Nordrhein-Westfalen Hannelore Kraft rückt im November turnusmäßig an die Spitze des Bundesrats. In Düsseldorf wird derweil Bilanz gezogen: Wie sieht es aus nach 100 Tagen Rot-Grün?
Die Düsseldorfer Minderheitsregierung hat eine positive Bilanz ihrer ersten 100 Tage gezogen. Alles andere hat auch niemand erwartet, Selbstkritik und Scheiternsgesänge sind an solcher Stelle unüblich. Für Kritik ist die Opposition zuständig, in Nordrhein-Westfalen also auch die Linkspartei. Deren Fraktionschef Wolfgang Zimmermann nannte den Zwischenstand von SPD und Grünen „äußerst dürftig“, um gleich darauf noch eimal das Gewicht der eigenen Partei ins Spiel zu bringen: Es könne kein Politikwechsel mit „der abgewählten Chaostruppe der CDU“ geben, die Linksfraktion stehe aber nur zur Verfügung, wenn ein solcher auf der Parlamentstagesordnung steht. Zimmermann dürfte dabei vor allem den Nachtragshausha
könne kein Politikwechsel mit „der abgewählten Chaostruppe der CDU“ geben, die Linksfraktion stehe aber nur zur Verfügung, wenn ein solcher auf der Parlamentstagesordnung steht. Zimmermann dürfte dabei vor allem den Nachtragshaushalt im Blick haben, der noch in diesem Jahr durch den Landtag muss und der heftig umstritten ist. Die Linke will deutlich mehr, als der rot-grüne Regierungsentwurf derzeit enthält; die schwarz-gelbe Opposition hat angekündigt, gegen die Aufnahme neuer Schulden vor dem Landesverfassungsgericht zu klagen. Eine Situation, die manchen Beobachter zu der Überlegung gebracht hat, ob daraus nicht doch eine Vorlage für Neuwahlen werden könnte.Der Gedanke muss nicht zur Aufregung führen, ist aber durchaus ernst gemeint. Ein vorgezogener Urnengang gehört zum Dauersound der rot-grünen Minderheitsregierung. Entweder fragen die Medien nach der Wahrscheinlichkeit von Neuwahlen – oder die in das etwas kompliziertere Machtgeflecht in Düsseldorf verwobenen „Partner“ bringen die Formel als politischen Hebel selbst in die Debatte. Von Rhein und Ruhr gibt es unterschiedliche Signale, die vor diesem Hintergrund interpretiert werden müssen. Der linke Fraktionsvize Rüdiger Sagel sieht die Chance für Neuwahlen bei „fünfzig zu fünfzig“. Zimmermann hat erklärt, man strebe einen vorgezogenen Urnengang zwar nciht an, fürchte diesen aber auch nicht und rechne im Fall der Fälle mit einem verbesserten Ergebnis, SPD und Grüne glauben sich mit dem Rückenwind bundespolitischer Umfragen gestärkt. Die Opposition, hat Ministerpräsidentin Hannelore Kraft gerade verlauten lassen, lasse „insgesamt kein Interesse an Neuwahlen erkennen, so wie die Umfragen stehen“. Man werde sich nicht von der „Linkspartei erpressen“ lassen, eine schwarz-gelb-rote Blockademehrheit im Landtag sei zudem schon einmal nicht zustande gekommen.Über den Augenblick hinausDas rot-grüne-rote Lager, wenn man denn von einem sprechen will, besteht freilich nicht nur aus drei monolithischen Blöcken. In den Parteien selbst gibt es auch unterschiedliche Schwerpunktsetzungen und politische Überlegungen. Aus der Zeit der Minderheitsregierung in Sachsen-Anhalt ist bekannt, dass SPD-Linke bei Forderungen, die sie in ihrer Fraktion nicht durchbringen konnten, gern auch einmal den Umweg über die PDS versuchten, die dann ihrerseits mit dem sozialdemokratischen Gepäck auf dem Rücken Druck auf das Höppner-Kabinett ausübte. Auch bei der Frage, wie viel Kompromiss in die eine oder andere Richtung möglich ist und welchen strategischen Wert das über den Augenblick oder die NRW-Landesgrenzen hinaus haben könnte, wird innerhalb der drei Parteien unterschiedlich beantwortet. Im kommenden Jahr stehen bereits jede Menge Landtagswahlen an, die wiederum ihrerseits auf Düsseldorf ausstrahlen werden. Nicht zuletzt schlagen strategische Erwägungen der Bundesparteien durch – es ist also vieles im Fluss.An Hürden, die bei entsprechender taktischer Motivlage zum Absprungpunkt werden könnten, ist zweifellos kein Mangel: Wenn bei der Abstimmung über den Nachtragshaushalt Ende des Jahres Rot-Grün nicht wie erwartet die nötigen Stimmen (bzw. Enthaltungen) aus der linken Fraktion bekommt; wenn der Verfassungsgerichtshof dem Antrag der Opposition folgt, den Nachtragshaushalt per einstweiliger