später doch zuzustimmen. Es werden aber nicht nur „falsche Versprechungen“ bemängelt, sondern auch Urheberrechtsverletzungen. Oskar Lafontaine beklagt, dass der Wahlkämpfer Steinmeier Forderungen der Linken ins SPD-Programm gehievt habe, die der Außenminister Steinmeier gerade noch als unrealistischen Populismus abgelehnt habe.
Glaubwürdigkeitsproblem der SPD
Lafontaine warnt nun vor dem „nächsten großen Wahlbetrug“. Die Kritik ist so richtig wie nutzlos. Wenn die Linke auf das große Glaubwürdigkeitsproblem der SPD hinweist, werden ihre Sorgen davon nicht automatisch kleiner: Trotz Krise verharren die Umfragewerte derzeit bei knapp über zehn Prozent. Es hat sich gezeigt, dass die aus Enttäuschung geborene Entfremdung von der einen Partei nicht zwangsläufig zur Wahl einer anderen führt – sondern eher zu elektoraler Abstinenz. Bei einigen Demoskopen erfahren SPD und Linke zurzeit zusammen etwa so viel Zuspruch, wie den Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl 2005 noch allein zuteil wurde.
Auch deshalb wird um das Wahlprogramm der Linken ein veritabler Streit geführt. Gleich mehrere innerparteiliche Strömungen machen Front gegen den Vorstandsentwurf. Es ist dies auch die Fortsetzung einer alten Auseinandersetzung zwischen „realpolitischem“ Lager und radikaler Forderung. „Unser Wahlprogramm wird durch konsequenten Realismus geprägt sein“, hatte Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch vor einigen Wochen angekündigt und damit ein Reizwort benutzt, das schon in der PDS meist den Vorwurf „Anpassung“ zur Folge hatte.
Heute, das ist das Neue, reklamieren die Kritiker der „Realos“ den „Realismus“ für sich. In der Krise zeige der Kapitalismus sein wahres Gesicht, heißt es in einer Kritik, die am Entwurf die antikapitalistische Schärfe vermisst und die „Systemfrage“ für ein Gebot der Stunde hält. „Darauf zu verweisen, mag dem Opel-Arbeiter in seiner Lebenssituation noch nicht viel helfen, aber es zeigt die Richtung auf, in die Veränderung gehen muss.“
Wird der Opel-Arbeiter deshalb eher die Linke wählen? Einige Kritiker behaupten, dass es ja nicht an „zu radikalen Forderungen“ liege, dass die Partei in Umfragen stagniert. Aber ermöglicht eine dunkelrote Fahne wirklich den großen Sprung nach vorn? Bringt die galoppierende Krise tatsächlich ein Massenbewusstsein auf Trab? Wohin soll die „antikapitalistische Richtung“ überhaupt führen? Auf die Barrikade? In eine Regierung? In welche?
Zeit zum Nachbessern
Auf der anderen Seite trifft die vielstimmige Kritik einen wunden Punkt. In dem mehr als 50-seitigen Entwurf des linken Wahlprogramms stehen Formulierungen, mit denen sich kein Blumentopf gewinnen lässt. Nicht dass es an Forderungen mangelt, Banken oder Stromversorgung zu vergesellschaften. Aber wer möchte auch noch von der Linken hören, was im Phrasenladen längst Ramschware ist? „Die bisherigen Regeln des Wirtschaftens ändern“ – das will doch heute jeder.
Die Debatte ist nicht beendet. Erst Anfang Mai wird der Vorstand seinen Leitantrag an den Wahlparteitag beschließen. Das lässt noch ein wenig Zeit zum Nachbessern. Und zum Nachdenken. Auch darüber, dass die Stärke der SPD bisher die Schwäche der Linken war: der Endspurt. PDS und Linkspartei fielen bei den Wahlen 2002 und 2005 hinter vorherige Umfragewerte zurück. Den Sozialdemokraten, soviel muss man zugestehen, hat das Linksblinken immer genützt.
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