Den Genossen im Karl-Liebknecht-Haus muss es langsam mulmig werden: Binnen 24 Stunden haben nun schon zwei Parlamentarier des Realo-Lagers die Partei verlassen. Erst gab der Berliner Haushaltsexperte Carl Wechselberg sein Mitgliedsbuch zurück. Und nun kehrt auch die Europaabgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann der Linken den Rücken.
Zur Begründung erklärte Kaufmann am Donnerstag in Berlin, mit dem Versuch, der Partei ein pro-europäisches Profil zu verleihen, „völlig gescheitert“ zu sein. Sie wolle, so die 54-Jährige, „nicht länger für die europapolitische Geisterfahrt“ der Linken in Haftung genommen werden. Auch die Rede vom „Haufen von Sektierern“ machte im Zusammenhang mit Kaufmanns Abgang abermals die Runde. Ähnlich hatte zuvor schon Wechselberg argumentiert. In der Linkspartei hätten im Zuge der Fusion „weitgehend marginalisierte“ linke Grüppchen die Chance für neue Bündnisse mit den im Westen neu hinzukommenden „Linkssektierern“ gesehen - und seien damit mehr und mehr erfolgreich. „Gelähmt“ stehe die Linke „als bloße Protestpartei im gesellschaftlichen Abseits“.
Streit ums Wahlprogramm
Der Zeitpunkt der Rücktritte von Kaufmann und Wechselberg verleitet dazu, die Angelegenheit als besonders markantes Ergebnis des Streits um das Bundestagswahlprogramm zu interpretieren. Auf Druck aus den eigenen Reihen hatte die Linke ihr Wahlprogramm vor wenigen Tagen verschärft. Das neue Papier kommt in der Tat antikapitalistischer daher, als der erste Entwurf. Auch wurde bei der einen oder anderen Forderung noch eine Schippe drauf gelegt. Wer daraus aber gleich den Schluss einer Radikalisierung der gesamten Partei zieht, verkennt das komplizierte Geflecht von Kompromissen, Koalitionen und Kamalitäten, dass sich seit der Fusion von PDS und Wahlalternative in der Partei ausgebreitet hat.
Der Doppelrückzug ist eher ein neuerlicher Beleg dafür, dass die Linke mehr als Bündnis denn als Partei agiert. Zwischen den verschiedenen Strömungen haben sich nicht nur politische Differenzen aufgetürmt – die Art und Weise der Richtungsdebatte hat auch jede Menge persönliche Verärgerung hervorgerufen. Dennoch werden bisweilen Zweckbündnisse zwischen Fraktionen erkennbar, die man nicht für möglich halten würde, wenn man die Partei bloß durch die Brille von Realos und Fundis betrachtet.
Abgesehen davon fällt es schwer, private Gründe für völlig ausgeschlossen zu halten. Kaufmann zum Beispiel, die zweifellos eine europapolitische Expertin ist, kam wegen ihrer zustimmenden Haltung zum Lissabon-Vertrag nicht mehr auf die Liste zur Europawahl Anfang Juni. Zuvor hatte es harsche gegenseitige Vorwürfe der Strömungen gegeben. Selbst wenn man ihre jetzige Entscheidung als letzten Schritt einer sich lang abzeichnenden Entwicklung ansieht, bleibt die Frage, warum ihr Rücktritt erst nach der Abstimmungsniederlage erfolgte. Wechselberg wiederum war zuletzt mit seinen Parteifreunden in Berlin immer wieder aneinandergeraten – und die Hauptstadt keineswegs eine Bastion der antikapitalistischen Radikalos. Hinter vorgehaltener Hand wird darauf verwiesen, dass Wechselberg wohl gerne Staatssekretär hätte werden wollen – was dieser allerdings dementiert.
Angriff ist nicht immer die beste Verteidigung
Die Parteispitze ist nun darum bemüht, die Scherben aufzukehren – und versucht ihr Heil in einem Angriff auf die Sozialdemokraten. Dass Kaufmann ihren Wechsel am Donnerstag im Beisein von SPD-Chef Franz Müntefering der Presse erläuterte – und dieser den Auftritt natürlich genoss –, darin sieht der Bundesgeschäftsführer der Linken „kein Zeichen von Souveränität, sondern eher ein Zeichen für mangelndes Selbstbewusstsein“.
Dietmar Bartsch wirft hierbei mit Steinen aus dem Glashaus. Wenn in der Vergangenheit ein vom Schröder-Kurs enttäuschter Sozialdemokrat in die Linke eintrat, wurde auch selten darauf verzichtet, das Ereignis entsprechend zu inszenieren. Man fühlt sich als Zuschauer eines Wettlaufs um enttäuschte Mitglieder der anderen Seite. Bartsch sagt, dass selbst selbst am Tag des Kaufmann-Übertritts „mehr Sozialdemokraten zur Linken als umgekehrt“ kommen würden. Auch Linken-Chef Oskar Lafontaine sieht seine Partei in dieser Konkurrenz „im Vorteil“.
Weitere Austritte nicht ausgeschlossen
Aber was ist das für ein Vorteil? Für die Linkspartei sind zwei Abgänge aus der Mitgliederkartei rein zahlenmäßig sicher kein großes Problem. Dass es sich dabei um zwei einigermaßen prominente Vertreter des Reformflügels handelt und ihr Schritt nun von einem vorhersehbaren Medienecho begleitet wird, könnte sich als verhängnisvoll herausstellen. Wie sehr sich eine auf innerparteiliche Konflikte orientierte Berichterstattung auf Umfragewerte auswirken kann, deren Fall dann selbst wieder die öffentliche Wahrnehmung einer Partei bestimmt, kann die Linkspartei beim früheren SPD-Chef Kurt Beck erfragen.
Abgesehen davon könnten sich nun weitere Enttäuschte in der Linkspartei aufgefordert fühlen, es Kaufmann gleich zu machen. Die Selbstbeschränkung, seiner bisherigen Partei wenigstens in einer wichtigen Wahlkampfphase nicht zu schaden, dürfte nach dem Doppelrücktritt kaum mehr gelten. Selbst wenn man Münteferings Ankündigung, dass es „noch weitere Mitglieder der Linken“ gebe, die bei den Sozialdemokraten angeklopft hätten, als reines Manöver versteht – ganz so ausgeschlossen sind Nachahmungstäter nicht.
Post scriptum
Wer geglaubt hatte, dass der Austritt zweier Mitglieder den Eintritt von zwei anderen begünstigt, hat sich getäuscht: Der langwierige Streit um den Eintrittswunsch der Berliner WASG-Frontfrau Lucy Redler und ihres Mitstreiters Sascha Stanicic ist im Schatten der Kaufmann-Nachricht entschieden worden. Die beiden Aktivisten der trotzkistischen SAV dürfen nach einer Entscheidung der Bundesschiedskommission der Linken nicht in die Partei eintreten.
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