Ganz schlecht wieder raus

Politikertyp Wolfgang Böhmer hat beim Hartz-Finale noch einmal seine Rolle gespielt. Nun tritt der etwas andere Landesvater ab

Wenn Deutschlands ältester Ministerpräsident in ein paar Wochen seine politische Karriere beendet, wird man viel Gutes über Wolfgang Böhmer lesen. Nicht nur, weil das so üblich ist am Ende einer öffentlichen Laufbahn, wo noch dem Unbeliebtesten ein vorteilhaftes Zeugnis ausgestellt wird. Nicht nur aus Höflichkeit oder wegen des Protokolls. Sondern weil viele in dem Arzt aus Sachsen-Anhalt tatsächlich „den etwas anderen“ Politiker sehen, ein Gegenmodell. Die Sache hat nur einen Haken: So authentisch dieser Wolfgang Böhmer auch sein mag, am Ende ist es der politische Betrieb, der entscheidet, wann und wo er sich selbst und seine Rolle spielen darf.

Warum ausgerechnet CDU?

Zum Beispiel in den vergangenen Tagen, in denen der 1936 in der Oberlausitz geborene Landwirtssohn in jener Altherren-Riege stand, die dann als Retter der Hartz-Gespräche dastand. Jenes Trio, von dem ein bestimmtes Bild hängen bleiben sollte, das die Problemlösung über den Parteienzank stellte, „ergraute Vernunft“, die über ergebnislose Frauenkonkurrenz obsiegte. Böhmer hatte zum neuerlichen Einigungsversuch geladen, er verkündete Montagnacht um 2.48 Uhr ein Ergebnis: „In diesen frühen Stunden kann ich Ihnen sagen, es hat sich gelohnt.“

Man wird einen solchen Satz zuerst an der Lebensrealität jener messen müssen, denen damit eine Regelsatzerhöhung angekündigt wurde, die den Namen nicht verdient. Der Kompromiss, der auf der Zielgerade doch noch einmal ins Wackeln geriet, soll Millionen Menschen fünf Euro mehr im Monat bescheren, auf die im nächsten Jahr drei Euro aufgeschlagen werden – plus eine Preisanpassung. Vielleicht werden es am Ende zehn Euro sein. Ein Betrag, der weit unter jener Marge liegt, die von Experten und Sozialverbänden als verfassungskonform errechnet worden war. Die Grünen stiegen unter Hinweis darauf in letzter Minute aus den Verhandlungen aus; die Linke hatte erst gar nicht teilnehmen dürfen. Die Klagen gegen das Gesetz werden schon geschrieben.

Hat es sich also gelohnt? Nun, man kann Böhmers Worte auch anders verstehen: als einen jener letzten Politikersätze, die noch dann zitiert werden, wenn man sich des Kontextes, in dem sie gesprochen worden, längst nicht mehr erinnert. Als das zufriedene, aber nicht überschwängliche Resümee einer politischen Karriere, die wie Angela Merkels erst spät begann, anders als bei der Kanzlerin aber nicht mit jener Wendezwangsläufigkeit behaftet war, welche die einen nur in die CDU, die anderen nur in die SPD führen konnte. Wenn Böhmer gefragt wird, warum jemand, der in der DDR „aus Überzeugung parteilos“ war, 1990 ausgerechnet in die Helmut-Kohl-Organisation eintreten konnte, antwortet er: „Weil die mich gefragt haben.“

Akt des Wahkampfes

Natürlich kokettiert der habilitierte Gynäkologe und langjährige Wittenberger Chefarzt damit, dass er ebenso gut bei den Sozialdemokraten hätte landen können. Genauso wie er es mit jener „Mischung aus Idealismus und Unkenntnis“ tut, die am Beginn seiner landespolitischen Laufbahn gestanden haben soll. Er habe einfach nicht gewusst, was „Landtagsarbeit“ im Westen bedeuten würde, wurde 1990 gewählt „und kam dann ganz schlecht wieder raus“: 1991 Finanzminister, 1993 Arbeitsminister, 2001 Fraktionsvorsitzender, 2002 Ministerpräsident – und das bis heute.

Böhmer nennt den Aufschwung in Sachsen-Anhalt als einen seiner Erfolge. Einerseits steht das Land heute nicht mehr an der Spitze der Erwerbslosenstatistik, andererseits war die Abwanderung in den Westen hier besonders groß. Die Zahl der Hartz-Bezieher ist bis heute rekordverdächtig, und auch das muss man bedenken, wenn man über Böhmers „Rettung“ der Hartz-Verhandlungen spricht.

In drei Wochen wird in Sachsen-Anhalt gewählt. Wenn die Gespräche noch einmal scheiterten, hatte Böhmer immer wieder gesagt, stehe die Politik insgesamt blamiert da. Sein Vorstoß zur Fortsetzung der Hartz-Verhandlungen war also auch ein Akt des Wahlkampfes. Das Protestpotenzial ist groß zwischen Stendal, Harz und Burgenlandkreis, hier haben immer wieder auch Rechtsradikale beängstigende Erfolge einfahren können, Sorge und Elend heißen dort nicht nur die Dörfer. Und: Böhmers Nachfolger tritt am 20. März gegen einen Ministerpräsidentenkandidaten von der Linken an, jener Partei also, die den Protest gegen die Hartz-Reform zu ihrem Markenzeichen gemacht hat.

Uneitle Dissidenz

Während Kronprinz Reiner Haseloff jetzt gern in die Kommunismus-Kerbe schlägt, davor warnt, dass „die Kommunisten nicht an die Macht kommen“ dürfen, oder verspricht, „mit den Kommunisten machen wir keine Koalition“, hört man von Böhmer nichts Vergleichbares. Im Gegenteil, der 75-Jährige, der nach dem Tod seiner ersten Frau seine frühere OP-Schwester heiratete, war einer der wenigen CDU-Politiker, die sich den üblichen Linkspartei-Reflexen verweigerten. 2008 empfahl er seinem Landesverband sogar, von der früheren PDS zu lernen, er respektiere „ihre sehr intensive Basisarbeit“. Und selbst eine Koalition auf Landesebene, was für ein Sakrileg, schloss er nicht für alle Zeiten aus.

Es ist diese uneitle Dissidenz, die zu Böhmers Ansehen beigetragen hat. Eine Nüchternheit, nach der es offenbar eine Nachfrage in der Öffentlichkeit gibt, die von anderen nicht befriedigt wird. Böhmer hat es damit zur „grauen Eminenz des Vermittlungsausschusses“ gebracht, wie ihn einmal jemand nannte. „Alles abzulehnen und zu beklagen, dass nichts geschieht, das kann auch keine vernünftige Politik sein“, hat er selbst gesagt. Die Hartz-Reform war die passende Schlussvorstellung in der Karriere des Wolfgang Böhmer. Nur die Betroffenen werden das Lob des Pragmatismus nicht so laut singen.

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