„Wir sind es endgültig leid, dass sich CDU und CSU je nach Laune teilen und dann wieder als Fraktion ausgeben.“ Was schon den Sozialdemokraten Fritz Erler im Herbst 1965 erzürnte, hat in diesen Wochen wieder für Schlagzeilen gesorgt. Angeblich wird in der SPD erwogen, nach der Herbstwahl die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU juristisch zu knacken. Sogar Gutachten und Gegenexpertisen sollen schon in Auftrag gegeben worden sein. Bei der Zusammensetzung des neuen Bundestags, so ließ sich SPD-Fraktionsjustiziar Klau Uwe Benneter zitieren, müsse berücksichtigt werden, „wie die CSU gegen die CDU agiert“. Mit anderen Worten: Bei entsprechender Auslegung der Geschäftsordnung des Bundestags dürfte es das schwarz-schwarze Bündn
Geschäftsordnung des Bundestags dürfte es das schwarz-schwarze Bündnis gar nicht geben.Vielleicht ist alles nur heiße Luft. Vielleicht auch nicht. Es ist keineswegs das erste Mal, dass solche Gedankenspiele bei den Sozialdemokraten die Runde machen. Nach den vorgezogenen Neuwahlen von 2005 etwa, als die SPD nur knapp hinter der Union geblieben war, tauchte die Idee auf: Wenn die Ergebnisse von CDU und CSU nicht automatisch zusammengezählt würden, wäre seinerzeit die SPD die stärkste Fraktion geblieben – und hätte so das Vorschlagsrecht für den Kanzler beanspruchen können. Gerhard Schröder mag bei seinem denkwürdigen Fernsehauftritt am Wahlabend daran gedacht haben.Geschenk an die UnionAber die Sozialdemokraten können sich kaum beschweren. Nicht nur, dass es heute angesichts der Umfragen wohl selbst dann nicht zur Siegerrolle reichte, wenn CDU und CSU als jeweils selbstständige Fraktionen gewertet würden. Die SPD hat der Union den Machtvorteil sogar selbst verschafft. Kurz nach der Wahl von Gustav Heinemann zum Bundespräsidenten im März 1969, da war das Ende der großen Koalition schon eingeläutet, stimmten die Sozialdemokraten einer Änderung der Bundestagsgeschäftsordnung zu, die die Welt als „das größte Geschenk der SPD an die Union“ bezeichnet. Mussten CDU und CSU sich ihre Fraktionsgemeinschaft bis dahin stets vom Plenum absegnen lassen, war das schwarz-schwarze Parlamentsbündnis von nun an auf Dauer und quasi automatisch legitimiert. Offenbar das Ergebnis eines Tauschgeschäftes zwischen den Fraktionsspitzen, wie der Historiker Stefan Marx vermutet.Eine juristische Überprüfung der Fraktionsgemeinschaft durch die SPD wäre heute der Öffentlichkeit wohl kaum zu erklären. Die hat sich längst an „die Union“ gewöhnt, ein juristischer Vorstoß der Sozialdemokraten nach der Bundestagswahl sähe zudem wie das Nachtreten schlechter Verlierer aus. Auch derzeit ist die Diskussion eher unerwünscht, SPD-General Hubertus Heil soll vor ein paar Wochen nachdrücklich auf ein Ende der Diskussion gepocht haben.Dauerhafter RosenkriegAndererseits sind die Zweifel keineswegs unbegründet. Fraktionen, schreibt die Geschäftsordnung des Bundestags vor, sind Vereinigungen einer bestimmten Zahl von Abgeordneten, „die derselben Partei oder solchen Parteien angehören, die auf Grund gleichgerichteter politischer Ziele in keinem Land miteinander im Wettbewerb stehen“. Rein wahl-geografisch mag das erfüllt sein. Doch ist damit schon die ganze Intention der Regel erfüllt? Da mögen CDU und CSU bei der Feierstunde anlässlich des 60-Jährigen Bestehens der gemeinsamen Fraktion im alten Bonner Plenarsaal noch so sehr ihre Einigkeit demonstrieren – nicht erst seit Horst Seehofer Chef der Christsozialen ist, wird munter und bisweilen heftig gegeneinander konkurriert. Die CSU würde in Berlin opponieren um in München besser regieren zu können, heißt es immer wieder. Opposition vor allem gegen die CDU.Ob es die Verhandlungen um die Erbschaftssteuerreform waren, der Streit um die Pendlerpauschale oder die Europapolitik: Es herrscht inzwischen eine Art dauerhafter Rosenkrieg zwischen CSU und CDU. Gesundheitsreform, Steuersenkungsziele – immer wieder tauchen Differenzen in politischen Sachfragen auf, die denen zwischen anderen Parteien in nichts nachstehen. Dass die kleine CSU in der Regel auch klein beigeben muss, liegt in der Natur der Sache. Und folgt dem übergeordneten Ziel, die Fraktionsgemeinschaft nicht in Frage zu stellen, die ein für beide Seiten einträglicher „Machtfaktor“ ist.SPD gewinnt, Union regiertVon einem Machtfaktor spricht auch der Historiker Hans-Peter Schwarz, der gerade ein Buch über die Unionsfraktion im Bundestag herausgegeben hat. Keineswegs ein Werk von besonders kritischer Distanz, wie man der Frankfurter Allgemeinen entnehmen kann, ist der Band von der Fraktion „angeregt und mit gebotener Zurückhaltung“ unterstützt worden. Bis zu den Vorläufern des „parlamentarischen Unikums“ gehen die Autoren zurück, dem Bündnis regionaler CDU-Verbände im Parlamentarischen Rat etwa. Bei der ersten Bundestagswahl im August 1949 kam man auf die Gemeinschaftsidee zurück: Zwar hatte die SPD mit 131 Mandaten klar die Nase vorn, zusammen waren dann aber CDU und CSU um acht Abgeordnete stärker – Konrad Adenauer wurde Kanzler.Das am 1. September 1949 im Sitzungssaal des Bonner Bürgervereins erstmals geschmiedete Bündnis hat später dazu beigetragen, dass die Union fast immer die größte Fraktion des Bundestags gewesen ist – und mehr als 40 Jahre lang den Kanzler stellen konnte. Wäre es anders verlaufen, sähe auch die deutsche Regierungsgeschichte anders aus. In den 16 Bundestagswahlen lag die SPD bei den Zweitstimmen zwölf Mal vor der CDU – aber nur in sechs Legislaturperioden stellten die Sozialdemokraten auch den Kanzler.Das Selbstbewusstsein der Christsozialen gegenüber der CDU hat hierin seinen Grund und es führte immer wieder zu heftigem Streit – bis heute. Die Zerreißproben, man denke an Kreuther Trennungsbeschluss der Strauß-CSU von 1976 und die Androhung von Horst Seehofer, mit einem eigenen Programm zur Bundestagswahl 2009 anzutreten, hält Schwarz angesichts der Gegensätze beider Parteien für nicht besonders überraschend. „Das Erstaunliche ist, dass es 60 Jahre ganz gut funktioniert hat.“