Anordnung zu stoppen (was ein Novum wäre); oder die Beratungen über den regulären Haushalt im kommenden Jahr, die im Frühsommer in ihre heiße Phase kommen dürften. Dass eine Möglichkeit zustande kommen könnte, sagt aber über ihr Eintreten noch nicht allzu viel aus. Eher wird sich das Gespenst Neuwahlen auf die Kraftfelder zwischen Rot-Grün und den beiden Oppositionsparteien CDU dun Linke auswirken. Mit der FDP gibt es nach Angaben aus dem Düsseldorfer Regierungslager keine Gespräche, das seien „die Schotten dicht“.Nagelprobe NachtragshaushaltIm Landtag verfügt die rot-grüne Minderheitsregierung über 90 Mandate. Die Opposition aus CDU, FDP und Linken kommt auf 91 Sitze. Keine Frage: Der Nachtragshaushalt wird zur Nagelprobe, auch weil Schwarz-Gelb sich bereits mit der Ankündigung festgelegt hat, „kein“ Abgeordneter werde diesem „Skandal“ zustimmen. Rot-Grün wird wohl auch so eher auf die Linke setzen. Die Neuaufnahme von Schulden wird von SPD und Grünen als Bereinigung schwarz-gelber Erblasten kommuniziert, der Vorgängerregierung wurde in Haushaltsfragen die Seriosität abgesprochen. Größter Batzen der zusätzlichen Schulen von 2,3 Milliarden Euro ist eine nach Auffassung der Landesregierung notwendige Aufstockung der Vorsorge für die Risikopapiere der WestLB. Während es dabei um immerhin 1,3 Milliarden Euro geht, schlagen die „politischen Posten“ viel weniger zu Buche. Um einmal die Dimensionen zu illustrieren: SPD und Grüne wollen den darbenden Kommunen mehr Geld zukommen lassen, für 1525 neue Lehrerstellen, die zu diesem Paket gehören, werden ganze 6,7 Millionen Euro fällig. Immerhin 50 Millionen Euro muss Rot-Grün dagegen für den Impffonds gegen H1N1 einstellen. Mit immerhin 236 Millionen Euro sollen die Städte und Gemeinden bei Wohngeldzahlungen entlastet werden.Die Forderungen der Linken nach Nachbesserungen sind verglichen mit den Aufräumkosten für die Spekulationen der Landesbank teilweise lächerlich klein: Die Partei fordert, Kürzungen in Höhe von 17 Millionen Euro im Landesjugendplan zurückzunehmen, außerdem hält man die avisierte aber nicht im Haushalt eingeplante Einstellung von 200 neuen Steuerprüfern für zu kurz gesprungen – 500 neue Prüfer würden nach Ansicht der Linken zu Mehreinnahmen führen, mit denen sich die Abschaffung der Studiengebühren und ein Sozialticket gegenfinanziert werden könnten. Nicht zuletzt hat die Linke vergeblich nach Umsetzung eines Wahlversprechens gesucht: betragsfreie Kindergärten. Bisher plante Rot-Grün mit 300 Millionen zusätzlichen Euro für den Kitaausbau – welche Auswirkungen die jüngste Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes auf den Haushalt haben wird, nach dem das Land die Kommunen für den milliardenschweren Ausbau der Kinderbetreuung entschädigen muss, ist noch nicht ganz klar. Die Haushaltsprobleme in Nordrhein-Wetsfalen werden dadurch jedenfalls nicht geringer, der konkrete zusätzliche Finanzbedarf wird derzeit noch errechnet.Offene RechnungenFür Rot-Grün ist das Urteil ein weiterer Beleg dafür, dass Schwarz-Gelb "offene Rechnungen" hinterlassen hat, die nun den eigenen politischen Handlungspielraum finanziell eingrenzen. Die Linke fordert dennoch größere Reformschritte. Zimmermann grollte vor wenigen Tagen, mit dem (bisherigen) Nachtragshaushalt würden weder die „Missetaten“ der Rüttgers-Ära korrigiert noch erkenne seine Fraktion darin eine „grundlegende Abkehr vom neoliberalen Kurs von Schwarz-Gelb“. Das ist gut gebrüllt, jetzt wird es darauf ankommen, den sicher noch bestehenden Spielraum bei der Gestaltung des Nachtragshaushaltes auszuschöpfen. Gelingt das nicht, könnte es interessant werden: „Es reicht schon, wenn zwei Linksparteiabgeordnete nicht zur Abstimmung auftauchen“, wird ein ungenannter Finanzpolitiker der Koalition zitiert. „Und ich gehe davon aus, dass genau das passieren wird.“ Man erinnert sich angesichts solcher Äußerungen an zurückliegende Gerüchte, nach denen im rot-grünen Lager schon vor Monaten versucht worden sei, bei Linken-Abgeordnete Wechselüberlegungen anzuheizen. Was seinerzeit natürlich heftig dementiert wurde – vor allem bei der Linken.
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