Der Preis der Reform

Arbeitsagentur Frank-Jürgen Weise hat wegen einer Gehaltsaffäre Ärger. Seinen Kurs bei der Bundesagentur hält er dennoch für modellhaft

Aus der Perspektive von Frank-Jürgen Weise sah die Welt bis vor kurzem ziemlich rosa aus. Die Erwerbslosigkeit war im Mai auf den niedrigsten Stand seit Frühjahr 1993 gesunken. Das Rettungsnetz Kurzarbeit bewährte sich. Die Rücklagen, mit der die Bundesagentur für Arbeit (BA) in besseren Jahren vorgesorgt hatte, zahlten sich aus. Der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung konnte abgesenkt werden. Und die Reform der Nürnberger Mammutbehörde, darauf konnte Weise auch verweisen, kam voran.

Aus einem anderen Blickwinkel musste das hohl klingen. Für das Heer der Billiglöhner etwa, die trotz Arbeit in Armut fällt, aber nicht mehr in der Statistik auftaucht. Für die Sozialrichter, die sich über Abertausende fehlerhafte Bescheide der Arbeitsagenturen beugen mussten. Oder für jene, denen man wegen Lappalien die Leistungen kürzte.

Aber nicht für Weise. Er war das Fleisch gewordene Dementi zu den Krisenwarnungen der Linken, jener Mann, der einmal im Monat mit der Statistik die arbeitsmarktpolitische Kassandra bezwingt. Der Dompteur der Riesenbehörde, Mr. Kundenorientierung.

Bis vor einigen Tagen eine Debatte in Gang kam, die an Zeiten erinnert, als die Agentur noch Anstalt hieß und ein Skandal über geschönte Vermittlungszahlen den Stein der großen Arbeitsmarktreform ins Rollen brachte. Eine Reform, in deren Verlauf erstmals ein Mann aus der Wirtschaft an die Spitze der Nürnberger Behörde stoßen konnte, weil sich die Schattenseiten der Bürokratie, so dachte man, nur mit festem Managementgriff austreiben ließen: Frank-Jürgen Weise.

Nicht im Einklang mit dem Recht

Seine Reform hat ihren Preis. Der Bundesrechnungshof hat jetzt die Vergütung von Spitzenpositionen moniert. Posten waren ohne Ausschreibung besetzt, üppige Bonuszahlungen in Aussicht gestellt und mit dem Beamtenrecht war getrickst worden. Ein Staatssekretär schrieb, die „Verwaltungspraxis“ der BA stehe „nicht im Einklang mit dem geltenden Recht“. Der Fall kam in den Haushaltsausschuss und wurde zur Steilvorlage für die SPD. Deren Abgeordneter Carsten Schneider sieht das „Vertrauensverhältnis“ zerstört, wirft der Koalition Vertuschung vor und forderte die Suspendierung Weises. „Luxusgehälter“, schrieben die Zeitungen und kürten den BA-Vorstand zum „Gutsherrn von Nürnberg“.

Alles gar nicht wahr, wehrt der 58-Jährige ab und sagt, dass man mit der Kritik trotzdem sehr sorgfältig umgehen werde. Weises Verteidigung ist Krisen-PR, zu der es unter anderem gehört, die Dinge kleinzureden. Man könne von den 38 beanstandeten Fällen doch nicht auf die Bundesagentur im Ganzen schließen, heißt es aus Nürnberg. Es gehe bei einer Gesamtlohnsumme von 5,4 Milliarden Euro lediglich um Gehälter von insgesamt 400.000 Euro. „Gerade einmal drei Personen“ neben dem Vorstand, rechnet Weise vor, würden über 130.000 Euro pro Jahr verdienen. Und überhaupt: „Ohne eine leistungsgerechte Bezahlung von Führungskräften wären die Reformerfolge der BA undenkbar gewesen.“

Aber was ist leistungsgerecht? Und was ein Reformerfolg?

Als das CDU-Mitglied Frank-Jürgen Weise vom SPD-Mann Florian Gerster im Mai 2002 als Finanzvorstand in die Behörde geholt wurde – man kannte sich von der Offiziersausbildung bei der Bundeswehr –, da war gerade die Kommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ eingesetzt worden. Eines der Ziele, die sie bald darauf verkündete, war die Halbierung der Zahl der registrierten Erwerbslosen auf etwa zwei Millionen binnen vier Jahren. Als Gerster Anfang 2004 wegen der allzu freihändigen Vergabe von Berateraufträgen in Millionenhöhe als Vorstandschef entlassen wurde, zählte man Nürnberg knapp 4,6 Millionen Erwerbslose. Nachfolger Weise musste ein Jahr später die bisher höchste Arbeitslosenzahl bekannt geben – er wurde der „Fünf-Millionen-Mann“. Heute sind 3,242 Millionen Menschen als erwerbslos registriert.

Kostenlogik und Arbeitslosenversicherung

Der Reformerfolg von Weises „moderner Führungsstruktur“ hat dazu beigetragen, den Arbeitsmarkt in eine Richtung zu verändern, die der Ex-Personalvorstands einer großen Wälzlagerfirma als positiv bewerten mag, die dies aber gesellschaftlich keineswegs ist. Normalarbeitsverhältnisse werden von Billigjobs verdrängt, der Druck auf die Erwerbslosen wird zum Druck auf die Löhne. „Prekäre Arbeit ist besser als keine Arbeit“, hat Weise einmal gesagt – jener Mann, der sich nach dem Verkauf einer selbst gegründeten Firma finanziell keine Sorgen machen muss und der Führungskräfte für nötig erachtet, die mehr Gehalt beziehen als die Kanzlerin.

„Wir haben die Beitragszahler entlastet und mitgeholfen, die Krise zu meistern“, erklärt Weise. Das ist unbestritten. Aber es bleibt die Frage, ob Effizienzkriterien aus dem Managementkurs und betriebswirtschaftliche Kostenlogik in der Verwaltung der Arbeitslosenversicherung die richtigen Leitplanken sind.

Weise ist sich seiner Antwort sicher. Als der verheiratete Vater von zwei Kindern unlängst auch noch an die Spitze der Kommission zur Bundeswehr-Reform berufen wurde, nannte er die Bundesagentur ein „Referenzmodell für die Modernisierung großer Behörden“. Der freihändige Einkauf von Spitzenmanagern gehört für ihn ausdrücklich dazu. Auch wenn dies „in einer traditionellen Betrachtung des öffentlichen Dienstes zu Irritationen führt“.

Die SPD solle die „übereilte Forderung“ nach einer Suspendierung von Weise noch einmal überdenken, hat inzwischen die Doppelspitze des Verwaltungsrats der Bundesagentur gefordert. Sozialdemokrat Schneider hatte da aber bereits zum nächsten Schlag ausgeholt: Die undurchsichtige Personalpolitik Weises sei „offensichtlich rechtswidrig“ und könne nun nur noch von einer Instanz überprüft werden: der Staatsanwaltschaft.

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